Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

fundene geheime Polizeischrift. Hat man diese kennen ge-
lernt, so muß man an alle jene ungeheure breite politische Schande
glauben, welche der erbitterte Pierre Manuel in seiner "Police
de Paris devoilee
" 1) ohne Schonung und Erbarmen aufdeckt.
Er selbst nennt sein Buch (II, 87): "un moyen que n'a jamais
eu un peuple de connoeitre jusqu'a quel point peut se depra-
ver une ville, qui, avec des lumieres, n'a point de vertus
".
Es gibt doch etwas, was noch unter dem Laster steht und was,
wie die Hölle unter der Erde, noch tief unter dem verschlemmten
Pfuhl des Lasters gedacht werden kann: jener satanische Geist der
absoluten Lust am Bösen, der in dem furchtbaren Fäulungsproceß
wie ein tödtliches Miasma still, heimlich und in tiefem Dunkel
von dem versumpften Boden nach der Oberfläche aufbrodelt, den
Einzelnen wie die ganze Gruppe vergiftet und wie ein tödtliches
Contagium Land und Leute überzieht und hinwegrafft. Die ge-
heime Polizeischrift läßt sich nicht anders definiren, als die Schrift
des Geistes, der stets verneint; man kann sie, wie man nach den
Sternbildern eine Himmels- und Engelsschrift bezeichnet, nach
ihrer Weise und Wirkung eine Höllenschrift nennen.

Der Graf von Vergennes, französischer Minister der auswär-
tigen Angelegenheiten, hatte diese Schrift für die diplomatischen
Agenten Frankreichs eingeführt, damit diese sich derselben auf Em-
pfehlungskarten für Fremde bedienten, welche nach Paris reisen
wollten. 2) Die Polizeischrift soll von Vergennes nur vervoll-

1) "La Police de Paris devoilee. Par Pierre Manuel. L'un des Ad-
ministrateurs de 1789. Avec Gravure et Tableaux. Deux tomes. A Paris,
L'an second de la Liberte
". Das Buch ist sehr selten und wahrscheinlich
wol recht bald von der "Police devoilee", auch der spätern, unterdrückt wor-
den. Nur mit sehr großer Mühe habe ich ein Exemplar auftreiben können.
2) Ein höchst merkwürdiges und seltenes Buch: "Geheime Polizei-Schrift
des Grafen von Vergennes, als Beweis der feinen Politik des ehemaligen Ca-
binets in Versailles unter der Regierung des unglücklichen Königs Ludwig XVI."
(ohne Druckort, vermuthlich Eisenach 1793), gibt vollständigen Aufschluß über
diese scheußliche Uriasliteratur. Klüber, "Kryptographik", S. 291--317, hat
dies Buch benutzt. Zur Schmach deutscher Nation hatte ein Mann mit deut-
schem Namen, der k. k. Bankalgefällinspector J. F. Opitz zu Czaslau, sich als
den wahren Erfinder dieser Schrift genannt, ohne jedoch diese brandmarkende
Ave-Lallemant, Gaunerthum. IV. 2

fundene geheime Polizeiſchrift. Hat man dieſe kennen ge-
lernt, ſo muß man an alle jene ungeheure breite politiſche Schande
glauben, welche der erbitterte Pierre Manuel in ſeiner „Police
de Paris dévoilée
1) ohne Schonung und Erbarmen aufdeckt.
Er ſelbſt nennt ſein Buch (II, 87): „un moyen que n’a jamais
eu un peuple de connoître jusqu’à quel point peut se dépra-
ver une ville, qui, avec des lumières, n’a point de vertus
“.
Es gibt doch etwas, was noch unter dem Laſter ſteht und was,
wie die Hölle unter der Erde, noch tief unter dem verſchlemmten
Pfuhl des Laſters gedacht werden kann: jener ſataniſche Geiſt der
abſoluten Luſt am Böſen, der in dem furchtbaren Fäulungsproceß
wie ein tödtliches Miasma ſtill, heimlich und in tiefem Dunkel
von dem verſumpften Boden nach der Oberfläche aufbrodelt, den
Einzelnen wie die ganze Gruppe vergiftet und wie ein tödtliches
Contagium Land und Leute überzieht und hinwegrafft. Die ge-
heime Polizeiſchrift läßt ſich nicht anders definiren, als die Schrift
des Geiſtes, der ſtets verneint; man kann ſie, wie man nach den
Sternbildern eine Himmels- und Engelsſchrift bezeichnet, nach
ihrer Weiſe und Wirkung eine Höllenſchrift nennen.

