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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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riß es mich hin, und der alte Gemeinplatz: der Mensch kann seinem Schicksal nicht entgehen, wurde leider auch an mir zur vollen Wahrheit. Ja, ich glaube jetzt, daß ein Fatum waltet, aber thun Sie, liebster Freund Windt, mir deßhalb die Ehre nicht an, mich für einen neumodischen Philosophen zu halten, ich habe nie ein philosophisches Buch gelesen, ach, es bedarf der Bücher nicht, das Leben dictirt uns seine schmerzdurchwebte Weisheit laut genug und tief in die Seele hinein. Ich stürmte aufs Neue fort und wandte mich gegen den Rhein; ich war wieder Kaufmann und schloß Geschäfte ab für ein Haus in Amsterdam, bei dem ich mit einem Kapital, gleichsam als stillschweigender Compagnon, eingetreten bin. Der Geschäftsreisende erleidet auch in kriegerischer Zeit wenig Störung. Der vermehrte Bedarf macht den Verkehr, besonders in Colonialwaaren, lebhafter als je und da die überseeischen Zufuhren stockten und England den Continentalhandel hemmte, so ließen sich die alten Vorräthe um so vortheilhafter zu hohen Preisen verwerthen; ich war daher dort, wo ich Geschäfte machen wollte, überall willkommen, und gewann schon dadurch, daß ich reiste und in Stand gesetzt war, immer noch zu billigeren Preisen als Andere notiren zu können, bedeutende Summen. Die Vorräthe unseres Hauses waren groß und in guten Zeiten sehr billig eingekauft; jetzt ließen Kaffee, Zucker, Rosinen, Gewürze, Tabake zu einer Preishöhe sich absetzen, die eben nur der Krieg erzeugen kann. Meine Kenntnisse der Sprachen kamen mir auf der Reise stets gut zu Statten. Während Frankreich fort und fort noch zerrissen war von den blutigsten und grausamsten Kämpfen im Innern, im Süden und im Westen, und obendrein noch von England bedroht, das zugleich die Rüstungen der Reaction unterstützte, ging ich nach dem Rheine. Unruhig genug sah es auch an den beiden Ufern dieses gottgesegneten deutschen Stromes aus. Den Rhein solltet ihr sehen, Freunde, in seiner Herrlichkeit, in seiner Schönheit! Der schmale Arm von ihm, der bei Doorwerth vorüberfließt, ist freilich dagegen nur ein reizloser Canal. Aber wer konnte auf die Reize der Natur achten zur Zeit eines Krieges, der alle Heerstraßen, alle Städte, alle Dörfer und Höfe mit Soldaten füllte? Auch die schöne Pfalz war Kriegsschauplatz geworden, die ich so ganz verändert und von Heeren überschwemmt wiedersah. Mein liebes Zweibrücken, der Ort, wo ich zuerst Hand in Hand

riß es mich hin, und der alte Gemeinplatz: der Mensch kann seinem Schicksal nicht entgehen, wurde leider auch an mir zur vollen Wahrheit. Ja, ich glaube jetzt, daß ein Fatum waltet, aber thun Sie, liebster Freund Windt, mir deßhalb die Ehre nicht an, mich für einen neumodischen Philosophen zu halten, ich habe nie ein philosophisches Buch gelesen, ach, es bedarf der Bücher nicht, das Leben dictirt uns seine schmerzdurchwebte Weisheit laut genug und tief in die Seele hinein. Ich stürmte aufs Neue fort und wandte mich gegen den Rhein; ich war wieder Kaufmann und schloß Geschäfte ab für ein Haus in Amsterdam, bei dem ich mit einem Kapital, gleichsam als stillschweigender Compagnon, eingetreten bin. Der Geschäftsreisende erleidet auch in kriegerischer Zeit wenig Störung. Der vermehrte Bedarf macht den Verkehr, besonders in Colonialwaaren, lebhafter als je und da die überseeischen Zufuhren stockten und England den Continentalhandel hemmte, so ließen sich die alten Vorräthe um so vortheilhafter zu hohen Preisen verwerthen; ich war daher dort, wo ich Geschäfte machen wollte, überall willkommen, und gewann schon dadurch, daß ich reiste und in Stand gesetzt war, immer noch zu billigeren Preisen als Andere notiren zu können, bedeutende Summen. Die Vorräthe unseres Hauses waren groß und in guten Zeiten sehr billig eingekauft; jetzt ließen Kaffee, Zucker, Rosinen, Gewürze, Tabake zu einer Preishöhe sich absetzen, die eben nur der Krieg erzeugen kann. Meine Kenntnisse der Sprachen kamen mir auf der Reise stets gut zu Statten. Während Frankreich fort und fort noch zerrissen war von den blutigsten und grausamsten Kämpfen im Innern, im Süden und im Westen, und obendrein noch von England bedroht, das zugleich die Rüstungen der Reaction unterstützte, ging ich nach dem Rheine. Unruhig genug sah es auch an den beiden Ufern dieses gottgesegneten deutschen Stromes aus. Den Rhein solltet ihr sehen, Freunde, in seiner Herrlichkeit, in seiner Schönheit! Der schmale Arm von ihm, der bei Doorwerth vorüberfließt, ist freilich dagegen nur ein reizloser Canal. Aber wer konnte auf die Reize der Natur achten zur Zeit eines Krieges, der alle Heerstraßen, alle Städte, alle Dörfer und Höfe mit Soldaten füllte? Auch die schöne Pfalz war Kriegsschauplatz geworden, die ich so ganz verändert und von Heeren überschwemmt wiedersah. Mein liebes Zweibrücken, der Ort, wo ich zuerst Hand in Hand

