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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862.

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Drittes Kapitel.
2) Die geheime Polizeischrift.

Während das von den Kabbalisten erdachte und von den
christlichen Zaubermystikern zum eigenen Selbstbetrug nachgeahmte
und zum Betrug anderer ausgebeutete künstliche System einerseits
bei seiner Kundgebung in das Volk rasch verblich oder zersplitterte
und theilweise zu einer arglosen Spielerei des letztern wurde, er-
hielt sich andererseits das von den Zaubermystikern in ihren
Schriften mit dem ganzen Apparat und Ernst der Gelehrsamkeit
Verarbeitete als rationelle Wissenschaft, welche stets als Quelle
neuer abergläubischer Verirrungen dienen, aber auch in anderer
Richtung tief eingreifende Wirkungen ausüben, namentlich dem
verschlagenen staatsklugen Cardinal Richelieu zum Pfunde werden
sollte, mit welchem er einen entsetzlichen Wucher trieb, als er die
Kryptographie zur höchsten und feinsten Ausbildung brachte.
Er bildete sie mit der raffinirtesten diplomatischen Kunst und Ver-
schlagenheit aus, wie er sie in staunenerregender perfider Weise
zu seinen politischen Zwecken ausbeutete, ganz dem kühnen Pro-
gramm entsprechend, welches Trittheim in seinem berühmten Briefe
an den Karmelitermönch Arnold Bost von seiner Wissenschaft 1)
aufgestellt hatte. Bei der seit Jahrhunderten eingerissenen gänz-
lichen Desorganisation zwischen Volk und König war es Riche-
lieu, welcher für den siechenden Körper ein heimliches wirksames
Gegengift in der französischen Polizei erfand, von welchem Lud-
wig XIV. in dem Edict von 1667 eine unumwundene offene Ana-
lyse gab und dessen Wirkungen jene Raserei des nervenzerrütteten
Körpers beförderten, welche man mit dem Namen der französischen
Revolution bezeichnet.

Nichts ist für dieses Siechthum des französischen Körpers
und für seine Vergiftung bezeichnender als die in Frankreich er-

1) "Polygraphiae libri sex Joannis Trithemii, abbatis Peapolitani,
quondam Spanheimensis, ad Maximilianum I Caesarem
" (Köln 1571).
Diese kölner Ausgabe ist einer der schönsten Drucke des 16. Jahrhunderts, welche
sich in meiner Sammlung finden.
Drittes Kapitel.
2) Die geheime Polizeiſchrift.

Während das von den Kabbaliſten erdachte und von den
chriſtlichen Zaubermyſtikern zum eigenen Selbſtbetrug nachgeahmte
und zum Betrug anderer ausgebeutete künſtliche Syſtem einerſeits
bei ſeiner Kundgebung in das Volk raſch verblich oder zerſplitterte
und theilweiſe zu einer argloſen Spielerei des letztern wurde, er-
hielt ſich andererſeits das von den Zaubermyſtikern in ihren
Schriften mit dem ganzen Apparat und Ernſt der Gelehrſamkeit
Verarbeitete als rationelle Wiſſenſchaft, welche ſtets als Quelle
neuer abergläubiſcher Verirrungen dienen, aber auch in anderer
Richtung tief eingreifende Wirkungen ausüben, namentlich dem
verſchlagenen ſtaatsklugen Cardinal Richelieu zum Pfunde werden
ſollte, mit welchem er einen entſetzlichen Wucher trieb, als er die
Kryptographie zur höchſten und feinſten Ausbildung brachte.
Er bildete ſie mit der raffinirteſten diplomatiſchen Kunſt und Ver-
ſchlagenheit aus, wie er ſie in ſtaunenerregender perfider Weiſe
zu ſeinen politiſchen Zwecken ausbeutete, ganz dem kühnen Pro-
gramm entſprechend, welches Trittheim in ſeinem berühmten Briefe
an den Karmelitermönch Arnold Boſt von ſeiner Wiſſenſchaft 1)
aufgeſtellt hatte. Bei der ſeit Jahrhunderten eingeriſſenen gänz-
lichen Desorganiſation zwiſchen Volk und König war es Riche-
lieu, welcher für den ſiechenden Körper ein heimliches wirkſames
Gegengift in der franzöſiſchen Polizei erfand, von welchem Lud-
wig XIV. in dem Edict von 1667 eine unumwundene offene Ana-
lyſe gab und deſſen Wirkungen jene Raſerei des nervenzerrütteten
Körpers beförderten, welche man mit dem Namen der franzöſiſchen
Revolution bezeichnet.

Nichts iſt für dieſes Siechthum des franzöſiſchen Körpers
und für ſeine Vergiftung bezeichnender als die in Frankreich er-

1)Polygraphiae libri sex Joannis Trithemii, abbatis Peapolitani,
quondam Spanheimensis, ad Maximilianum I Caesarem
“ (Köln 1571).
Dieſe kölner Ausgabe iſt einer der ſchönſten Drucke des 16. Jahrhunderts, welche
ſich in meiner Sammlung finden.
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[16/0028] Drittes Kapitel. 2) Die geheime Polizeiſchrift. Während das von den Kabbaliſten erdachte und von den chriſtlichen Zaubermyſtikern zum eigenen Selbſtbetrug nachgeahmte und zum Betrug anderer ausgebeutete künſtliche Syſtem einerſeits bei ſeiner Kundgebung in das Volk raſch verblich oder zerſplitterte und theilweiſe zu einer argloſen Spielerei des letztern wurde, er- hielt ſich andererſeits das von den Zaubermyſtikern in ihren Schriften mit dem ganzen Apparat und Ernſt der Gelehrſamkeit Verarbeitete als rationelle Wiſſenſchaft, welche ſtets als Quelle neuer abergläubiſcher Verirrungen dienen, aber auch in anderer Richtung tief eingreifende Wirkungen ausüben, namentlich dem verſchlagenen ſtaatsklugen Cardinal Richelieu zum Pfunde werden ſollte, mit welchem er einen entſetzlichen Wucher trieb, als er die Kryptographie zur höchſten und feinſten Ausbildung brachte. Er bildete ſie mit der raffinirteſten diplomatiſchen Kunſt und Ver- ſchlagenheit aus, wie er ſie in ſtaunenerregender perfider Weiſe zu ſeinen politiſchen Zwecken ausbeutete, ganz dem kühnen Pro- gramm entſprechend, welches Trittheim in ſeinem berühmten Briefe an den Karmelitermönch Arnold Boſt von ſeiner Wiſſenſchaft 1) aufgeſtellt hatte. Bei der ſeit Jahrhunderten eingeriſſenen gänz- lichen Desorganiſation zwiſchen Volk und König war es Riche- lieu, welcher für den ſiechenden Körper ein heimliches wirkſames Gegengift in der franzöſiſchen Polizei erfand, von welchem Lud- wig XIV. in dem Edict von 1667 eine unumwundene offene Ana- lyſe gab und deſſen Wirkungen jene Raſerei des nervenzerrütteten Körpers beförderten, welche man mit dem Namen der franzöſiſchen Revolution bezeichnet. Nichts iſt für dieſes Siechthum des franzöſiſchen Körpers und für ſeine Vergiftung bezeichnender als die in Frankreich er- 1) „Polygraphiae libri sex Joannis Trithemii, abbatis Peapolitani, quondam Spanheimensis, ad Maximilianum I Caesarem“ (Köln 1571). Dieſe kölner Ausgabe iſt einer der ſchönſten Drucke des 16. Jahrhunderts, welche ſich in meiner Sammlung finden.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/28>, abgerufen am 23.04.2024.