Der Graf von Vergennes, franzöſiſcher Miniſter der auswär-
tigen Angelegenheiten, hatte dieſe Schrift für die diplomatiſchen
Agenten Frankreichs eingeführt, damit dieſe ſich derſelben auf Em-
pfehlungskarten für Fremde bedienten, welche nach Paris reiſen
wollten. 2) Die Polizeiſchrift ſoll von Vergennes nur vervoll-

1)La Police de Paris dévoilée. Par Pierre Manuel. L’un des Ad-
ministrateurs de 1789. Avec Gravure et Tableaux. Deux tomes. A Paris,
L’an second de la Liberté
“. Das Buch iſt ſehr ſelten und wahrſcheinlich
wol recht bald von der „Police dévoilée“, auch der ſpätern, unterdrückt wor-
den. Nur mit ſehr großer Mühe habe ich ein Exemplar auftreiben können.
2) Ein höchſt merkwürdiges und ſeltenes Buch: „Geheime Polizei-Schrift
des Grafen von Vergennes, als Beweis der feinen Politik des ehemaligen Ca-
binets in Verſailles unter der Regierung des unglücklichen Königs Ludwig XVI.
(ohne Druckort, vermuthlich Eiſenach 1793), gibt vollſtändigen Aufſchluß über
dieſe ſcheußliche Uriasliteratur. Klüber, „Kryptographik“, S. 291—317, hat
dies Buch benutzt. Zur Schmach deutſcher Nation hatte ein Mann mit deut-
ſchem Namen, der k. k. Bankalgefällinſpector J. F. Opitz zu Czaslau, ſich als
den wahren Erfinder dieſer Schrift genannt, ohne jedoch dieſe brandmarkende
Avé-Lallemant, Gaunerthum. IV. 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0029" n="17"/>
fundene <hi rendition="#g">geheime Polizei&#x017F;chrift.</hi> Hat man die&#x017F;e kennen ge-<lb/>
lernt, &#x017F;o muß man an alle jene ungeheure breite politi&#x017F;che Schande<lb/>
glauben, welche der erbitterte Pierre Manuel in &#x017F;einer &#x201E;<hi rendition="#aq">Police<lb/>
de Paris dévoilée</hi>&#x201C; <note place="foot" n="1)">&#x201E;<hi rendition="#aq">La Police de Paris dévoilée. Par Pierre Manuel. L&#x2019;un des Ad-<lb/>
ministrateurs de 1789. Avec Gravure et Tableaux. Deux tomes. A Paris,<lb/>
L&#x2019;an second de la Liberté</hi>&#x201C;. Das Buch i&#x017F;t &#x017F;ehr &#x017F;elten und wahr&#x017F;cheinlich<lb/>
wol recht bald von der &#x201E;<hi rendition="#aq">Police dévoilée</hi>&#x201C;, auch der &#x017F;pätern, unterdrückt wor-<lb/>
den. Nur mit &#x017F;ehr großer Mühe habe ich ein Exemplar auftreiben können.</note> ohne Schonung und Erbarmen aufdeckt.<lb/>
Er &#x017F;elb&#x017F;t nennt &#x017F;ein Buch (<hi rendition="#aq">II</hi>, 87): &#x201E;<hi rendition="#aq">un moyen que n&#x2019;a jamais<lb/>
eu un peuple de connoître jusqu&#x2019;à quel point peut se dépra-<lb/>
ver une ville, qui, avec des lumières, n&#x2019;a point de vertus</hi>&#x201C;.<lb/>
Es gibt doch etwas, was noch unter dem La&#x017F;ter &#x017F;teht und was,<lb/>
wie die Hölle unter der Erde, noch tief unter dem ver&#x017F;chlemmten<lb/>
Pfuhl des La&#x017F;ters gedacht werden kann: jener &#x017F;atani&#x017F;che Gei&#x017F;t der<lb/>
ab&#x017F;oluten Lu&#x017F;t am Bö&#x017F;en, der in dem furchtbaren Fäulungsproceß<lb/>
wie ein tödtliches Miasma &#x017F;till, heimlich und in tiefem Dunkel<lb/>
von dem ver&#x017F;umpften Boden nach der Oberfläche aufbrodelt, den<lb/>
Einzelnen wie die ganze Gruppe vergiftet und wie ein tödtliches<lb/>
Contagium Land und Leute überzieht und hinwegrafft. Die ge-<lb/>
heime Polizei&#x017F;chrift läßt &#x017F;ich nicht anders definiren, als die Schrift<lb/>
des Gei&#x017F;tes, der &#x017F;tets verneint; man kann &#x017F;ie, wie man nach den<lb/>
Sternbildern eine Himmels- und Engels&#x017F;chrift bezeichnet, nach<lb/>
ihrer Wei&#x017F;e und Wirkung eine Höllen&#x017F;chrift nennen.</p><lb/>
              <p>Der Graf von Vergennes, franzö&#x017F;i&#x017F;cher Mini&#x017F;ter der auswär-<lb/>
tigen Angelegenheiten, hatte die&#x017F;e Schrift für die diplomati&#x017F;chen<lb/>
Agenten Frankreichs eingeführt, damit die&#x017F;e &#x017F;ich der&#x017F;elben auf Em-<lb/>
