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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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11. Erlebnisse


Ludwig leistete dem Rathe der Großmutter Folge; von seinem treuen Diener begleitet, mit guten Pässen versehen und mit allen Mitteln ausgestattet, war es ihm leicht, sich allenthalben Eingang zu verschaffen. Seine edle gewinnende Persönlichkeit machte ihn bald zum Gegenstand der Aufmerksamkeit. Er verhüllte sich nicht, so wenig als er es liebte, sich zu offenbaren und sein Vertrauen an den Ersten den Besten hinzugeben; er suchte keine neuen Freunde, ach, an dem lieben entschlafenen Freund hing noch mit aller trauernden Wehmuth seine ganze Seele! Häufig, ja fast immer bediente er sich des ganz auf ihn lautenden Passes des Verstorbenen; der Unterschied der Jahre kam dabei nicht in Betracht, es war ja gleichviel, wie alt der junge Graf war, und sein Ernst, wie die Spuren eines stillen Leidens, ließen ihn ohnehin älter erscheinen, als er wirklich war. Graf Ludwig reiste zu seiner Belehrung; er hatte überall ein offenes Auge für die Reize der Natur, die Beschaffenheit und Ergiebigkeit des Bodens, für den Stand der Kultur in den verschiedenen deutschen Ländern, für die Sammlungen der Künste und Wissenschaften, und fühlte sich angezogen vom Umgang ausgezeichneter Menschen. Er selbst galt entweder für einen Franzosen, da er in der Sprache dieses Landes völlig fehlerfrei sich ausdrückte, oder für einen Holländer, da durch den längeren Aufenthalt in den Niederlanden allerdings manche Eigenthümlichkeit dieser Nation an ihm haften geblieben war, und um so lieber gab er sich für einen solchen aus, wenn er als Leonardus Cornelius van der Valck reiste. Auch in seiner Weise, sich schriftlich auszudrücken, so schön er auch Deutsch zu schreiben verstand, floß bisweilen eine niederländische Redeform mit ein.

Manchen Scherz hatten Herr und Diener auf ihren mannichfaltigen Reisen dadurch, daß sich die Leute weit mehr darüber die Köpfe zerbrachen, wer und woher der Diener eigentlich sei, als woher der

11. Erlebnisse


Ludwig leistete dem Rathe der Großmutter Folge; von seinem treuen Diener begleitet, mit guten Pässen versehen und mit allen Mitteln ausgestattet, war es ihm leicht, sich allenthalben Eingang zu verschaffen. Seine edle gewinnende Persönlichkeit machte ihn bald zum Gegenstand der Aufmerksamkeit. Er verhüllte sich nicht, so wenig als er es liebte, sich zu offenbaren und sein Vertrauen an den Ersten den Besten hinzugeben; er suchte keine neuen Freunde, ach, an dem lieben entschlafenen Freund hing noch mit aller trauernden Wehmuth seine ganze Seele! Häufig, ja fast immer bediente er sich des ganz auf ihn lautenden Passes des Verstorbenen; der Unterschied der Jahre kam dabei nicht in Betracht, es war ja gleichviel, wie alt der junge Graf war, und sein Ernst, wie die Spuren eines stillen Leidens, ließen ihn ohnehin älter erscheinen, als er wirklich war. Graf Ludwig reiste zu seiner Belehrung; er hatte überall ein offenes Auge für die Reize der Natur, die Beschaffenheit und Ergiebigkeit des Bodens, für den Stand der Kultur in den verschiedenen deutschen Ländern, für die Sammlungen der Künste und Wissenschaften, und fühlte sich angezogen vom Umgang ausgezeichneter Menschen. Er selbst galt entweder für einen Franzosen, da er in der Sprache dieses Landes völlig fehlerfrei sich ausdrückte, oder für einen Holländer, da durch den längeren Aufenthalt in den Niederlanden allerdings manche Eigenthümlichkeit dieser Nation an ihm haften geblieben war, und um so lieber gab er sich für einen solchen aus, wenn er als Leonardus Cornelius van der Valck reiste. Auch in seiner Weise, sich schriftlich auszudrücken, so schön er auch Deutsch zu schreiben verstand, floß bisweilen eine niederländische Redeform mit ein.

Manchen Scherz hatten Herr und Diener auf ihren mannichfaltigen Reisen dadurch, daß sich die Leute weit mehr darüber die Köpfe zerbrachen, wer und woher der Diener eigentlich sei, als woher der

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[309/0313] 11. Erlebnisse Ludwig leistete dem Rathe der Großmutter Folge; von seinem treuen Diener begleitet, mit guten Pässen versehen und mit allen Mitteln ausgestattet, war es ihm leicht, sich allenthalben Eingang zu verschaffen. Seine edle gewinnende Persönlichkeit machte ihn bald zum Gegenstand der Aufmerksamkeit. Er verhüllte sich nicht, so wenig als er es liebte, sich zu offenbaren und sein Vertrauen an den Ersten den Besten hinzugeben; er suchte keine neuen Freunde, ach, an dem lieben entschlafenen Freund hing noch mit aller trauernden Wehmuth seine ganze Seele! Häufig, ja fast immer bediente er sich des ganz auf ihn lautenden Passes des Verstorbenen; der Unterschied der Jahre kam dabei nicht in Betracht, es war ja gleichviel, wie alt der junge Graf war, und sein Ernst, wie die Spuren eines stillen Leidens, ließen ihn ohnehin älter erscheinen, als er wirklich war. Graf Ludwig reiste zu seiner Belehrung; er hatte überall ein offenes Auge für die Reize der Natur, die Beschaffenheit und Ergiebigkeit des Bodens, für den Stand der Kultur in den verschiedenen deutschen Ländern, für die Sammlungen der Künste und Wissenschaften, und fühlte sich angezogen vom Umgang ausgezeichneter Menschen. Er selbst galt entweder für einen Franzosen, da er in der Sprache dieses Landes völlig fehlerfrei sich ausdrückte, oder für einen Holländer, da durch den längeren Aufenthalt in den Niederlanden allerdings manche Eigenthümlichkeit dieser Nation an ihm haften geblieben war, und um so lieber gab er sich für einen solchen aus, wenn er als Leonardus Cornelius van der Valck reiste. Auch in seiner Weise, sich schriftlich auszudrücken, so schön er auch Deutsch zu schreiben verstand, floß bisweilen eine niederländische Redeform mit ein. Manchen Scherz hatten Herr und Diener auf ihren mannichfaltigen Reisen dadurch, daß sich die Leute weit mehr darüber die Köpfe zerbrachen, wer und woher der Diener eigentlich sei, als woher der

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/313>, abgerufen am 24.04.2024.