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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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Christusordens. Aber neben den Obskuranten, die in Abhän-
gigkeit gerieten, -- gab es nicht reine begeisterte unabhängige
Mystiker, die uns den Blick rein hielten für das, was wir
wollen müssen: eine ecclesia militans, deren Hauptstadt
Paris ist; deren Väter Pascal, Münzer und Tschaadajew
heissen: deren Gott in der Zukunft wartet und erkämpft
werden muss; deren Reich nicht von dieser Welt, sondern
von einer neuen ist, die wir schaffen und nur in der Un-
endlichkeit erreichen werden?

Gewiss: Trägheit und Laster um ihrer selbst willen,
Askese und Weltflucht, wie die Romantik in ihrer Entartung
sie zeigt, sind nicht Heiligtümer; sie sind Verzweiflung;
Nachwirkungen des furchtbar paulinischen Dogmas: Gott
ist tot, Gott ist am Kreuze gestorben. Und auch das Motto
einer heutigen Romantik: die Kirche hat einen guten Magen,
sie kann selbst Aas und Verwesung vertragen, gilt nicht für
die neue Kirche, die streitende Demokratie. Wir sind keine
skeptischen Hamlets mehr, keine schlechten Pauliner. Wir
sind eine Conspiration in Christo 162). Wenn Heine sagt:
"Die neufranzösischen Romantiker sind Dilettanten des
Christentums, sie schwärmen für die Kirche, ohne ihrer
Symbolik gehorsam anzuhängen; sie sind catholiques mar-
rons", so geben wir ihm recht. Wir sind keine Pro-
katholiken nach Rene Gillouins glücklicher Prägung in
einem Aufsatz über das Prokatholikentum der Lemaeitre,
Maurras und Barres 163). Und wenn Heine von der Stael sagt:
"Sie spricht von unserer Ehrlichkeit und unserer Tugend
und unserer Geistesbildung -- sie hat unsere Zuchthäuser,
unsere Bordelle und unsere Kasernen nicht gesehen 164), so
war es gewiss artig, ihr den Krieg zu machen, wenn er
sich auch in der Waffe vergriff.

Wir glauben an Don Quixote und an das Phantastischste
aller Leben. Wir glauben daran, dass die Ketten fallen und
dass es keine Galeeren mehr gibt. So sehr sind wir bereit,
Opfer zu bringen, dass Kants Pflichtideal uns als moralischer

Christusordens. Aber neben den Obskuranten, die in Abhän-
gigkeit gerieten, — gab es nicht reine begeisterte unabhängige
Mystiker, die uns den Blick rein hielten für das, was wir
wollen müssen: eine ecclesia militans, deren Hauptstadt
Paris ist; deren Väter Pascal, Münzer und Tschaadajew
heissen: deren Gott in der Zukunft wartet und erkämpft
werden muss; deren Reich nicht von dieser Welt, sondern
von einer neuen ist, die wir schaffen und nur in der Un-
endlichkeit erreichen werden?

Gewiss: Trägheit und Laster um ihrer selbst willen,
Askese und Weltflucht, wie die Romantik in ihrer Entartung
sie zeigt, sind nicht Heiligtümer; sie sind Verzweiflung;
Nachwirkungen des furchtbar paulinischen Dogmas: Gott
ist tot, Gott ist am Kreuze gestorben. Und auch das Motto
einer heutigen Romantik: die Kirche hat einen guten Magen,
sie kann selbst Aas und Verwesung vertragen, gilt nicht für
die neue Kirche, die streitende Demokratie. Wir sind keine
skeptischen Hamlets mehr, keine schlechten Pauliner. Wir
sind eine Conspiration in Christo 162). Wenn Heine sagt:
„Die neufranzösischen Romantiker sind Dilettanten des
Christentums, sie schwärmen für die Kirche, ohne ihrer
Symbolik gehorsam anzuhängen; sie sind catholiques mar-
rons“, so geben wir ihm recht. Wir sind keine Pro-
katholiken nach René Gillouins glücklicher Prägung in
einem Aufsatz über das Prokatholikentum der Lemaître,
Maurras und Barrès 163). Und wenn Heine von der Staël sagt:
„Sie spricht von unserer Ehrlichkeit und unserer Tugend
und unserer Geistesbildung — sie hat unsere Zuchthäuser,
unsere Bordelle und unsere Kasernen nicht gesehen 164), so
war es gewiss artig, ihr den Krieg zu machen, wenn er
sich auch in der Waffe vergriff.

Wir glauben an Don Quixote und an das Phantastischste
aller Leben. Wir glauben daran, dass die Ketten fallen und
dass es keine Galeeren mehr gibt. So sehr sind wir bereit,
Opfer zu bringen, dass Kants Pflichtideal uns als moralischer

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[107/0115] Christusordens. Aber neben den Obskuranten, die in Abhän- gigkeit gerieten, — gab es nicht reine begeisterte unabhängige Mystiker, die uns den Blick rein hielten für das, was wir wollen müssen: eine ecclesia militans, deren Hauptstadt Paris ist; deren Väter Pascal, Münzer und Tschaadajew heissen: deren Gott in der Zukunft wartet und erkämpft werden muss; deren Reich nicht von dieser Welt, sondern von einer neuen ist, die wir schaffen und nur in der Un- endlichkeit erreichen werden? Gewiss: Trägheit und Laster um ihrer selbst willen, Askese und Weltflucht, wie die Romantik in ihrer Entartung sie zeigt, sind nicht Heiligtümer; sie sind Verzweiflung; Nachwirkungen des furchtbar paulinischen Dogmas: Gott ist tot, Gott ist am Kreuze gestorben. Und auch das Motto einer heutigen Romantik: die Kirche hat einen guten Magen, sie kann selbst Aas und Verwesung vertragen, gilt nicht für die neue Kirche, die streitende Demokratie. Wir sind keine skeptischen Hamlets mehr, keine schlechten Pauliner. Wir sind eine Conspiration in Christo ¹⁶²⁾ . Wenn Heine sagt: „Die neufranzösischen Romantiker sind Dilettanten des Christentums, sie schwärmen für die Kirche, ohne ihrer Symbolik gehorsam anzuhängen; sie sind catholiques mar- rons“, so geben wir ihm recht. Wir sind keine Pro- katholiken nach René Gillouins glücklicher Prägung in einem Aufsatz über das Prokatholikentum der Lemaître, Maurras und Barrès ¹⁶³⁾ . Und wenn Heine von der Staël sagt: „Sie spricht von unserer Ehrlichkeit und unserer Tugend und unserer Geistesbildung — sie hat unsere Zuchthäuser, unsere Bordelle und unsere Kasernen nicht gesehen ¹⁶⁴⁾ , so war es gewiss artig, ihr den Krieg zu machen, wenn er sich auch in der Waffe vergriff. Wir glauben an Don Quixote und an das Phantastischste aller Leben. Wir glauben daran, dass die Ketten fallen und dass es keine Galeeren mehr gibt. So sehr sind wir bereit, Opfer zu bringen, dass Kants Pflichtideal uns als moralischer

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/115>, abgerufen am 23.04.2024.