Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

Bild:
<< vorherige Seite

es keiner Macht der Erde je gelingen soll, Mich zu be-
wegen, das natürliche, gerade bei uns durch eine innere
Wahrheit
so mächtig machende Verhältnis zwischen Fürst
und Volk in ein konventionell-konstitutionelles zu wandeln,
und dass ich es nun und nimmermehr zugeben werde, dass
sich zwischen unseren Herrgott im Himmel und dieses Land
ein beschriebenes Blatt, gleichsam als eine zweite Vorsehung
eindränge, um uns mit seinen Paragraphen zu regieren" 90).
Es war am Vorabend der Revolution. Dem von englisch-
französischen Revolutionsideen gestärkten Bürgertum riss
die Geduld. Am 18. März 1848 war der patentierte Stell-
vertreter Gottes gezwungen, zu dekretieren: "Der König
will, dass Pressfreiheit herrsche; der König will, dass der
Landtag sofort berufen werde; der König will, dass eine
Konstitution auf der freisinnigsten Grundlage alle deutschen
Lande umfasse etc. etc."

Die Nation liess sich düpieren. Sie redete und schwatzte,
räsonnierte und zankte, aber sie handelte nicht. Sie war
über ihren eigenen Erfolg so verblüfft, wie die Junker ver-
blüfft waren über das sonderbare Schicksal ihres bislang
so absoluten Königs. Die Parallele zur heutigen Situation
liegt erschreckend nah. Am 27. April 1849 bereits hatte sich
das Junkertum von seinem Schreck wieder erholt. Die
preussische Regierung jagte die zweite Kammer auseinander.
Am 28. April lud sie diejenigen Regierungen, die mit ihr
die "deutsche Einheit gründen wollten", zu gemeinsamen
Konferenzen nach Berlin ein, versicherte, dass für unvorher-
gesehene Fälle alles Nötige bereit sei, und bot sich für
etwaige Bedürfnisse in "gefährlichen Krisen" sogar nach
auswärts an. Die Hofkamarilla schien zwar beseitigt. Aber
Wilhelm I. richtete als "leidenschaftlicher Soldat" alsbald
sein berühmtes Militärkabinett ein. Leiter dieses Kabinetts
wurde von Manteuffel, Kriegsminister der junkerliche Hetzer
von Roon, und der letztere erklärte gleich bei seiner Be-
rufung, dass er "von der ganzen konstitutionellen Wirt-

es keiner Macht der Erde je gelingen soll, Mich zu be-
wegen, das natürliche, gerade bei uns durch eine innere
Wahrheit
so mächtig machende Verhältnis zwischen Fürst
und Volk in ein konventionell-konstitutionelles zu wandeln,
und dass ich es nun und nimmermehr zugeben werde, dass
sich zwischen unseren Herrgott im Himmel und dieses Land
ein beschriebenes Blatt, gleichsam als eine zweite Vorsehung
eindränge, um uns mit seinen Paragraphen zu regieren“ 90).
Es war am Vorabend der Revolution. Dem von englisch-
französischen Revolutionsideen gestärkten Bürgertum riss
die Geduld. Am 18. März 1848 war der patentierte Stell-
vertreter Gottes gezwungen, zu dekretieren: „Der König
will, dass Pressfreiheit herrsche; der König will, dass der
Landtag sofort berufen werde; der König will, dass eine
Konstitution auf der freisinnigsten Grundlage alle deutschen
Lande umfasse etc. etc.“

