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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884.

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Die Germanen.
Zwergen Hilfe zu gewähren. Dies deutet darauf hin, dass die Zwerg-
familien, d. h. die übrig gebliebenen Familien der Urbevölkerung meist
vereinzelt wohnten. Zweitens rufen sie verständige Männer an zur
Teilung eines Schatzes oder zur Schlichtung eines Streites, weil sie den
Rechtsschutz bei den Machthabern suchen. Drittens, und dies ist be-
sonders charakteristisch, pflegen sie einen Saal zu leihen zum Hoch-
zeitsfest. Für solche Dinge belohnen sie die Menschen mit kunst-
reichen Kleinodien. Ihre grosse Freude an Tanz und Musik wird oft
erwähnt. Sie halten häufig des Nachts im Walde heimliche Tanzereien
ab; das grösste Freudenfest scheint aber eine Hochzeit gewesen zu
sein, die mit grosser Pracht, mit Gesang und Tanz gefeiert wurde.
Diese Art fröhlicher Hochzeitsfeier und Polterabende mit lautem Jubel
und Tanz sind auf uns gekommen, es ist ein Erbstück der Zwerge,
denn die Germanen behandelten den Ehebund als ein ernstes Rechts-
geschäft und knüpfte sich an die hergebrachten Rechtsgebräuche
höchstens ein Trinkgelage. Aus dvergmal, Zwergfest, ist nach Grimm
unser heutiges Wort "Vermählung" entstanden; dvergmal war der
alte Ausdruck für Ehebündnis.

In allen diesen Zügen ist nicht mehr von Geistern, von Gebilden
der Phantasie die Rede, sondern von wirklichen Menschen, und es er-
scheint wohl begründet, dass diese Unterdrückten die früheren Bewohner
des Landes waren, die nicht gänzlich vertrieben und vertilgt, an ihren
alten Wohnsitzen blieben und da der Grundbesitz ihnen genommen
war, durch den Fleiss und die Geschicklichkeit ihrer Hände kümmer-
lich ihr Dasein fristeten. Insbesondere trieben sie die Gewinnung und
Verarbeitung der Metalle, in der sie gewiss schon vor Ankunft der
Germanen geschickt waren. Ein ausgedehnter uralter Bergbau, der
vielleicht noch dieser Zeit angehört, ist der im Lüderich bei Bensberg,
wo man sehr alte Geräte, Steinlampen, hölzerne Brechwerkzeuge mit
kupfernen und eisernen Spitzen, sowie hölzerne Schaufeln aufgefunden
hat. Die Zwerge werden als ein scheues, zurückweichendes Volk ge-
schildert, das, wie alle bedrängten Völker, mit Zähigkeit an seinen
nationalen Göttern festhielt, deshalb sind sie verschrieen als heidnisch
gesinnt und dem Christentume feind. Sie grollen der menschlichen
Treulosigkeit, welche die alten Götter den neuen verriet. Das Geläute
der Kirchenglocken ist ihnen zuwider und sie wandern aus, wo sie
solche hören müssen. Ebenso stört das Ausroden des Waldes ihre
Heimlichkeit. Eine spätere Erfindung ist wohl, dass sie Hammer- und
Pochwerke vertreiben, da diese ihre mühselige Handarbeit unnötig
machen. Wenn sie sich auch oft dankbar erweisen, so suchen sie doch

Die Germanen.
Zwergen Hilfe zu gewähren. Dies deutet darauf hin, daſs die Zwerg-
familien, d. h. die übrig gebliebenen Familien der Urbevölkerung meist
vereinzelt wohnten. Zweitens rufen sie verständige Männer an zur
Teilung eines Schatzes oder zur Schlichtung eines Streites, weil sie den
Rechtsschutz bei den Machthabern suchen. Drittens, und dies ist be-
sonders charakteristisch, pflegen sie einen Saal zu leihen zum Hoch-
zeitsfest. Für solche Dinge belohnen sie die Menschen mit kunst-
reichen Kleinodien. Ihre groſse Freude an Tanz und Musik wird oft
erwähnt. Sie halten häufig des Nachts im Walde heimliche Tanzereien
ab; das gröſste Freudenfest scheint aber eine Hochzeit gewesen zu
sein, die mit groſser Pracht, mit Gesang und Tanz gefeiert wurde.
Diese Art fröhlicher Hochzeitsfeier und Polterabende mit lautem Jubel
und Tanz sind auf uns gekommen, es ist ein Erbstück der Zwerge,
denn die Germanen behandelten den Ehebund als ein ernstes Rechts-
geschäft und knüpfte sich an die hergebrachten Rechtsgebräuche
höchstens ein Trinkgelage. Aus dvergmâl, Zwergfest, ist nach Grimm
unser heutiges Wort „Vermählung“ entstanden; dvergmâl war der
alte Ausdruck für Ehebündnis.

