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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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Reichsherolden wie Treitschke und Chamberlain die Ideolo-
gie für jene egozentrische Selbstüberhebung, die sich in
den Köpfen alldeutscher Generäle und Subalternpropa-
gandisten zu einem Delirium ausgewachsen hat. Von den
Zeiten der Reformation an gelang es den Päpsten nicht
mehr, die deutsche Macht unter eine geistige Obhut zu
beugen. Luther wurde ein Angelpunkt der Geschichte.

Von Luther an beginnt sich ein neuer Universalstaat
vorzubereiten, in dessen Zentrum nicht mehr die ganz
klerikale, sondern die ganz profane Gewalt steht. In den
grossen Bauernkriegen von 1524/25 handelte es sich darum,
ob die uralte Feudaltradition Deutschlands gebrochen werden
könne oder nicht. Jene deutsche Revolution (wichtiger heute
als die Reformen, in denen sie erstickt wurde) missglückte.
Der Feudalismus erhob sich gestärkt. Im Aufkommen der
Hohenzollern verjüngte er sich. Das Aufkommen der Hohen-
zollern brachte den Konkurrenzkampf mit Habsburg, dem
letzten Rudiment des mittelalterlichen Systems. Dazumal
gingen die geistlichen und weltlichen Methoden der
Universalstaats-Politik und -Diplomatie von Wien in die
preussischen Kabinette über. Und heute erleben wir, wie
derselbe auf die Besitzlosen, das Proletariat, gegründete
Universalstaat des Mittelalters von Berlin aus wiederaufzu-
stehen bemüht ist 2).

Jetzt ist es umgekehrt. Das kaiserliche Regime sucht
den Papst (und die Freiheitsideologie, die geistige Macht)
zu benützen, wie im Mittelalter der Papst den Kaiser aus-
spielte. Steuerte Habsburg die diplomatischen Methoden bei,
so Robespierre die staatlichen und Napoleon die militä-
rischen. Eine satanische Macht regiert heute Deutschland
und sucht sich von dort aus die Welt zu unterwerfen. Das
Mittel ist Zweck geworden. Die Profanität triumphiert, und
eine Entwertung aller Werte findet statt, die niemals ihres-
gleichen sah.

Als Dante seine Schrift "De monarchia" schrieb, liess

Reichsherolden wie Treitschke und Chamberlain die Ideolo-
gie für jene egozentrische Selbstüberhebung, die sich in
den Köpfen alldeutscher Generäle und Subalternpropa-
gandisten zu einem Delirium ausgewachsen hat. Von den
Zeiten der Reformation an gelang es den Päpsten nicht
mehr, die deutsche Macht unter eine geistige Obhut zu
beugen. Luther wurde ein Angelpunkt der Geschichte.

Von Luther an beginnt sich ein neuer Universalstaat
vorzubereiten, in dessen Zentrum nicht mehr die ganz
klerikale, sondern die ganz profane Gewalt steht. In den
grossen Bauernkriegen von 1524/25 handelte es sich darum,
ob die uralte Feudaltradition Deutschlands gebrochen werden
könne oder nicht. Jene deutsche Revolution (wichtiger heute
als die Reformen, in denen sie erstickt wurde) missglückte.
Der Feudalismus erhob sich gestärkt. Im Aufkommen der
Hohenzollern verjüngte er sich. Das Aufkommen der Hohen-
zollern brachte den Konkurrenzkampf mit Habsburg, dem
letzten Rudiment des mittelalterlichen Systems. Dazumal
gingen die geistlichen und weltlichen Methoden der
Universalstaats-Politik und -Diplomatie von Wien in die
preussischen Kabinette über. Und heute erleben wir, wie
derselbe auf die Besitzlosen, das Proletariat, gegründete
Universalstaat des Mittelalters von Berlin aus wiederaufzu-
stehen bemüht ist 2).

Jetzt ist es umgekehrt. Das kaiserliche Regime sucht
den Papst (und die Freiheitsideologie, die geistige Macht)
zu benützen, wie im Mittelalter der Papst den Kaiser aus-
spielte. Steuerte Habsburg die diplomatischen Methoden bei,
so Robespierre die staatlichen und Napoleon die militä-
rischen. Eine satanische Macht regiert heute Deutschland
und sucht sich von dort aus die Welt zu unterwerfen. Das
Mittel ist Zweck geworden. Die Profanität triumphiert, und
eine Entwertung aller Werte findet statt, die niemals ihres-
gleichen sah.

Als Dante seine Schrift „De monarchia“ schrieb, liess

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[16/0024] Reichsherolden wie Treitschke und Chamberlain die Ideolo- gie für jene egozentrische Selbstüberhebung, die sich in den Köpfen alldeutscher Generäle und Subalternpropa- gandisten zu einem Delirium ausgewachsen hat. Von den Zeiten der Reformation an gelang es den Päpsten nicht mehr, die deutsche Macht unter eine geistige Obhut zu beugen. Luther wurde ein Angelpunkt der Geschichte. Von Luther an beginnt sich ein neuer Universalstaat vorzubereiten, in dessen Zentrum nicht mehr die ganz klerikale, sondern die ganz profane Gewalt steht. In den grossen Bauernkriegen von 1524/25 handelte es sich darum, ob die uralte Feudaltradition Deutschlands gebrochen werden könne oder nicht. Jene deutsche Revolution (wichtiger heute als die Reformen, in denen sie erstickt wurde) missglückte. Der Feudalismus erhob sich gestärkt. Im Aufkommen der Hohenzollern verjüngte er sich. Das Aufkommen der Hohen- zollern brachte den Konkurrenzkampf mit Habsburg, dem letzten Rudiment des mittelalterlichen Systems. Dazumal gingen die geistlichen und weltlichen Methoden der Universalstaats-Politik und -Diplomatie von Wien in die preussischen Kabinette über. Und heute erleben wir, wie derselbe auf die Besitzlosen, das Proletariat, gegründete Universalstaat des Mittelalters von Berlin aus wiederaufzu- stehen bemüht ist ²⁾ . Jetzt ist es umgekehrt. Das kaiserliche Regime sucht den Papst (und die Freiheitsideologie, die geistige Macht) zu benützen, wie im Mittelalter der Papst den Kaiser aus- spielte. Steuerte Habsburg die diplomatischen Methoden bei, so Robespierre die staatlichen und Napoleon die militä- rischen. Eine satanische Macht regiert heute Deutschland und sucht sich von dort aus die Welt zu unterwerfen. Das Mittel ist Zweck geworden. Die Profanität triumphiert, und eine Entwertung aller Werte findet statt, die niemals ihres- gleichen sah. Als Dante seine Schrift „De monarchia“ schrieb, liess

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/24>, abgerufen am 19.04.2024.