Die Nation liess sich düpieren. Sie redete und schwatzte,
räsonnierte und zankte, aber sie handelte nicht. Sie war
über ihren eigenen Erfolg so verblüfft, wie die Junker ver-
blüfft waren über das sonderbare Schicksal ihres bislang
so absoluten Königs. Die Parallele zur heutigen Situation
liegt erschreckend nah. Am 27. April 1849 bereits hatte sich
das Junkertum von seinem Schreck wieder erholt. Die
preussische Regierung jagte die zweite Kammer auseinander.
Am 28. April lud sie diejenigen Regierungen, die mit ihr
die „deutsche Einheit gründen wollten“, zu gemeinsamen
Konferenzen nach Berlin ein, versicherte, dass für unvorher-
gesehene Fälle alles Nötige bereit sei, und bot sich für
etwaige Bedürfnisse in „gefährlichen Krisen“ sogar nach
auswärts an. Die Hofkamarilla schien zwar beseitigt. Aber
Wilhelm I. richtete als „leidenschaftlicher Soldat“ alsbald
sein berühmtes Militärkabinett ein. Leiter dieses Kabinetts
wurde von Manteuffel, Kriegsminister der junkerliche Hetzer
von Roon, und der letztere erklärte gleich bei seiner Be-
rufung, dass er „von der ganzen konstitutionellen Wirt-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0218" n="210"/>
es keiner Macht der Erde je gelingen soll, Mich zu be-<lb/>
wegen, das natürliche, gerade bei uns durch eine <hi rendition="#i">innere<lb/>
Wahrheit</hi> so mächtig machende Verhältnis zwischen Fürst<lb/>
und Volk in ein konventionell-konstitutionelles zu wandeln,<lb/>
und dass ich es nun und nimmermehr zugeben werde, dass<lb/>
sich zwischen unseren Herrgott im Himmel und dieses Land<lb/>
ein beschriebenes Blatt, gleichsam als eine zweite Vorsehung<lb/>
eindränge, um uns mit seinen Paragraphen zu regieren&#x201C; <note xml:id="id90d" next="id90d90d" place="end" n="90)"/>.<lb/>
Es war am Vorabend der Revolution. Dem von englisch-<lb/>
französischen Revolutionsideen gestärkten Bürgertum riss<lb/>
die Geduld. Am 18. März 1848 war der patentierte Stell-<lb/>
vertreter Gottes gezwungen, zu dekretieren: &#x201E;Der König<lb/>
will, dass Pressfreiheit herrsche; der König will, dass der<lb/>
Landtag sofort berufen werde; der König will, dass eine<lb/>
Konstitution auf der freisinnigsten Grundlage alle deutschen<lb/>
Lande umfasse etc. etc.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Die Nation liess sich düpieren. Sie redete und schwatzte,<lb/>
räsonnierte und zankte, aber sie handelte nicht. Sie war<lb/>
über ihren eigenen Erfolg so verblüfft, wie die Junker ver-<lb/>
blüfft waren über das sonderbare Schicksal ihres bislang<lb/>
so absoluten Königs. Die Parallele zur heutigen Situation<lb/>
liegt erschreckend nah. Am 27. April 1849 bereits hatte sich<lb/>
das Junkertum von seinem Schreck wieder erholt. Die<lb/>
preussische Regierung jagte die zweite Kammer auseinander.<lb/>
Am 28. April lud sie diejenigen Regierungen, die mit ihr<lb/>
die &#x201E;deutsche Einheit gründen wollten&#x201C;, zu gemeinsamen<lb/>
Konferenzen nach Berlin ein, versicherte, dass für unvorher-<lb/>
gesehene Fälle alles Nötige bereit sei, und bot sich für<lb/>
etwaige Bedürfnisse in &#x201E;gefährlichen Krisen&#x201C; sogar nach<lb/>
auswärts an. Die Hofkamarilla schien zwar beseitigt. Aber<lb/>
Wilhelm I. richtete als &#x201E;leidenschaftlicher Soldat&#x201C; alsbald<lb/>
sein berühmtes Militärkabinett ein. Leiter dieses Kabinetts<lb/>
wurde von Manteuffel, Kriegsminister der junkerliche Hetzer<lb/>
von Roon, und der letztere erklärte gleich bei seiner Be-<lb/>
rufung, dass er &#x201E;von der ganzen konstitutionellen Wirt-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[210/0218] es keiner Macht der Erde je gelingen soll, Mich zu be- wegen, das natürliche, gerade bei uns durch eine innere Wahrheit so mächtig machende Verhältnis zwischen Fürst und Volk in ein konventionell-konstitutionelles zu wandeln, und dass ich es nun und nimmermehr zugeben werde, dass sich zwischen unseren Herrgott im Himmel und dieses Land ein beschriebenes Blatt, gleichsam als eine zweite Vorsehung eindränge, um uns mit seinen Paragraphen zu regieren“ ⁹⁰⁾ . Es war am Vorabend der Revolution. Dem von englisch- französischen Revolutionsideen gestärkten Bürgertum riss die Geduld. Am 18. März 1848 war der patentierte Stell- vertreter Gottes gezwungen, zu dekretieren: „Der König will, dass Pressfreiheit herrsche; der König will, dass der Landtag sofort berufen werde; der König will, dass eine Konstitution auf der freisinnigsten Grundlage alle deutschen Lande umfasse etc. etc.“ Die Nation liess sich düpieren. Sie redete und schwatzte, räsonnierte und zankte, aber sie handelte nicht. Sie war über ihren eigenen Erfolg so verblüfft, wie die Junker ver- blüfft waren über das sonderbare Schicksal ihres bislang so absoluten Königs. Die Parallele zur heutigen Situation liegt erschreckend nah. Am 27. April 1849 bereits hatte sich das Junkertum von seinem Schreck wieder erholt. Die preussische Regierung jagte die zweite Kammer auseinander. Am 28. April lud sie diejenigen Regierungen, die mit ihr die „deutsche Einheit gründen wollten“, zu gemeinsamen Konferenzen nach Berlin ein, versicherte, dass für unvorher- gesehene Fälle alles Nötige bereit sei, und bot sich für etwaige Bedürfnisse in „gefährlichen Krisen“ sogar nach auswärts an. Die Hofkamarilla schien zwar beseitigt. Aber Wilhelm I. richtete als „leidenschaftlicher Soldat“ alsbald sein berühmtes Militärkabinett ein. Leiter dieses Kabinetts wurde von Manteuffel, Kriegsminister der junkerliche Hetzer von Roon, und der letztere erklärte gleich bei seiner Be- rufung, dass er „von der ganzen konstitutionellen Wirt-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Schulz, Dienstleister (Muttersprachler): Bereitstellung der Texttranskription nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-02-17T09:20:45Z)
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-02-17T09:20:45Z)

Weitere Informationen:

  • Nach den Richtlinien des Deutschen Textarchivs (DTA) transkribiert und ausgezeichnet.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/218
Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/218>, abgerufen am 28.03.2024.