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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884.

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Turanier und Mongolen.
Völkerfamilie ist etwas sich Fortentwickelndes, Lebendiges und wie wenig
man voraussagen kann, welche Entwickelung Zweige einer solchen
Völkerfamilie nehmen können, ersieht man an keiner Rasse deutlicher,
als an der turanischen, aus der sich so verschiedene Völkerschaften,
wie das herrschende Volk Chinas, die Türken, die Magyaren und die
Finnen zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Einflüssen
abgezweigt haben. Der Grund, weshalb namentlich die Sprachgelehrten
geneigt sind, den Turaniern diese Rolle der älteren Völkerfamilie zu-
zuschreiben, liegt besonders darin, dass, wie wir bereits erwähnt haben,
vor der semitischen Invasion im Euphratlande dort schon eine ältere,
turanische Bevölkerung, die auf einer relativ hohen Stufe der Civili-
sation stand, vorhanden gewesen zu sein scheint. Die genannten
Sprachgelehrten nehmen an, dass die Semiten, neben mancherlei Kennt-
nissen und Künsten, die Schrift von der turanischen Urbevölkerung
angenommen haben. Nach der Annahme Lenormands hatten die
Turanier die ältere Bevölkerung vom unteren Euphrat an östlich bis
zum Paropamisus und dem Belur-Dagh gebildet und von da nordwärts
bis nach Turkestan. Sie seien erst von den Kuschiten, später von den
Ariern aus diesen Gebieten verdrängt worden. So sei Medien im achten
Jahrhundert v. Chr. noch turanisch gewesen. Auch die Urbevölkerung
von Armenien, die Nachkommen von Mesech und Thubal, die Chalyber,
Tibarener und Mossynöken hätten dieser Familie angehört. Die
Sprachuntersuchung hat ergeben, dass die turanischen Sprachen sehr
früh fixiert waren und dass die Trennung der abgezweigten Stämme
vor sehr langer Zeit geschehen sein muss. Diese Annahme des hohen
Alters der Turanier wird bestätigt durch die Angabe des Justinus, der
aussagt, dass die Skythen in ältester Zeit 50 Jahrhunderte lang West-
asien beherrscht hätten. Dass turanische Völker am unteren Euphrat
vor den Semiten ansässig waren, ist durch die Entzifferung der Keil-
inschriften als erwiesen zn betrachten. Das turanische Gebiet von
Susa hatte eine ältere Kultur als Mesopotamien und hiess bei den
Chaldäern "das alte Land". Es sind besonders die Susianer, Aphar-
säer und Akkadier, die zu den Turaniern gerechnet werden. Auf
die chaldäische Kultur übte das letztgenannte Volk den grössten Ein-
fluss. Auch die Stämme von Atrapadene in Kleinasien und die
Anaricae (Nichtarier) am Kaspischen Meere rechnet Lenormand zu den
Turaniern.

Beachtenswert ist der Kultus der unterirdischen, metallspendenden
Götter, der den turanischen Völkern gemeinsam und für sie charakte-
ristisch ist.


Turanier und Mongolen.
Völkerfamilie ist etwas sich Fortentwickelndes, Lebendiges und wie wenig
man voraussagen kann, welche Entwickelung Zweige einer solchen
Völkerfamilie nehmen können, ersieht man an keiner Rasse deutlicher,
als an der turanischen, aus der sich so verschiedene Völkerschaften,
wie das herrschende Volk Chinas, die Türken, die Magyaren und die
Finnen zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Einflüssen
abgezweigt haben. Der Grund, weshalb namentlich die Sprachgelehrten
geneigt sind, den Turaniern diese Rolle der älteren Völkerfamilie zu-
zuschreiben, liegt besonders darin, daſs, wie wir bereits erwähnt haben,
vor der semitischen Invasion im Euphratlande dort schon eine ältere,
turanische Bevölkerung, die auf einer relativ hohen Stufe der Civili-
sation stand, vorhanden gewesen zu sein scheint. Die genannten
Sprachgelehrten nehmen an, daſs die Semiten, neben mancherlei Kennt-
nissen und Künsten, die Schrift von der turanischen Urbevölkerung
angenommen haben. Nach der Annahme Lenormands hatten die
Turanier die ältere Bevölkerung vom unteren Euphrat an östlich bis
zum Paropamisus und dem Belur-Dagh gebildet und von da nordwärts
bis nach Turkestan. Sie seien erst von den Kuschiten, später von den
Ariern aus diesen Gebieten verdrängt worden. So sei Medien im achten
Jahrhundert v. Chr. noch turanisch gewesen. Auch die Urbevölkerung
von Armenien, die Nachkommen von Mesech und Thubal, die Chalyber,
Tibarener und Mossynöken hätten dieser Familie angehört. Die
Sprachuntersuchung hat ergeben, daſs die turanischen Sprachen sehr
früh fixiert waren und daſs die Trennung der abgezweigten Stämme
vor sehr langer Zeit geschehen sein muſs. Diese Annahme des hohen
Alters der Turanier wird bestätigt durch die Angabe des Justinus, der
aussagt, daſs die Skythen in ältester Zeit 50 Jahrhunderte lang West-
asien beherrscht hätten. Daſs turanische Völker am unteren Euphrat
vor den Semiten ansäſsig waren, ist durch die Entzifferung der Keil-
inschriften als erwiesen zn betrachten. Das turanische Gebiet von
Susa hatte eine ältere Kultur als Mesopotamien und hieſs bei den
Chaldäern „das alte Land“. Es sind besonders die Susianer, Aphar-
säer und Akkadier, die zu den Turaniern gerechnet werden. Auf
die chaldäische Kultur übte das letztgenannte Volk den gröſsten Ein-
fluſs. Auch die Stämme von Atrapadene in Kleinasien und die
Anaricae (Nichtarier) am Kaspischen Meere rechnet Lenormand zu den
Turaniern.

