Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

Wie -- er liebt, er betet an, wie diese glühende Sprache seines Briefes bekundet -- und will doch fort, aus zartesten Rücksichten? Das ist mir ein Räthsel! sprach Leonardus zu sich selbst. -- "Die hiesige Luft, so sehr sie gepriesen wird, ist meiner Gesundheit ganz und gar nicht zuträglich, und was die Seeluft betrifft, so mag ein empfänglicherer Sinn, als der meine, dazu gehören, deren Einwirkung auf den kranken Organismus wahrzunehmen. Ich sehne mich nach deutscher Luft, es wird mir nirgends wohl werden, als in der deutschen Heimath. Leider kränkle ich immer noch, trotz all' der freudigsten und wohlthuendsten Erregungen, die mir in England, in London und auf all' den herrlichen Landsitzen zu Theil wurden. Ich möchte mich, und wohlmeinende Freunde rathen mir das an, einem deutschen Arzt anvertrauen; man hat mir Starke genannt, welcher ein berühmter Arzt in der kleinen sächsischen Universitätsstadt Jena ist. Ueberhaupt hörte ich stets vieles Gute von den kleinen sächsischen Städten und Höfen; humane und gebildete Fürsten regieren dort ihre Länder; gründen, fördern und erhalten Anstalten für Wissenschaften und Künste; legen zu diesen Zwecken bedeutende Sammlungen an und vergönnen deren belehrenden Genuß und Gebrauch ihrem Volke; während, was hier die Herzoge und Lords sammeln, gleichsam vergraben wird und ärger gehütet, als das goldene Vließ zu Kolchis. Ich denke es mir sehr angenehm, einmal in dieses Herzland des heiligen römischen Reiches zu reisen, ein Reich, von dem wir keine rechte Idee haben. Hoffentlich wird mir dort wieder wohl, und vielleicht finde ich den inneren Frieden, der mir, selbst im Schooße des Glückes, noch mangelt. Ach, wie hat mich in England das rastlose Ringen und Streben der Vornehmen nach Erreichung politischer Zwecke gedrückt und unangenehm berührt -- selbst meine Munterkeit litt darunter; was ich ersehne, mein Leonardus, das ist Stille, das ist Einsamkeit, wie die Großmutter mir beim Scheiden sagte: Glaube, daß die Einsamkeit wunderköstliche Stunden gewährt."



Wie — er liebt, er betet an, wie diese glühende Sprache seines Briefes bekundet — und will doch fort, aus zartesten Rücksichten? Das ist mir ein Räthsel! sprach Leonardus zu sich selbst. — „Die hiesige Luft, so sehr sie gepriesen wird, ist meiner Gesundheit ganz und gar nicht zuträglich, und was die Seeluft betrifft, so mag ein empfänglicherer Sinn, als der meine, dazu gehören, deren Einwirkung auf den kranken Organismus wahrzunehmen. Ich sehne mich nach deutscher Luft, es wird mir nirgends wohl werden, als in der deutschen Heimath. Leider kränkle ich immer noch, trotz all’ der freudigsten und wohlthuendsten Erregungen, die mir in England, in London und auf all’ den herrlichen Landsitzen zu Theil wurden. Ich möchte mich, und wohlmeinende Freunde rathen mir das an, einem deutschen Arzt anvertrauen; man hat mir Starke genannt, welcher ein berühmter Arzt in der kleinen sächsischen Universitätsstadt Jena ist. Ueberhaupt hörte ich stets vieles Gute von den kleinen sächsischen Städten und Höfen; humane und gebildete Fürsten regieren dort ihre Länder; gründen, fördern und erhalten Anstalten für Wissenschaften und Künste; legen zu diesen Zwecken bedeutende Sammlungen an und vergönnen deren belehrenden Genuß und Gebrauch ihrem Volke; während, was hier die Herzoge und Lords sammeln, gleichsam vergraben wird und ärger gehütet, als das goldene Vließ zu Kolchis. Ich denke es mir sehr angenehm, einmal in dieses Herzland des heiligen römischen Reiches zu reisen, ein Reich, von dem wir keine rechte Idee haben. Hoffentlich wird mir dort wieder wohl, und vielleicht finde ich den inneren Frieden, der mir, selbst im Schooße des Glückes, noch mangelt. Ach, wie hat mich in England das rastlose Ringen und Streben der Vornehmen nach Erreichung politischer Zwecke gedrückt und unangenehm berührt — selbst meine Munterkeit litt darunter; was ich ersehne, mein Leonardus, das ist Stille, das ist Einsamkeit, wie die Großmutter mir beim Scheiden sagte: Glaube, daß die Einsamkeit wunderköstliche Stunden gewährt.“



