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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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nistischen Manifest" die Expropriation der "Bourgeoisie"
und den Uebergang der Produktionsinstrumente an das
Proletariat. Das waren, solange die Gegensätze so schnei-
dend zutage traten wie in der ersten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts, unmissverständlich Prinzipien einer sozialen Re-
volution. Aber er schrieb auch von "Arbeitszwang" und
"Armeen von Arbeitern" 51), und wenn man diese Dinge
umdreht, heissen sie "Zwangsarbeit" und "Arbeiterarmee".
Wohin musste seine Umsturzpartei gelangen, wenn er das
Staatsmonopol bestehen liess? Wenn er, 1847, den Feuda-
lismus von der Bourgeoisie für "zu Boden geschlagen"
halten konnte 52), während dieser Feudalismus wenige Jahr-
zehnte später eine Militärmacht aufstellte, die, auf den Namen
Bismarcks getauft, den Kontinent erzittern liess; und 1871
sogar riet, auf dem Boden des gerade von ihm doch so
grimmig befehdeten Bourgeoisstaates den parlamentarischen
Kampf aufzunehmen? 53)

Marx zerlegte den Mechanismus der Fabrik, des Kon-
tors und des Marktes. Er war ein glänzender Wirtschafts-
analysator. Seine Zweiklassenteilung Proletarier--Bürger ver-
gass jedoch in der Rechnung den beide sehr bald
beherrschenden Junker, und von dem Moment an, wo in
Deutschland der souveräne Junkerstaat mittels Wahlrecht
und einer umfassenden Sozialgesetzgebung den Proletarier
zum Bürger und Beamten arrivieren liess, um ihn für die
Armee zu gewinnen, hatten der Fabrikarbeiter sowohl wie
Marxens System zunächst aufgehört, die Freiheitsprinzipien
zu verkörpern 54).

Marxens Internationale war von allem Anfang an nicht
die der Freiheit, der Religion oder Moral, sondern die der
Wirtschaftsinteressen und des Arbeitsmarktes, eine Staats-
doktrin kat' exokhen. Jene nach seinen eigenen Worten
"chimärische Nationalität des Juden", die Internationale des
Geldmenschen und Kaufmanns ist es, die ihn beschäftigt.
Dass er die Bedarfs- und Gebrauchsgegenstände über die

nistischen Manifest“ die Expropriation der „Bourgeoisie“
und den Uebergang der Produktionsinstrumente an das
Proletariat. Das waren, solange die Gegensätze so schnei-
dend zutage traten wie in der ersten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts, unmissverständlich Prinzipien einer sozialen Re-
volution. Aber er schrieb auch von „Arbeitszwang“ und
„Armeen von Arbeitern“ 51), und wenn man diese Dinge
umdreht, heissen sie „Zwangsarbeit“ und „Arbeiterarmee“.
Wohin musste seine Umsturzpartei gelangen, wenn er das
Staatsmonopol bestehen liess? Wenn er, 1847, den Feuda-
lismus von der Bourgeoisie für „zu Boden geschlagen“
halten konnte 52), während dieser Feudalismus wenige Jahr-
zehnte später eine Militärmacht aufstellte, die, auf den Namen
Bismarcks getauft, den Kontinent erzittern liess; und 1871
sogar riet, auf dem Boden des gerade von ihm doch so
grimmig befehdeten Bourgeoisstaates den parlamentarischen
Kampf aufzunehmen? 53)

Marx zerlegte den Mechanismus der Fabrik, des Kon-
tors und des Marktes. Er war ein glänzender Wirtschafts-
analysator. Seine Zweiklassenteilung Proletarier—Bürger ver-
gass jedoch in der Rechnung den beide sehr bald
beherrschenden Junker, und von dem Moment an, wo in
Deutschland der souveräne Junkerstaat mittels Wahlrecht
und einer umfassenden Sozialgesetzgebung den Proletarier
zum Bürger und Beamten arrivieren liess, um ihn für die
Armee zu gewinnen, hatten der Fabrikarbeiter sowohl wie
Marxens System zunächst aufgehört, die Freiheitsprinzipien
zu verkörpern 54).

Marxens Internationale war von allem Anfang an nicht
die der Freiheit, der Religion oder Moral, sondern die der
Wirtschaftsinteressen und des Arbeitsmarktes, eine Staats-
doktrin κατ᾽ ἐξοχὲν. Jene nach seinen eigenen Worten
„chimärische Nationalität des Juden“, die Internationale des
Geldmenschen und Kaufmanns ist es, die ihn beschäftigt.
Dass er die Bedarfs- und Gebrauchsgegenstände über die

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[190/0198] nistischen Manifest“ die Expropriation der „Bourgeoisie“ und den Uebergang der Produktionsinstrumente an das Proletariat. Das waren, solange die Gegensätze so schnei- dend zutage traten wie in der ersten Hälfte des 19. Jahr- hunderts, unmissverständlich Prinzipien einer sozialen Re- volution. Aber er schrieb auch von „Arbeitszwang“ und „Armeen von Arbeitern“ ⁵¹⁾ , und wenn man diese Dinge umdreht, heissen sie „Zwangsarbeit“ und „Arbeiterarmee“. Wohin musste seine Umsturzpartei gelangen, wenn er das Staatsmonopol bestehen liess? Wenn er, 1847, den Feuda- lismus von der Bourgeoisie für „zu Boden geschlagen“ halten konnte ⁵²⁾ , während dieser Feudalismus wenige Jahr- zehnte später eine Militärmacht aufstellte, die, auf den Namen Bismarcks getauft, den Kontinent erzittern liess; und 1871 sogar riet, auf dem Boden des gerade von ihm doch so grimmig befehdeten Bourgeoisstaates den parlamentarischen Kampf aufzunehmen? ⁵³⁾ Marx zerlegte den Mechanismus der Fabrik, des Kon- tors und des Marktes. Er war ein glänzender Wirtschafts- analysator. Seine Zweiklassenteilung Proletarier—Bürger ver- gass jedoch in der Rechnung den beide sehr bald beherrschenden Junker, und von dem Moment an, wo in Deutschland der souveräne Junkerstaat mittels Wahlrecht und einer umfassenden Sozialgesetzgebung den Proletarier zum Bürger und Beamten arrivieren liess, um ihn für die Armee zu gewinnen, hatten der Fabrikarbeiter sowohl wie Marxens System zunächst aufgehört, die Freiheitsprinzipien zu verkörpern ⁵⁴⁾ . Marxens Internationale war von allem Anfang an nicht die der Freiheit, der Religion oder Moral, sondern die der Wirtschaftsinteressen und des Arbeitsmarktes, eine Staats- doktrin κατ᾽ ἐξοχὲν. Jene nach seinen eigenen Worten „chimärische Nationalität des Juden“, die Internationale des Geldmenschen und Kaufmanns ist es, die ihn beschäftigt. Dass er die Bedarfs- und Gebrauchsgegenstände über die

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/198>, abgerufen am 28.03.2024.