Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

einer "Gesichtsphilosophie") "Alles unter dem Gesichtspunkt
des psychischen Processes zu begreifen" ("Alles auf die Psy-
chologie zurückzuführen"), denn "das Psychologische ist hier
nur noch ein Moment, nicht aber das tonangebende Element".
So freilich bei individueller Auffassung der Psychologie, wo-
gegen die dem Zoon politikon angehörige Psyche, wenn die
im Gesellschaftsorganismus aufsteigende Spirale seines Wachs-
thumsprocesses verfolgend, sich auch in der ganzen Weite
realisirt, an den Zweigen des Menschheitsbaumes in Früchten
schwellend, und diese, nach den Verschiedenheiten ethnolo-
gischer Kreise, unter all den auf der Rundung des Globus
möglichen Formgebungen gewandelt.

Indem der Mensch in dem aus eigenem Mikrokosmos
reflectirten Horizont seiner Vorstellungen*) lebt, ergeben sich
die an demselben umherbewegten Gestaltungen als die in der
Umgebungswelt projicirten Schöpfungen innerer Denkthätig-
keiten (für die Psychologie).

Da nun als früheste Grundlage dafür die sinnlichen
Empfindungen und Wahrnehmungen*) unterliegen, so ent-
halten die nach Aussen geworfenen (und dort für objective
Auffassung verkörperten) Vorstellungen bereits ein Element
aus dem (im vorläufigen Gegensatz materiellen) Makrokosmos
in sich eingeschlossen.

Das ideell Gestaltete ist deshalb als ein Product des
psychischen Wachsthumsprocesses aufzufassen, als ein nach
dem Gesetze des menschlichen Organismus durch äusserlich
einfallenden Reiz angeregte Bildung**), und zwar der (für

*) Der Wahrnehmungsvorgang (Perceptions- wie Apperceptionsprocess)
ist der Grundprocess im gesammten Seelenleben und Erkenntnissvorgange
(s. H. Wolff).
*) Der Wahrnehmungsvorgang (Perceptions- wie Apperceptionsprocess)
ist der Grundprocess im gesammten Seelenleben und Erkenntnissvorgange
(s. H. Wolff).
**) "Das wirkliche Denken bewegt sich in Vorstellungen" (s. Lange)
und (nach Herbart) "existiren die Begriffe als solche nur in der Abstrac-
tion". Die Allgemeinheit wird durch die angeborene Rechnungsmethode
des Denkens von selbst gewonnen, mit zunehmender Geübtheit vervoll-
kommnet, ob freilich richtig oder unrichtig (was von dem psychischen
Gesundheitszustand abhängig bleibt).

einer „Gesichtsphilosophie“) „Alles unter dem Gesichtspunkt
des psychischen Processes zu begreifen“ („Alles auf die Psy-
chologie zurückzuführen“), denn „das Psychologische ist hier
nur noch ein Moment, nicht aber das tonangebende Element“.
So freilich bei individueller Auffassung der Psychologie, wo-
gegen die dem Zoon politikon angehörige Psyche, wenn die
im Gesellschaftsorganismus aufsteigende Spirale seines Wachs-
thumsprocesses verfolgend, sich auch in der ganzen Weite
realisirt, an den Zweigen des Menschheitsbaumes in Früchten
schwellend, und diese, nach den Verschiedenheiten ethnolo-
gischer Kreise, unter all den auf der Rundung des Globus
möglichen Formgebungen gewandelt.

Indem der Mensch in dem aus eigenem Mikrokosmos
reflectirten Horizont seiner Vorstellungen*) lebt, ergeben sich
die an demselben umherbewegten Gestaltungen als die in der
Umgebungswelt projicirten Schöpfungen innerer Denkthätig-
keiten (für die Psychologie).

Da nun als früheste Grundlage dafür die sinnlichen
Empfindungen und Wahrnehmungen*) unterliegen, so ent-
halten die nach Aussen geworfenen (und dort für objective
Auffassung verkörperten) Vorstellungen bereits ein Element
aus dem (im vorläufigen Gegensatz materiellen) Makrokosmos
in sich eingeschlossen.

Das ideell Gestaltete ist deshalb als ein Product des
psychischen Wachsthumsprocesses aufzufassen, als ein nach
dem Gesetze des menschlichen Organismus durch äusserlich
einfallenden Reiz angeregte Bildung**), und zwar der (für