pfehlungskarten für Fremde bedienten, welche nach Paris rei&#x017F;en<lb/>
wollten. <note xml:id="seg2pn_4_1" next="#seg2pn_4_2" place="foot" n="2)">Ein höch&#x017F;t merkwürdiges und &#x017F;eltenes Buch: &#x201E;Geheime Polizei-Schrift<lb/>
des Grafen von Vergennes, als Beweis der feinen Politik des ehemaligen Ca-<lb/>
binets in Ver&#x017F;ailles unter der Regierung des unglücklichen Königs Ludwig <hi rendition="#aq">XVI.</hi>&#x201C;<lb/>
(ohne Druckort, vermuthlich Ei&#x017F;enach 1793), gibt voll&#x017F;tändigen Auf&#x017F;chluß über<lb/>
die&#x017F;e &#x017F;cheußliche Uriasliteratur. Klüber, &#x201E;Kryptographik&#x201C;, S. 291&#x2014;317, hat<lb/>
dies Buch benutzt. Zur Schmach deut&#x017F;cher Nation hatte ein Mann mit deut-<lb/>
&#x017F;chem Namen, der k. k. Bankalgefällin&#x017F;pector J. F. Opitz zu Czaslau, &#x017F;ich als<lb/>
den wahren Erfinder die&#x017F;er Schrift genannt, ohne jedoch die&#x017F;e brandmarkende</note> Die Polizei&#x017F;chrift &#x017F;oll von Vergennes nur vervoll-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Avé-Lallemant,</hi> Gaunerthum. <hi rendition="#aq">IV.</hi> 2</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[17/0029] fundene geheime Polizeiſchrift. Hat man dieſe kennen ge- lernt, ſo muß man an alle jene ungeheure breite politiſche Schande glauben, welche der erbitterte Pierre Manuel in ſeiner „Police de Paris dévoilée“ 1) ohne Schonung und Erbarmen aufdeckt. Er ſelbſt nennt ſein Buch (II, 87): „un moyen que n’a jamais eu un peuple de connoître jusqu’à quel point peut se dépra- ver une ville, qui, avec des lumières, n’a point de vertus“. Es gibt doch etwas, was noch unter dem Laſter ſteht und was, wie die Hölle unter der Erde, noch tief unter dem verſchlemmten Pfuhl des Laſters gedacht werden kann: jener ſataniſche Geiſt der abſoluten Luſt am Böſen, der in dem furchtbaren Fäulungsproceß wie ein tödtliches Miasma ſtill, heimlich und in tiefem Dunkel von dem verſumpften Boden nach der Oberfläche aufbrodelt, den Einzelnen wie die ganze Gruppe vergiftet und wie ein tödtliches Contagium Land und Leute überzieht und hinwegrafft. Die ge- heime Polizeiſchrift läßt ſich nicht anders definiren, als die Schrift des Geiſtes, der ſtets verneint; man kann ſie, wie man nach den Sternbildern eine Himmels- und Engelsſchrift bezeichnet, nach ihrer Weiſe und Wirkung eine Höllenſchrift nennen. Der Graf von Vergennes, franzöſiſcher Miniſter der auswär- tigen Angelegenheiten, hatte dieſe Schrift für die diplomatiſchen Agenten Frankreichs eingeführt, damit dieſe ſich derſelben auf Em- pfehlungskarten für Fremde bedienten, welche nach Paris reiſen wollten. 2) Die Polizeiſchrift ſoll von Vergennes nur vervoll- 1) „La Police de Paris dévoilée. Par Pierre Manuel. L’un des Ad- ministrateurs de 1789. Avec Gravure et Tableaux. Deux tomes. A Paris, L’an second de la Liberté“. Das Buch iſt ſehr ſelten und wahrſcheinlich wol recht bald von der „Police dévoilée“, auch der ſpätern, unterdrückt wor- den. Nur mit ſehr großer Mühe habe ich ein Exemplar auftreiben können. 2) Ein höchſt merkwürdiges und ſeltenes Buch: „Geheime Polizei-Schrift des Grafen von Vergennes, als Beweis der feinen Politik des ehemaligen Ca- binets in Verſailles unter der Regierung des unglücklichen Königs Ludwig XVI.“ (ohne Druckort, vermuthlich Eiſenach 1793), gibt vollſtändigen Aufſchluß über dieſe ſcheußliche Uriasliteratur. Klüber, „Kryptographik“, S. 291—317, hat dies Buch benutzt. Zur Schmach deutſcher Nation hatte ein Mann mit deut- ſchem Namen, der k. k. Bankalgefällinſpector J. F. Opitz zu Czaslau, ſich als den wahren Erfinder dieſer Schrift genannt, ohne jedoch dieſe brandmarkende Avé-Lallemant, Gaunerthum. IV. 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/29
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/29>, abgerufen am 29.03.2024.