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0271" n="267"/>
          <p>Wie &#x2014; er liebt, er betet an, wie diese glühende Sprache seines Briefes bekundet &#x2014; und will doch fort, aus zartesten Rücksichten? Das ist mir ein Räthsel! sprach Leonardus zu sich selbst. &#x2014; &#x201E;Die hiesige Luft, so sehr sie gepriesen wird, ist meiner Gesundheit ganz und gar nicht zuträglich, und was die Seeluft betrifft, so mag ein empfänglicherer Sinn, als der meine, dazu gehören, deren Einwirkung auf den kranken Organismus wahrzunehmen. Ich sehne mich nach deutscher Luft, es wird mir nirgends wohl werden, als in der deutschen Heimath. Leider kränkle ich immer noch, trotz all&#x2019; der freudigsten und wohlthuendsten Erregungen, die mir in England, in London und auf all&#x2019; den herrlichen Landsitzen zu Theil wurden. Ich möchte mich, und wohlmeinende Freunde rathen mir das an, einem deutschen Arzt anvertrauen; man hat mir Starke genannt, welcher ein berühmter Arzt in der kleinen sächsischen Universitätsstadt Jena ist. Ueberhaupt hörte ich stets vieles Gute von den kleinen sächsischen Städten und Höfen; humane und gebildete Fürsten regieren dort ihre Länder; gründen, fördern und erhalten Anstalten für Wissenschaften und Künste; legen zu diesen Zwecken bedeutende Sammlungen an und vergönnen deren belehrenden Genuß und Gebrauch ihrem Volke; während, was hier die Herzoge und Lords sammeln, gleichsam vergraben wird und ärger gehütet, als das goldene Vließ zu Kolchis. Ich denke es mir sehr angenehm, einmal in dieses Herzland des heiligen römischen Reiches zu reisen, ein Reich, von dem wir keine rechte Idee haben. Hoffentlich wird mir dort wieder wohl, und vielleicht finde ich den inneren Frieden, der mir, selbst im Schooße des Glückes, noch mangelt. Ach, wie hat mich in England das rastlose Ringen und Streben der Vornehmen nach Erreichung politischer Zwecke gedrückt und unangenehm berührt &#x2014; selbst meine Munterkeit litt darunter; was ich ersehne, mein Leonardus, das ist Stille, das ist Einsamkeit, wie die Großmutter mir beim Scheiden sagte: Glaube, daß die Einsamkeit wunderköstliche Stunden gewährt.&#x201C; </p>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="2">
</div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[267/0271] Wie — er liebt, er betet an, wie diese glühende Sprache seines Briefes bekundet — und will doch fort, aus zartesten Rücksichten? Das ist mir ein Räthsel! sprach Leonardus zu sich selbst. — „Die hiesige Luft, so sehr sie gepriesen wird, ist meiner Gesundheit ganz und gar nicht zuträglich, und was die Seeluft betrifft, so mag ein empfänglicherer Sinn, als der meine, dazu gehören, deren Einwirkung auf den kranken Organismus wahrzunehmen. Ich sehne mich nach deutscher Luft, es wird mir nirgends wohl werden, als in der deutschen Heimath. Leider kränkle ich immer noch, trotz all’ der freudigsten und wohlthuendsten Erregungen, die mir in England, in London und auf all’ den herrlichen Landsitzen zu Theil wurden. Ich möchte mich, und wohlmeinende Freunde rathen mir das an, einem deutschen Arzt anvertrauen; man hat mir Starke genannt, welcher ein berühmter Arzt in der kleinen sächsischen Universitätsstadt Jena ist. Ueberhaupt hörte ich stets vieles Gute von den kleinen sächsischen Städten und Höfen; humane und gebildete Fürsten regieren dort ihre Länder; gründen, fördern und erhalten Anstalten für Wissenschaften und Künste; legen zu diesen Zwecken bedeutende Sammlungen an und vergönnen deren belehrenden Genuß und Gebrauch ihrem Volke; während, was hier die Herzoge und Lords sammeln, gleichsam vergraben wird und ärger gehütet, als das goldene Vließ zu Kolchis. Ich denke es mir sehr angenehm, einmal in dieses Herzland des heiligen römischen Reiches zu reisen, ein Reich, von dem wir keine rechte Idee haben. Hoffentlich wird mir dort wieder wohl, und vielleicht finde ich den inneren Frieden, der mir, selbst im Schooße des Glückes, noch mangelt. Ach, wie hat mich in England das rastlose Ringen und Streben der Vornehmen nach Erreichung politischer Zwecke gedrückt und unangenehm berührt — selbst meine Munterkeit litt darunter; was ich ersehne, mein Leonardus, das ist Stille, das ist Einsamkeit, wie die Großmutter mir beim Scheiden sagte: Glaube, daß die Einsamkeit wunderköstliche Stunden gewährt.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML. (2013-01-22T14:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
austrian literature online: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-22T14:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-22T14:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Der Zeilenfall wurde aufgehoben, die Absätze beibehalten.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/271
Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/271>, abgerufen am 28.03.2024.