*) Der Wahrnehmungsvorgang (Perceptions- wie Apperceptionsprocess)
ist der Grundprocess im gesammten Seelenleben und Erkenntnissvorgange
(s. H. Wolff).
*) Der Wahrnehmungsvorgang (Perceptions- wie Apperceptionsprocess)
ist der Grundprocess im gesammten Seelenleben und Erkenntnissvorgange
(s. H. Wolff).
**) „Das wirkliche Denken bewegt sich in Vorstellungen“ (s. Lange)
und (nach Herbart) „existiren die Begriffe als solche nur in der Abstrac-
tion“. Die Allgemeinheit wird durch die angeborene Rechnungsmethode
des Denkens von selbst gewonnen, mit zunehmender Geübtheit vervoll-
kommnet, ob freilich richtig oder unrichtig (was von dem psychischen
Gesundheitszustand abhängig bleibt).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0048" n="14"/>
einer &#x201E;Gesichtsphilosophie&#x201C;) &#x201E;Alles unter dem Gesichtspunkt<lb/>
des psychischen Processes zu begreifen&#x201C; (&#x201E;Alles auf die Psy-<lb/>
chologie zurückzuführen&#x201C;), denn &#x201E;das Psychologische ist hier<lb/>
nur noch ein Moment, nicht aber das tonangebende Element&#x201C;.<lb/>
So freilich bei individueller Auffassung der Psychologie, wo-<lb/>
gegen die dem Zoon politikon angehörige Psyche, wenn die<lb/>
im Gesellschaftsorganismus aufsteigende Spirale seines Wachs-<lb/>
thumsprocesses verfolgend, sich auch in der ganzen Weite<lb/>
realisirt, an den Zweigen des Menschheitsbaumes in Früchten<lb/>
schwellend, und diese, nach den Verschiedenheiten ethnolo-<lb/>
gischer Kreise, unter all den auf der Rundung des Globus<lb/>
möglichen Formgebungen gewandelt.</p><lb/>
        <p>Indem der Mensch in dem aus eigenem Mikrokosmos<lb/>
reflectirten Horizont seiner Vorstellungen<note place="foot" n="*)">Der Wahrnehmungsvorgang (Perceptions- wie Apperceptionsprocess)<lb/>
ist der Grundprocess im gesammten Seelenleben und Erkenntnissvorgange<lb/>
(s. H. Wolff).</note> lebt, ergeben sich<lb/>
die an demselben umherbewegten Gestaltungen als die in der<lb/>
Umgebungswelt projicirten Schöpfungen innerer Denkthätig-<lb/>
keiten (für die Psychologie).</p><lb/>
        <p>Da nun als früheste Grundlage dafür die sinnlichen<lb/>
Empfindungen und Wahrnehmungen<note place="foot" n="*)">Der Wahrnehmungsvorgang (Perceptions- wie Apperceptionsprocess)<lb/>
ist der Grundprocess im gesammten Seelenleben und Erkenntnissvorgange<lb/>
(s. H. Wolff).</note> unterliegen, so ent-<lb/>
halten die nach Aussen geworfenen (und dort für objective<lb/>
Auffassung verkörperten) Vorstellungen bereits ein Element<lb/>
aus dem (im vorläufigen Gegensatz materiellen) Makrokosmos<lb/>
in sich eingeschlossen.</p><lb/>
        <p>Das ideell Gestaltete ist deshalb als ein Product des<lb/>
psychischen Wachsthumsprocesses aufzufassen, als ein nach<lb/>
dem Gesetze des menschlichen Organismus durch äusserlich<lb/>
einfallenden Reiz angeregte Bildung<note place="foot" n="**)">&#x201E;Das wirkliche Denken bewegt sich in Vorstellungen&#x201C; (s. Lange)<lb/>
und (nach Herbart) &#x201E;existiren die Begriffe als solche nur in der Abstrac-<lb/>
tion&#x201C;. Die Allgemeinheit wird durch die angeborene Rechnungsmethode<lb/>
des Denkens von selbst gewonnen, mit zunehmender Geübtheit vervoll-<lb/>
kommnet, ob freilich richtig oder unrichtig (was von dem psychischen<lb/>
Gesundheitszustand abhängig bleibt).</note>, und zwar der (für<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[14/0048] einer „Gesichtsphilosophie“) „Alles unter dem Gesichtspunkt des psychischen Processes zu begreifen“ („Alles auf die Psy- chologie zurückzuführen“), denn „das Psychologische ist hier nur noch ein Moment, nicht aber das tonangebende Element“. So freilich bei individueller Auffassung der Psychologie, wo- gegen die dem Zoon politikon angehörige Psyche, wenn die im Gesellschaftsorganismus aufsteigende Spirale seines Wachs- thumsprocesses verfolgend, sich auch in der ganzen Weite realisirt, an den Zweigen des Menschheitsbaumes in Früchten schwellend, und diese, nach den Verschiedenheiten ethnolo- gischer Kreise, unter all den auf der Rundung des Globus möglichen Formgebungen gewandelt. Indem der Mensch in dem aus eigenem Mikrokosmos reflectirten Horizont seiner Vorstellungen *) lebt, ergeben sich die an demselben umherbewegten Gestaltungen als die in der Umgebungswelt projicirten Schöpfungen innerer Denkthätig- keiten (für die Psychologie). Da nun als früheste Grundlage dafür die sinnlichen Empfindungen und Wahrnehmungen *) unterliegen, so ent- halten die nach Aussen geworfenen (und dort für objective Auffassung verkörperten) Vorstellungen bereits ein Element aus dem (im vorläufigen Gegensatz materiellen) Makrokosmos in sich eingeschlossen. Das ideell Gestaltete ist deshalb als ein Product des psychischen Wachsthumsprocesses aufzufassen, als ein nach dem Gesetze des menschlichen Organismus durch äusserlich einfallenden Reiz angeregte Bildung **), und zwar der (für *) Der Wahrnehmungsvorgang (Perceptions- wie Apperceptionsprocess) ist der Grundprocess im gesammten Seelenleben und Erkenntnissvorgange (s. H. Wolff). *) Der Wahrnehmungsvorgang (Perceptions- wie Apperceptionsprocess) ist der Grundprocess im gesammten Seelenleben und Erkenntnissvorgange (s. H. Wolff). **) „Das wirkliche Denken bewegt sich in Vorstellungen“ (s. Lange) und (nach Herbart) „existiren die Begriffe als solche nur in der Abstrac- tion“. Die Allgemeinheit wird durch die angeborene Rechnungsmethode des Denkens von selbst gewonnen, mit zunehmender Geübtheit vervoll- kommnet, ob freilich richtig oder unrichtig (was von dem psychischen Gesundheitszustand abhängig bleibt).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/48
Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/48>, abgerufen am 15.10.2024.