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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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Der Staat ist ein praktisches, also minderwertiges In-
stitut. Er ist bestenfalls eine Nützlichkeitseinrichtung und
kann nur das sein, weil er stets den Interessen von Individuen,
Fürsten, Klassen oder Parteien zugute kommt. Er ist gottlos
und unchristlich, weil er nur materiell nützlich ist. Der Fort-
schritt, den der Staat protegiert, ist bestenfalls eine Art
Aufkläricht, das zu beweisen bezweckt, es gebe keinen Gott,
um desto gewisser die Freiheit knebeln zu können. Die
Freiheit ohne Religion ist aber undenkbar.

Die Verstandesphilosophie hat den Staat als höchstes
Prinzip aufgestellt. Das höchste Prinzip ist aber nicht der
Staat, sondern jene Freiheit des Individuums und der
Gesamtheit, der die Wissenschaft und der Staat zu dienen
haben. Diese Freiheit allein verbürgt, dass Gott eines Tags
zur Erde herniedersteigt, weil wir ihn zwingen dazu durch
Reinheit und Güte.

Und das ist die Aufgabe einer Neuordnung, dass der
Staat von uns überwältigt wird; dass er nichts anderes
mehr als ein Ordner ist in unserer Hand; dass die
Universitäten unsere Sache, die Sache des Volkes, der
Freiheit und Gottes führen, nicht die eines Fürsten, des
Staates und seiner Bedienten 199). Wo finden wir aber das
Beispiel und die Taten, die uns zu solchem Berufe stärken,
läutern und führen? "Die heilige Geschichte ist es allein",
sagt Franz von Baader, "die uns solche Fakta rein und
unverfälscht aufbewahrt, und die darauf gebaute heilige
Physik (nicht die Kriegschemie) bleibt auch immer die
schönste, humanste, unseren beschränkten Kräften an-
gemessenste Theorie und Philosophie darüber" 200).

Der Staat ist ein praktisches, also minderwertiges In-
stitut. Er ist bestenfalls eine Nützlichkeitseinrichtung und
kann nur das sein, weil er stets den Interessen von Individuen,
Fürsten, Klassen oder Parteien zugute kommt. Er ist gottlos
und unchristlich, weil er nur materiell nützlich ist. Der Fort-
schritt, den der Staat protegiert, ist bestenfalls eine Art
Aufkläricht, das zu beweisen bezweckt, es gebe keinen Gott,
um desto gewisser die Freiheit knebeln zu können. Die
Freiheit ohne Religion ist aber undenkbar.

Die Verstandesphilosophie hat den Staat als höchstes
Prinzip aufgestellt. Das höchste Prinzip ist aber nicht der
Staat, sondern jene Freiheit des Individuums und der
Gesamtheit, der die Wissenschaft und der Staat zu dienen
haben. Diese Freiheit allein verbürgt, dass Gott eines Tags
zur Erde herniedersteigt, weil wir ihn zwingen dazu durch
Reinheit und Güte.

Und das ist die Aufgabe einer Neuordnung, dass der
Staat von uns überwältigt wird; dass er nichts anderes
mehr als ein Ordner ist in unserer Hand; dass die
Universitäten unsere Sache, die Sache des Volkes, der
Freiheit und Gottes führen, nicht die eines Fürsten, des
Staates und seiner Bedienten 199). Wo finden wir aber das
Beispiel und die Taten, die uns zu solchem Berufe stärken,
läutern und führen? „Die heilige Geschichte ist es allein“,
sagt Franz von Baader, „die uns solche Fakta rein und
unverfälscht aufbewahrt, und die darauf gebaute heilige
Physik (nicht die Kriegschemie) bleibt auch immer die
schönste, humanste, unseren beschränkten Kräften an-
gemessenste Theorie und Philosophie darüber“ 200).

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[124/0132] Der Staat ist ein praktisches, also minderwertiges In- stitut. Er ist bestenfalls eine Nützlichkeitseinrichtung und kann nur das sein, weil er stets den Interessen von Individuen, Fürsten, Klassen oder Parteien zugute kommt. Er ist gottlos und unchristlich, weil er nur materiell nützlich ist. Der Fort- schritt, den der Staat protegiert, ist bestenfalls eine Art Aufkläricht, das zu beweisen bezweckt, es gebe keinen Gott, um desto gewisser die Freiheit knebeln zu können. Die Freiheit ohne Religion ist aber undenkbar. Die Verstandesphilosophie hat den Staat als höchstes Prinzip aufgestellt. Das höchste Prinzip ist aber nicht der Staat, sondern jene Freiheit des Individuums und der Gesamtheit, der die Wissenschaft und der Staat zu dienen haben. Diese Freiheit allein verbürgt, dass Gott eines Tags zur Erde herniedersteigt, weil wir ihn zwingen dazu durch Reinheit und Güte. Und das ist die Aufgabe einer Neuordnung, dass der Staat von uns überwältigt wird; dass er nichts anderes mehr als ein Ordner ist in unserer Hand; dass die Universitäten unsere Sache, die Sache des Volkes, der Freiheit und Gottes führen, nicht die eines Fürsten, des Staates und seiner Bedienten ¹⁹⁹⁾ . Wo finden wir aber das Beispiel und die Taten, die uns zu solchem Berufe stärken, läutern und führen? „Die heilige Geschichte ist es allein“, sagt Franz von Baader, „die uns solche Fakta rein und unverfälscht aufbewahrt, und die darauf gebaute heilige Physik (nicht die Kriegschemie) bleibt auch immer die schönste, humanste, unseren beschränkten Kräften an- gemessenste Theorie und Philosophie darüber“ ²⁰⁰⁾ .

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/132>, abgerufen am 19.04.2024.