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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

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Wien nicht schmerzt ... Aber wie lange wird's
dauern?"

Nun, es dauerte schöne, lange, glückliche Jahre,
und dafür bin ich noch heute dem viel gelobten und
viel geschmähten großen Todten von Herzen dankbar.

Unvergeßlich theuer sind mir auch die seltenen Abend¬
stunden, die ich in Tieck's engstem Familienkreise ver¬
leben durfte. Gewöhnlich waren dann außer der Hof¬
räthin, den Töchtern, der Gräfin Finkenstein nur noch
zugegen die treue Hausfreundin Fräulein Reinhold, die
begabte Verfasserin von König Sebastian und Irrwisch
Fritze, meine Mutter und ich. Tieck zog für diesen kleinen
traulichen Kreis nicht mit dem eleganten Frack den be¬
rühmten, gefeierten Dichter an. Er blieb in seinem
kleidsamen talarartigen schwarzen Sammetrock und in
seinem ganzen Auftreten und Sprechen ungeschmückter,
menschlicher, liebenswürdiger. Und wie heiter gemüthlich
konnte er dann erzählen von seiner ärmlichen Kindheit,
seiner stürmischen Jugend, seinen bunten Manneserleb¬
nissen und Erfahrungen und seinen liebsten "Komö¬
dianten"! Wie verstand er es, uns in dem engen, düsteren
Hinterstübchen der Berliner Roßstraße heimisch zu machen,
in dem er am 31. Mai 1773 geboren war. Er führte
den Vater, den praktisch klugen, weit umher gewanderten
und vermöglichen Seilermeister und die milde, fromme
Mutter, die ihn aus der Bibel und dem verehrten Porst'¬
schen Gesangbuche lesen lehrte, seine zwei Jahre jüngere,
poetisch hochbegabte Schwester Sophie, und den kleinen

Wien nicht ſchmerzt … Aber wie lange wird's
dauern?«

Nun, es dauerte ſchöne, lange, glückliche Jahre,
und dafür bin ich noch heute dem viel gelobten und
viel geſchmähten großen Todten von Herzen dankbar.

Unvergeßlich theuer ſind mir auch die ſeltenen Abend¬
ſtunden, die ich in Tieck's engſtem Familienkreiſe ver¬
leben durfte. Gewöhnlich waren dann außer der Hof¬
räthin, den Töchtern, der Gräfin Finkenſtein nur noch
zugegen die treue Hausfreundin Fräulein Reinhold, die
begabte Verfaſſerin von König Sebaſtian und Irrwiſch
Fritze, meine Mutter und ich. Tieck zog für dieſen kleinen
traulichen Kreis nicht mit dem eleganten Frack den be¬
rühmten, gefeierten Dichter an. Er blieb in ſeinem
kleidſamen talarartigen ſchwarzen Sammetrock und in
ſeinem ganzen Auftreten und Sprechen ungeſchmückter,
menſchlicher, liebenswürdiger. Und wie heiter gemüthlich
konnte er dann erzählen von ſeiner ärmlichen Kindheit,
ſeiner ſtürmiſchen Jugend, ſeinen bunten Manneserleb¬
niſſen und Erfahrungen und ſeinen liebſten »Komö¬
dianten«! Wie verſtand er es, uns in dem engen, düſteren
Hinterſtübchen der Berliner Roßſtraße heimiſch zu machen,
in dem er am 31. Mai 1773 geboren war. Er führte
den Vater, den praktiſch klugen, weit umher gewanderten
und vermöglichen Seilermeiſter und die milde, fromme
Mutter, die ihn aus der Bibel und dem verehrten Porſt'¬
ſchen Geſangbuche leſen lehrte, ſeine zwei Jahre jüngere,
poetiſch hochbegabte Schweſter Sophie, und den kleinen

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[384/0412] Wien nicht ſchmerzt … Aber wie lange wird's dauern?« Nun, es dauerte ſchöne, lange, glückliche Jahre, und dafür bin ich noch heute dem viel gelobten und viel geſchmähten großen Todten von Herzen dankbar. Unvergeßlich theuer ſind mir auch die ſeltenen Abend¬ ſtunden, die ich in Tieck's engſtem Familienkreiſe ver¬ leben durfte. Gewöhnlich waren dann außer der Hof¬ räthin, den Töchtern, der Gräfin Finkenſtein nur noch zugegen die treue Hausfreundin Fräulein Reinhold, die begabte Verfaſſerin von König Sebaſtian und Irrwiſch Fritze, meine Mutter und ich. Tieck zog für dieſen kleinen traulichen Kreis nicht mit dem eleganten Frack den be¬ rühmten, gefeierten Dichter an. Er blieb in ſeinem kleidſamen talarartigen ſchwarzen Sammetrock und in ſeinem ganzen Auftreten und Sprechen ungeſchmückter, menſchlicher, liebenswürdiger. Und wie heiter gemüthlich konnte er dann erzählen von ſeiner ärmlichen Kindheit, ſeiner ſtürmiſchen Jugend, ſeinen bunten Manneserleb¬ niſſen und Erfahrungen und ſeinen liebſten »Komö¬ dianten«! Wie verſtand er es, uns in dem engen, düſteren Hinterſtübchen der Berliner Roßſtraße heimiſch zu machen, in dem er am 31. Mai 1773 geboren war. Er führte den Vater, den praktiſch klugen, weit umher gewanderten und vermöglichen Seilermeiſter und die milde, fromme Mutter, die ihn aus der Bibel und dem verehrten Porſt'¬ ſchen Geſangbuche leſen lehrte, ſeine zwei Jahre jüngere, poetiſch hochbegabte Schweſter Sophie, und den kleinen

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Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/412>, abgerufen am 23.04.2024.