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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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Straßen und über geräuschvolle Märkte, bis endlich das Gasthaus erreicht wurde, in welchem Leonardus dem Freund und der Geliebten eine ruhige Unterkunft zu bereiten gedachte. Alles zu Ordnende ordnete sich leicht und rasch. Die Fremden mietheten und bezahlten die ihnen nöthige Zimmerzahl gleich auf eine Woche voraus, und fanden die trefflichste Einrichtung und die berühmte holländische Reinlichkeit in sich selbst übertreffender Weise; Alles auf das Wünschenswertheste, als sei es längst vorausbestellt. Kein Stäubchen auf Gesimsen und Möbeln, jede Bequemlichkeit geboten, Schreibzeug, Federn, Papier, Oblaten und Siegellack, ja es fehlte nicht am Schreibtisch der Kalender, nicht auf dem Betpult die Bibel, und die Kaminsimse prangten mit den allerschönsten und buntesten Figuren, Männchen und Götzenbildern von Porzellan und Speckstein aus dem Reiche der Weltmitte und dem Sonnenlande Nippon. Prächtige starkbauchige Porzellanvasen hauchten in ihrer Eigenschaft als Räuchertöpfe köstlichen Wohlgeruch aus, und in zartgeformten Gefäßen dufteten Veilchen, des nahen Lenzes liebliche Erstlinge.

Ein Plan ward rasch entworfen; Leonardus wollte zuerst das älterliche Haus begrüßen, den Besuch des Freundes anmelden, diesen dann selbst einführen, dann mit ihm zurückkehren und die Nachmittags- und Abendzeit benutzen, ihn und seine Anges den Genüssen zuzuführen, welche Amsterdam in so reicher Fülle darbietet. Wenn es sich einleiten lasse, solle Herr Adrianus von der Valck Anges sehen; sie solle suchen dessen Herz zu gewinnen, und zugleich wollte Leonardus versuchen, das Band zu lösen, das ohne seinen Willen und ohne ihn und seine Zustimmung zu befragen, der Vater um seine Freiheit geschlungen hatte. Anges hörte diese Pläne mit einem Gefühle von Wehmuth an, welches sie niederzudrücken strebte, aber als Leonardus geschieden war, vermochte sie ihre Thränen nicht mehr zurückzuhalten und sprach zu Ludwig, in dessen Gesellschaft sie mit dem Kinde völlig unbefangen blieb: Mein Geschick ist ein sehr schweres und hartes, mein brüderlicher Freund! Ich habe mir schon tausendfache Vorwürfe gemacht, daß ich meinem überwallenden Gefühle und dem geliebten Jugendfreunde folgte; aber ich bin vielleicht auch in etwas zu entschuldigen, wenn ich sein plötzliches Erscheinen in einem Augenblicke, welcher mich der Verzweiflung nahe brachte, für einen Wink Gottes

Straßen und über geräuschvolle Märkte, bis endlich das Gasthaus erreicht wurde, in welchem Leonardus dem Freund und der Geliebten eine ruhige Unterkunft zu bereiten gedachte. Alles zu Ordnende ordnete sich leicht und rasch. Die Fremden mietheten und bezahlten die ihnen nöthige Zimmerzahl gleich auf eine Woche voraus, und fanden die trefflichste Einrichtung und die berühmte holländische Reinlichkeit in sich selbst übertreffender Weise; Alles auf das Wünschenswertheste, als sei es längst vorausbestellt. Kein Stäubchen auf Gesimsen und Möbeln, jede Bequemlichkeit geboten, Schreibzeug, Federn, Papier, Oblaten und Siegellack, ja es fehlte nicht am Schreibtisch der Kalender, nicht auf dem Betpult die Bibel, und die Kaminsimse prangten mit den allerschönsten und buntesten Figuren, Männchen und Götzenbildern von Porzellan und Speckstein aus dem Reiche der Weltmitte und dem Sonnenlande Nippon. Prächtige starkbauchige Porzellanvasen hauchten in ihrer Eigenschaft als Räuchertöpfe köstlichen Wohlgeruch aus, und in zartgeformten Gefäßen dufteten Veilchen, des nahen Lenzes liebliche Erstlinge.

Ein Plan ward rasch entworfen; Leonardus wollte zuerst das älterliche Haus begrüßen, den Besuch des Freundes anmelden, diesen dann selbst einführen, dann mit ihm zurückkehren und die Nachmittags- und Abendzeit benutzen, ihn und seine Angés den Genüssen zuzuführen, welche Amsterdam in so reicher Fülle darbietet. Wenn es sich einleiten lasse, solle Herr Adrianus von der Valck Angés sehen; sie solle suchen dessen Herz zu gewinnen, und zugleich wollte Leonardus versuchen, das Band zu lösen, das ohne seinen Willen und ohne ihn und seine Zustimmung zu befragen, der Vater um seine Freiheit geschlungen hatte. Angés hörte diese Pläne mit einem Gefühle von Wehmuth an, welches sie niederzudrücken strebte, aber als Leonardus geschieden war, vermochte sie ihre Thränen nicht mehr zurückzuhalten und sprach zu Ludwig, in dessen Gesellschaft sie mit dem Kinde völlig unbefangen blieb: Mein Geschick ist ein sehr schweres und hartes, mein brüderlicher Freund! Ich habe mir schon tausendfache Vorwürfe gemacht, daß ich meinem überwallenden Gefühle und dem geliebten Jugendfreunde folgte; aber ich bin vielleicht auch in etwas zu entschuldigen, wenn ich sein plötzliches Erscheinen in einem Augenblicke, welcher mich der Verzweiflung nahe brachte, für einen Wink Gottes