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riß es mich hin, und der alte Gemeinplatz: der Mensch kann seinem Schicksal nicht entgehen, wurde leider auch an mir zur vollen Wahrheit. Ja, ich glaube jetzt, daß ein Fatum waltet, aber thun Sie, liebster Freund Windt, mir deßhalb die Ehre nicht an, mich für einen neumodischen Philosophen zu halten, ich habe nie ein philosophisches Buch gelesen, ach, es bedarf der Bücher nicht, das Leben dictirt uns seine schmerzdurchwebte Weisheit laut genug und tief in die Seele hinein. Ich stürmte aufs Neue fort und wandte mich gegen den Rhein; ich war wieder Kaufmann und schloß Geschäfte ab für ein Haus in Amsterdam, bei dem ich mit einem Kapital, gleichsam als stillschweigender Compagnon, eingetreten bin. Der Geschäftsreisende erleidet auch in kriegerischer Zeit wenig Störung. Der vermehrte Bedarf macht den Verkehr, besonders in Colonialwaaren, lebhafter als je und da die überseeischen Zufuhren stockten und England den Continentalhandel hemmte, so ließen sich die alten Vorräthe um so vortheilhafter zu hohen Preisen verwerthen; ich war daher dort, wo ich Geschäfte machen wollte, überall willkommen, und gewann schon dadurch, daß ich reiste und in Stand gesetzt war, immer noch zu billigeren Preisen als Andere notiren zu können, bedeutende Summen. Die Vorräthe unseres Hauses waren groß und in guten Zeiten sehr billig eingekauft; jetzt ließen Kaffee, Zucker, Rosinen, Gewürze, Tabake zu einer Preishöhe sich absetzen, die eben nur der Krieg erzeugen kann. Meine Kenntnisse der Sprachen kamen mir auf der Reise stets gut zu Statten. Während Frankreich fort und fort noch zerrissen war von den blutigsten und grausamsten Kämpfen im Innern, im Süden und im Westen, und obendrein noch von England bedroht, das zugleich die Rüstungen der Reaction unterstützte, ging ich nach dem Rheine. Unruhig genug sah es auch an den beiden Ufern dieses gottgesegneten deutschen Stromes aus. Den Rhein solltet ihr sehen, Freunde, in seiner Herrlichkeit, in seiner Schönheit! Der schmale Arm von ihm, der bei Doorwerth vorüberfließt, ist freilich dagegen nur ein reizloser Canal. Aber wer konnte auf die Reize der Natur achten zur Zeit eines Krieges, der alle Heerstraßen, alle Städte, alle Dörfer und Höfe mit Soldaten füllte? Auch die schöne Pfalz war Kriegsschauplatz geworden, die ich so ganz verändert und von Heeren überschwemmt wiedersah. Mein liebes Zweibrücken, der Ort, wo ich zuerst Hand in Hand
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[283/0287] riß es mich hin, und der alte Gemeinplatz: der Mensch kann seinem Schicksal nicht entgehen, wurde leider auch an mir zur vollen Wahrheit. Ja, ich glaube jetzt, daß ein Fatum waltet, aber thun Sie, liebster Freund Windt, mir deßhalb die Ehre nicht an, mich für einen neumodischen Philosophen zu halten, ich habe nie ein philosophisches Buch gelesen, ach, es bedarf der Bücher nicht, das Leben dictirt uns seine schmerzdurchwebte Weisheit laut genug und tief in die Seele hinein. Ich stürmte aufs Neue fort und wandte mich gegen den Rhein; ich war wieder Kaufmann und schloß Geschäfte ab für ein Haus in Amsterdam, bei dem ich mit einem Kapital, gleichsam als stillschweigender Compagnon, eingetreten bin. Der Geschäftsreisende erleidet auch in kriegerischer Zeit wenig Störung. Der vermehrte Bedarf macht den Verkehr, besonders in Colonialwaaren, lebhafter als je und da die überseeischen Zufuhren stockten und England den Continentalhandel hemmte, so ließen sich die alten Vorräthe um so vortheilhafter zu hohen Preisen verwerthen; ich war daher dort, wo ich Geschäfte machen wollte, überall willkommen, und gewann schon dadurch, daß ich reiste und in Stand gesetzt war, immer noch zu billigeren Preisen als Andere notiren zu können, bedeutende Summen. Die Vorräthe unseres Hauses waren groß und in guten Zeiten sehr billig eingekauft; jetzt ließen Kaffee, Zucker, Rosinen, Gewürze, Tabake zu einer Preishöhe sich absetzen, die eben nur der Krieg erzeugen kann. Meine Kenntnisse der Sprachen kamen mir auf der Reise stets gut zu Statten. Während Frankreich fort und fort noch zerrissen war von den blutigsten und grausamsten Kämpfen im Innern, im Süden und im Westen, und obendrein noch von England bedroht, das zugleich die Rüstungen der Reaction unterstützte, ging ich nach dem Rheine. Unruhig genug sah es auch an den beiden Ufern dieses gottgesegneten deutschen Stromes aus. Den Rhein solltet ihr sehen, Freunde, in seiner Herrlichkeit, in seiner Schönheit! Der schmale Arm von ihm, der bei Doorwerth vorüberfließt, ist freilich dagegen nur ein reizloser Canal. Aber wer konnte auf die Reize der Natur achten zur Zeit eines Krieges, der alle Heerstraßen, alle Städte, alle Dörfer und Höfe mit Soldaten füllte? Auch die schöne Pfalz war Kriegsschauplatz geworden, die ich so ganz verändert und von Heeren überschwemmt wiedersah. Mein liebes Zweibrücken, der Ort, wo ich zuerst Hand in Hand

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/287>, abgerufen am 25.04.2024.