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Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

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Die weiten geographischen Horizonte, wie sie, in heutiger
Ueberschau des Globus in seiner ganzen Weite, für die ge-
deihliche Entwicklung unseres Staats- und Volkslebens noth-
wendig verlangt werden (wie sie von weiter und klarerblicken-
den, bereits so vielfach bedauernd vermisst sind), sie werden,
weil in der Ethnologie dem allgemein menschlichen Verständniss
am Nächsten stehend, auch in ihr am leichtesten ihre volle An-
erkennung erhalten, mit all den practischen Folgen, die sich für
die Politiker und Diplomaten nicht nur, sondern für Kauf-
leute, Seefahrer, Fabrikanten und jeder Art der Gewerbe-
thätigkeit zum Nutz und Frommen Aller werden ziehen lassen.

Die Geographie, als vielbrüstige Mutter all dieser über
den Erdball gesponnenen Verzweigungen, hat auch hier
bereits vorgearbeitet, der Ethnologie den Boden zu ebnen,
und indem diese dann den in der Physiologie eingebetteten
Wurzeln der Psychologie unter den Phasen ihres organischen
Wachsthumsprocesses bis zu der geschichtlichen Bewegung
der Völkergedanken nachgeht, wird der Materialismus den
soweit formlosen Torso seiner Weltanschauung durch die in ein-
heitlicher Forschungsmethode geweihte Vermählung mit dem
Idealismus (in Zufügung des denkenden Hauptes) zu der-
jenigen Vollendung gebracht sehen, welche bisher ermangelte,
um dem in der Tiefe der Menschenbrust schlummernden
Sehnen harmonische Befriedigung zu gewähren.

Man spricht von der Wissenschaft, die ihrer selbst Willen
zu betreiben, und das war ein volltönendes Wort so lange
unfruchtbare*) Wissenschaften in dem Vordergrund standen.

*) Und selbst die fruchtbarste Wissenschaft in eine unfruchtbare zu
verwandeln, mochte es "vertrockneten Botanikern" gelungen sein (s. Jessen).
"Was in früheren Jahrhunderten ein allgemeines Interesse an den Pflanzen
erregt hatte, ihre vielfache Anwendung in Medicin, Haushalt und Gewerbe,
stand vernachlässigt, und darum kümmerten sich Wenige der Pflanzen-
kundigen. Pflanzensammeln, Pflanzentrocknen, war die Hauptbeschäfti-
gung" (und allerdings freilich wieder durch "den naturgemässen Ent-
wicklungsgang der Botanik bedingt").

Die weiten geographischen Horizonte, wie sie, in heutiger
Ueberschau des Globus in seiner ganzen Weite, für die ge-
deihliche Entwicklung unseres Staats- und Volkslebens noth-
wendig verlangt werden (wie sie von weiter und klarerblicken-
den, bereits so vielfach bedauernd vermisst sind), sie werden,
weil in der Ethnologie dem allgemein menschlichen Verständniss
am Nächsten stehend, auch in ihr am leichtesten ihre volle An-
erkennung erhalten, mit all den practischen Folgen, die sich für
die Politiker und Diplomaten nicht nur, sondern für Kauf-
leute, Seefahrer, Fabrikanten und jeder Art der Gewerbe-
thätigkeit zum Nutz und Frommen Aller werden ziehen lassen.

Die Geographie, als vielbrüstige Mutter all dieser über
den Erdball gesponnenen Verzweigungen, hat auch hier
bereits vorgearbeitet, der Ethnologie den Boden zu ebnen,
und indem diese dann den in der Physiologie eingebetteten
Wurzeln der Psychologie unter den Phasen ihres organischen
Wachsthumsprocesses bis zu der geschichtlichen Bewegung
der Völkergedanken nachgeht, wird der Materialismus den
soweit formlosen Torso seiner Weltanschauung durch die in ein-
heitlicher Forschungsmethode geweihte Vermählung mit dem
Idealismus (in Zufügung des denkenden Hauptes) zu der-
jenigen Vollendung gebracht sehen, welche bisher ermangelte,
um dem in der Tiefe der Menschenbrust schlummernden
Sehnen harmonische Befriedigung zu gewähren.

Man spricht von der Wissenschaft, die ihrer selbst Willen
zu betreiben, und das war ein volltönendes Wort so lange
unfruchtbare*) Wissenschaften in dem Vordergrund standen.

*) Und selbst die fruchtbarste Wissenschaft in eine unfruchtbare zu
verwandeln, mochte es „vertrockneten Botanikern“ gelungen sein (s. Jessen).
„Was in früheren Jahrhunderten ein allgemeines Interesse an den Pflanzen
erregt hatte, ihre vielfache Anwendung in Medicin, Haushalt und Gewerbe,
stand vernachlässigt, und darum kümmerten sich Wenige der Pflanzen-
kundigen. Pflanzensammeln, Pflanzentrocknen, war die Hauptbeschäfti-
gung“ (und allerdings freilich wieder durch „den naturgemässen Ent-
wicklungsgang der Botanik bedingt“).
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[2/0036] Die weiten geographischen Horizonte, wie sie, in heutiger Ueberschau des Globus in seiner ganzen Weite, für die ge- deihliche Entwicklung unseres Staats- und Volkslebens noth- wendig verlangt werden (wie sie von weiter und klarerblicken- den, bereits so vielfach bedauernd vermisst sind), sie werden, weil in der Ethnologie dem allgemein menschlichen Verständniss am Nächsten stehend, auch in ihr am leichtesten ihre volle An- erkennung erhalten, mit all den practischen Folgen, die sich für die Politiker und Diplomaten nicht nur, sondern für Kauf- leute, Seefahrer, Fabrikanten und jeder Art der Gewerbe- thätigkeit zum Nutz und Frommen Aller werden ziehen lassen. Die Geographie, als vielbrüstige Mutter all dieser über den Erdball gesponnenen Verzweigungen, hat auch hier bereits vorgearbeitet, der Ethnologie den Boden zu ebnen, und indem diese dann den in der Physiologie eingebetteten Wurzeln der Psychologie unter den Phasen ihres organischen Wachsthumsprocesses bis zu der geschichtlichen Bewegung der Völkergedanken nachgeht, wird der Materialismus den soweit formlosen Torso seiner Weltanschauung durch die in ein- heitlicher Forschungsmethode geweihte Vermählung mit dem Idealismus (in Zufügung des denkenden Hauptes) zu der- jenigen Vollendung gebracht sehen, welche bisher ermangelte, um dem in der Tiefe der Menschenbrust schlummernden Sehnen harmonische Befriedigung zu gewähren. Man spricht von der Wissenschaft, die ihrer selbst Willen zu betreiben, und das war ein volltönendes Wort so lange unfruchtbare *) Wissenschaften in dem Vordergrund standen. *) Und selbst die fruchtbarste Wissenschaft in eine unfruchtbare zu verwandeln, mochte es „vertrockneten Botanikern“ gelungen sein (s. Jessen). „Was in früheren Jahrhunderten ein allgemeines Interesse an den Pflanzen erregt hatte, ihre vielfache Anwendung in Medicin, Haushalt und Gewerbe, stand vernachlässigt, und darum kümmerten sich Wenige der Pflanzen- kundigen. Pflanzensammeln, Pflanzentrocknen, war die Hauptbeschäfti- gung“ (und allerdings freilich wieder durch „den naturgemässen Ent- wicklungsgang der Botanik bedingt“).

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Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/36>, abgerufen am 16.04.2024.