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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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anderen streiten wird. Lass' sie Alles an sich reißen, meine lachenden Erben, du hast genug, und ein Höheres ist dir noch beschieden, wenn du ferner auf richtiger Bahn wandelst. Ich fahre dahin, ohne erlebt zu haben, was ich so sehnlich hoffte, wonach ich mit allen Opfern und Anstrengungen rang und trachtete: Eintracht, Liebe, Frieden; aber nein, die wohnen nun einmal nicht in unserem Hause, seit der böse Feind die Saat des Unfriedens vor langen Jahren in die Gefilde von Jever, Varel und Kniphausen säete. Laß fahren dahin -- sie haben's nicht Gewinn!

Eine erhabene Seele, diese verklärte Großmutter! sprach Anges. Und was prophezeite sie sonst noch?

Daß ich noch mehr als einen schmerzlichen Verlust würde zu beweinen haben, erwiederte Ludwig; daß mir beschieden sei, arm an Freuden und dennoch reich an Liebe in einen Hafen einzulaufen, dessen Wellen kein Sturm der Außenwelt berühre. Wachsamkeit empfahl sie mir, "darum" so sprach sie: "habe ich dir den Falken von Kniphausen gegeben, daß er dir ein Bild der Wachsamkeit sein möge, neben einer werthen Erinnerung. Wachen sollst du, mein Sohn, wachen und hüten, wie geschrieben steht im achten Vers des einhundertundzweiten Psalms: Ich wache und bin wie ein einsamer Vogel. Hüte dein Kleinod und lebe wohl!"

Jedenfalls verstand sie unter diesem Kleinod jenes köstliche Geräth in Falkengestalt, das sie mir schenkte -- fügte Ludwig hinzu.

Wenn sie nicht ein anderes Kleinod darunter verstand, ein höheres, herrlicheres! sprach Anges ahnungsvoll und lächelte still vor sich hin.

Der Graf verstand sie nicht, aber er versank in ihr Anschauen. Da war Alles Klarheit, Alles Licht und Liebe -- ein überreicher Wunderhort der edelsten seelvollsten Weiblichkeit.



anderen streiten wird. Lass’ sie Alles an sich reißen, meine lachenden Erben, du hast genug, und ein Höheres ist dir noch beschieden, wenn du ferner auf richtiger Bahn wandelst. Ich fahre dahin, ohne erlebt zu haben, was ich so sehnlich hoffte, wonach ich mit allen Opfern und Anstrengungen rang und trachtete: Eintracht, Liebe, Frieden; aber nein, die wohnen nun einmal nicht in unserem Hause, seit der böse Feind die Saat des Unfriedens vor langen Jahren in die Gefilde von Jever, Varel und Kniphausen säete. Laß fahren dahin — sie haben’s nicht Gewinn!

Eine erhabene Seele, diese verklärte Großmutter! sprach Angés. Und was prophezeite sie sonst noch?

Daß ich noch mehr als einen schmerzlichen Verlust würde zu beweinen haben, erwiederte Ludwig; daß mir beschieden sei, arm an Freuden und dennoch reich an Liebe in einen Hafen einzulaufen, dessen Wellen kein Sturm der Außenwelt berühre. Wachsamkeit empfahl sie mir, „darum“ so sprach sie: „habe ich dir den Falken von Kniphausen gegeben, daß er dir ein Bild der Wachsamkeit sein möge, neben einer werthen Erinnerung. Wachen sollst du, mein Sohn, wachen und hüten, wie geschrieben steht im achten Vers des einhundertundzweiten Psalms: Ich wache und bin wie ein einsamer Vogel. Hüte dein Kleinod und lebe wohl!“

Jedenfalls verstand sie unter diesem Kleinod jenes köstliche Geräth in Falkengestalt, das sie mir schenkte — fügte Ludwig hinzu.

Wenn sie nicht ein anderes Kleinod darunter verstand, ein höheres, herrlicheres! sprach Angés ahnungsvoll und lächelte still vor sich hin.

Der Graf verstand sie nicht, aber er versank in ihr Anschauen. Da war Alles Klarheit, Alles Licht und Liebe — ein überreicher Wunderhort der edelsten seelvollsten Weiblichkeit.



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[359/0363] anderen streiten wird. Lass’ sie Alles an sich reißen, meine lachenden Erben, du hast genug, und ein Höheres ist dir noch beschieden, wenn du ferner auf richtiger Bahn wandelst. Ich fahre dahin, ohne erlebt zu haben, was ich so sehnlich hoffte, wonach ich mit allen Opfern und Anstrengungen rang und trachtete: Eintracht, Liebe, Frieden; aber nein, die wohnen nun einmal nicht in unserem Hause, seit der böse Feind die Saat des Unfriedens vor langen Jahren in die Gefilde von Jever, Varel und Kniphausen säete. Laß fahren dahin — sie haben’s nicht Gewinn! Eine erhabene Seele, diese verklärte Großmutter! sprach Angés. Und was prophezeite sie sonst noch? Daß ich noch mehr als einen schmerzlichen Verlust würde zu beweinen haben, erwiederte Ludwig; daß mir beschieden sei, arm an Freuden und dennoch reich an Liebe in einen Hafen einzulaufen, dessen Wellen kein Sturm der Außenwelt berühre. Wachsamkeit empfahl sie mir, „darum“ so sprach sie: „habe ich dir den Falken von Kniphausen gegeben, daß er dir ein Bild der Wachsamkeit sein möge, neben einer werthen Erinnerung. Wachen sollst du, mein Sohn, wachen und hüten, wie geschrieben steht im achten Vers des einhundertundzweiten Psalms: Ich wache und bin wie ein einsamer Vogel. Hüte dein Kleinod und lebe wohl!“ Jedenfalls verstand sie unter diesem Kleinod jenes köstliche Geräth in Falkengestalt, das sie mir schenkte — fügte Ludwig hinzu. Wenn sie nicht ein anderes Kleinod darunter verstand, ein höheres, herrlicheres! sprach Angés ahnungsvoll und lächelte still vor sich hin. Der Graf verstand sie nicht, aber er versank in ihr Anschauen. Da war Alles Klarheit, Alles Licht und Liebe — ein überreicher Wunderhort der edelsten seelvollsten Weiblichkeit.

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/363>, abgerufen am 29.03.2024.