Beachtenswert ist der Kultus der unterirdischen, metallspendenden
Götter, der den turanischen Völkern gemeinsam und für sie charakte-
ristisch ist.


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[272/0294] Turanier und Mongolen. Völkerfamilie ist etwas sich Fortentwickelndes, Lebendiges und wie wenig man voraussagen kann, welche Entwickelung Zweige einer solchen Völkerfamilie nehmen können, ersieht man an keiner Rasse deutlicher, als an der turanischen, aus der sich so verschiedene Völkerschaften, wie das herrschende Volk Chinas, die Türken, die Magyaren und die Finnen zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Einflüssen abgezweigt haben. Der Grund, weshalb namentlich die Sprachgelehrten geneigt sind, den Turaniern diese Rolle der älteren Völkerfamilie zu- zuschreiben, liegt besonders darin, daſs, wie wir bereits erwähnt haben, vor der semitischen Invasion im Euphratlande dort schon eine ältere, turanische Bevölkerung, die auf einer relativ hohen Stufe der Civili- sation stand, vorhanden gewesen zu sein scheint. Die genannten Sprachgelehrten nehmen an, daſs die Semiten, neben mancherlei Kennt- nissen und Künsten, die Schrift von der turanischen Urbevölkerung angenommen haben. Nach der Annahme Lenormands hatten die Turanier die ältere Bevölkerung vom unteren Euphrat an östlich bis zum Paropamisus und dem Belur-Dagh gebildet und von da nordwärts bis nach Turkestan. Sie seien erst von den Kuschiten, später von den Ariern aus diesen Gebieten verdrängt worden. So sei Medien im achten Jahrhundert v. Chr. noch turanisch gewesen. Auch die Urbevölkerung von Armenien, die Nachkommen von Mesech und Thubal, die Chalyber, Tibarener und Mossynöken hätten dieser Familie angehört. Die Sprachuntersuchung hat ergeben, daſs die turanischen Sprachen sehr früh fixiert waren und daſs die Trennung der abgezweigten Stämme vor sehr langer Zeit geschehen sein muſs. Diese Annahme des hohen Alters der Turanier wird bestätigt durch die Angabe des Justinus, der aussagt, daſs die Skythen in ältester Zeit 50 Jahrhunderte lang West- asien beherrscht hätten. Daſs turanische Völker am unteren Euphrat vor den Semiten ansäſsig waren, ist durch die Entzifferung der Keil- inschriften als erwiesen zn betrachten. Das turanische Gebiet von Susa hatte eine ältere Kultur als Mesopotamien und hieſs bei den Chaldäern „das alte Land“. Es sind besonders die Susianer, Aphar- säer und Akkadier, die zu den Turaniern gerechnet werden. Auf die chaldäische Kultur übte das letztgenannte Volk den gröſsten Ein- fluſs. Auch die Stämme von Atrapadene in Kleinasien und die Anaricae (Nichtarier) am Kaspischen Meere rechnet Lenormand zu den Turaniern. Beachtenswert ist der Kultus der unterirdischen, metallspendenden Götter, der den turanischen Völkern gemeinsam und für sie charakte- ristisch ist.

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/294>, abgerufen am 28.04.2024.