In allen diesen Zügen ist nicht mehr von Geistern, von Gebilden
der Phantasie die Rede, sondern von wirklichen Menschen, und es er-
scheint wohl begründet, daſs diese Unterdrückten die früheren Bewohner
des Landes waren, die nicht gänzlich vertrieben und vertilgt, an ihren
alten Wohnsitzen blieben und da der Grundbesitz ihnen genommen
war, durch den Fleiſs und die Geschicklichkeit ihrer Hände kümmer-
lich ihr Dasein fristeten. Insbesondere trieben sie die Gewinnung und
Verarbeitung der Metalle, in der sie gewiſs schon vor Ankunft der
Germanen geschickt waren. Ein ausgedehnter uralter Bergbau, der
vielleicht noch dieser Zeit angehört, ist der im Lüderich bei Bensberg,
wo man sehr alte Geräte, Steinlampen, hölzerne Brechwerkzeuge mit
kupfernen und eisernen Spitzen, sowie hölzerne Schaufeln aufgefunden
hat. Die Zwerge werden als ein scheues, zurückweichendes Volk ge-
schildert, das, wie alle bedrängten Völker, mit Zähigkeit an seinen
nationalen Göttern festhielt, deshalb sind sie verschrieen als heidnisch
gesinnt und dem Christentume feind. Sie grollen der menschlichen
Treulosigkeit, welche die alten Götter den neuen verriet. Das Geläute
der Kirchenglocken ist ihnen zuwider und sie wandern aus, wo sie
solche hören müssen. Ebenso stört das Ausroden des Waldes ihre
Heimlichkeit. Eine spätere Erfindung ist wohl, daſs sie Hammer- und
Pochwerke vertreiben, da diese ihre mühselige Handarbeit unnötig
machen. Wenn sie sich auch oft dankbar erweisen, so suchen sie doch

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[698/0720] Die Germanen. Zwergen Hilfe zu gewähren. Dies deutet darauf hin, daſs die Zwerg- familien, d. h. die übrig gebliebenen Familien der Urbevölkerung meist vereinzelt wohnten. Zweitens rufen sie verständige Männer an zur Teilung eines Schatzes oder zur Schlichtung eines Streites, weil sie den Rechtsschutz bei den Machthabern suchen. Drittens, und dies ist be- sonders charakteristisch, pflegen sie einen Saal zu leihen zum Hoch- zeitsfest. Für solche Dinge belohnen sie die Menschen mit kunst- reichen Kleinodien. Ihre groſse Freude an Tanz und Musik wird oft erwähnt. Sie halten häufig des Nachts im Walde heimliche Tanzereien ab; das gröſste Freudenfest scheint aber eine Hochzeit gewesen zu sein, die mit groſser Pracht, mit Gesang und Tanz gefeiert wurde. Diese Art fröhlicher Hochzeitsfeier und Polterabende mit lautem Jubel und Tanz sind auf uns gekommen, es ist ein Erbstück der Zwerge, denn die Germanen behandelten den Ehebund als ein ernstes Rechts- geschäft und knüpfte sich an die hergebrachten Rechtsgebräuche höchstens ein Trinkgelage. Aus dvergmâl, Zwergfest, ist nach Grimm unser heutiges Wort „Vermählung“ entstanden; dvergmâl war der alte Ausdruck für Ehebündnis. In allen diesen Zügen ist nicht mehr von Geistern, von Gebilden der Phantasie die Rede, sondern von wirklichen Menschen, und es er- scheint wohl begründet, daſs diese Unterdrückten die früheren Bewohner des Landes waren, die nicht gänzlich vertrieben und vertilgt, an ihren alten Wohnsitzen blieben und da der Grundbesitz ihnen genommen war, durch den Fleiſs und die Geschicklichkeit ihrer Hände kümmer- lich ihr Dasein fristeten. Insbesondere trieben sie die Gewinnung und Verarbeitung der Metalle, in der sie gewiſs schon vor Ankunft der Germanen geschickt waren. Ein ausgedehnter uralter Bergbau, der vielleicht noch dieser Zeit angehört, ist der im Lüderich bei Bensberg, wo man sehr alte Geräte, Steinlampen, hölzerne Brechwerkzeuge mit kupfernen und eisernen Spitzen, sowie hölzerne Schaufeln aufgefunden hat. Die Zwerge werden als ein scheues, zurückweichendes Volk ge- schildert, das, wie alle bedrängten Völker, mit Zähigkeit an seinen nationalen Göttern festhielt, deshalb sind sie verschrieen als heidnisch gesinnt und dem Christentume feind. Sie grollen der menschlichen Treulosigkeit, welche die alten Götter den neuen verriet. Das Geläute der Kirchenglocken ist ihnen zuwider und sie wandern aus, wo sie solche hören müssen. Ebenso stört das Ausroden des Waldes ihre Heimlichkeit. Eine spätere Erfindung ist wohl, daſs sie Hammer- und Pochwerke vertreiben, da diese ihre mühselige Handarbeit unnötig machen. Wenn sie sich auch oft dankbar erweisen, so suchen sie doch

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 698. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/720>, abgerufen am 27.04.2024.