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Straßen und über geräuschvolle Märkte, bis endlich das Gasthaus erreicht wurde, in welchem Leonardus dem Freund und der Geliebten eine ruhige Unterkunft zu bereiten gedachte. Alles zu Ordnende ordnete sich leicht und rasch. Die Fremden mietheten und bezahlten die ihnen nöthige Zimmerzahl gleich auf eine Woche voraus, und fanden die trefflichste Einrichtung und die berühmte holländische Reinlichkeit in sich selbst übertreffender Weise; Alles auf das Wünschenswertheste, als sei es längst vorausbestellt. Kein Stäubchen auf Gesimsen und Möbeln, jede Bequemlichkeit geboten, Schreibzeug, Federn, Papier, Oblaten und Siegellack, ja es fehlte nicht am Schreibtisch der Kalender, nicht auf dem Betpult die Bibel, und die Kaminsimse prangten mit den allerschönsten und buntesten Figuren, Männchen und Götzenbildern von Porzellan und Speckstein aus dem Reiche der Weltmitte und dem Sonnenlande Nippon. Prächtige starkbauchige Porzellanvasen hauchten in ihrer Eigenschaft als Räuchertöpfe köstlichen Wohlgeruch aus, und in zartgeformten Gefäßen dufteten Veilchen, des nahen Lenzes liebliche Erstlinge.</p>
          <p>Ein Plan ward rasch entworfen; Leonardus wollte zuerst das älterliche Haus begrüßen, den Besuch des Freundes anmelden, diesen dann selbst einführen, dann mit ihm zurückkehren und die Nachmittags- und Abendzeit benutzen, ihn und seine Angés den Genüssen zuzuführen, welche Amsterdam in so reicher Fülle darbietet. Wenn es sich einleiten lasse, solle Herr Adrianus von der Valck Angés sehen; sie solle suchen dessen Herz zu gewinnen, und zugleich wollte Leonardus versuchen, das Band zu lösen, das ohne seinen Willen und ohne ihn und seine Zustimmung zu befragen, der Vater um seine Freiheit geschlungen hatte. Angés hörte diese Pläne mit einem Gefühle von Wehmuth an, welches sie niederzudrücken strebte, aber als Leonardus geschieden war, vermochte sie ihre Thränen nicht mehr zurückzuhalten und sprach zu Ludwig, in dessen Gesellschaft sie mit dem Kinde völlig unbefangen blieb: Mein Geschick ist ein sehr schweres und hartes, mein brüderlicher Freund! Ich habe mir schon tausendfache Vorwürfe gemacht, daß ich meinem überwallenden Gefühle und dem geliebten Jugendfreunde folgte; aber ich bin vielleicht auch in etwas zu entschuldigen, wenn ich sein plötzliches Erscheinen in einem Augenblicke, welcher mich der Verzweiflung nahe brachte, für einen Wink Gottes
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[96/0100] Straßen und über geräuschvolle Märkte, bis endlich das Gasthaus erreicht wurde, in welchem Leonardus dem Freund und der Geliebten eine ruhige Unterkunft zu bereiten gedachte. Alles zu Ordnende ordnete sich leicht und rasch. Die Fremden mietheten und bezahlten die ihnen nöthige Zimmerzahl gleich auf eine Woche voraus, und fanden die trefflichste Einrichtung und die berühmte holländische Reinlichkeit in sich selbst übertreffender Weise; Alles auf das Wünschenswertheste, als sei es längst vorausbestellt. Kein Stäubchen auf Gesimsen und Möbeln, jede Bequemlichkeit geboten, Schreibzeug, Federn, Papier, Oblaten und Siegellack, ja es fehlte nicht am Schreibtisch der Kalender, nicht auf dem Betpult die Bibel, und die Kaminsimse prangten mit den allerschönsten und buntesten Figuren, Männchen und Götzenbildern von Porzellan und Speckstein aus dem Reiche der Weltmitte und dem Sonnenlande Nippon. Prächtige starkbauchige Porzellanvasen hauchten in ihrer Eigenschaft als Räuchertöpfe köstlichen Wohlgeruch aus, und in zartgeformten Gefäßen dufteten Veilchen, des nahen Lenzes liebliche Erstlinge. Ein Plan ward rasch entworfen; Leonardus wollte zuerst das älterliche Haus begrüßen, den Besuch des Freundes anmelden, diesen dann selbst einführen, dann mit ihm zurückkehren und die Nachmittags- und Abendzeit benutzen, ihn und seine Angés den Genüssen zuzuführen, welche Amsterdam in so reicher Fülle darbietet. Wenn es sich einleiten lasse, solle Herr Adrianus von der Valck Angés sehen; sie solle suchen dessen Herz zu gewinnen, und zugleich wollte Leonardus versuchen, das Band zu lösen, das ohne seinen Willen und ohne ihn und seine Zustimmung zu befragen, der Vater um seine Freiheit geschlungen hatte. Angés hörte diese Pläne mit einem Gefühle von Wehmuth an, welches sie niederzudrücken strebte, aber als Leonardus geschieden war, vermochte sie ihre Thränen nicht mehr zurückzuhalten und sprach zu Ludwig, in dessen Gesellschaft sie mit dem Kinde völlig unbefangen blieb: Mein Geschick ist ein sehr schweres und hartes, mein brüderlicher Freund! Ich habe mir schon tausendfache Vorwürfe gemacht, daß ich meinem überwallenden Gefühle und dem geliebten Jugendfreunde folgte; aber ich bin vielleicht auch in etwas zu entschuldigen, wenn ich sein plötzliches Erscheinen in einem Augenblicke, welcher mich der Verzweiflung nahe brachte, für einen Wink Gottes

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/100>, abgerufen am 28.03.2024.