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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895.

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Schriftsteller des 16. Jahrhunderts.
gesamten damaligen Wissens, darin sind auch die Metalle abgehandelt
und seine Bemerkungen über Eisen und Stahl sind sehr beachtens-
wert und werden bei den betreffenden Abschnitten mitgeteilt werden.

Noch mannigfaltiger und reichhaltiger sind aber die Mitteilungen
über Eisen und Eisengewerbe in dem originellen "Schauplatz" des
Garzoni. Thomas Garzoni, einer der grössten italienischen Saty-
riker, war geboren zu Bagna-Cavallo in der Romagna 1549. Er hiess
eigentlich mit seinem Taufnamen Oktavius, wofür ihm aber bei seinem
Eintritt ins Kloster im Jahre 1566 der Name Thomas gegeben wurde.
Sehr früh zeigte sich seine hohe Begabung und eine unbändige Lern-
begier. Schon im 11. Jahre verfasste er ein italienisches Gedicht,
das grossen Beifall fand, obgleich es nichts schilderte, als die ge-
wöhnlichen Händel der Kinder. Im 14. Lebensjahre studierte er
bereits zu Ferrara Rechtsgelehrsamkeit, gab aber dieses Studium auf,
nachdem er in seinem 17. Jahre Ordensbruder geworden war. Er
starb, kaum 40 Jahre alt, als ein Canonicus regularis Lateranensis in
seiner Vaterstadt den 8. Juni 1589. Garzoni, obgleich Ordensbruder,
war durch und durch Realist und besass eine grosse Kenntnis aller
Lebensverhältnisse und eine vorzügliche Begabung, sie zu schildern.
Er war ein scharfer Satyriker, aber im Geiste des Aristophanes,
und erfüllt von dem Glauben an die siegreiche Kraft des Realismus.
Seine drastischen Schilderungen der menschlichen Schwächen sind
packende Sittenpredigten. Rastloser Fleiss und aufreibende Thätig-
keit machten seinem Leben früh im 40. Lebensjahre ein Ende.

Ausser seinem Buche "La piazza universale", das ins Lateinische,
Französische und Deutsche übersetzt wurde, haben die satyrischen
Schriften: "L'hospitale de' pazzi incurabili", das deutsch als "das
Spital unheilbarer Narren und Närrinnen", und "La Sinagoga de
gl'ignoranti", in denen er die Gebrechen seiner Zeit verspottet und
geisselt, besondern Beifall gefunden. Der "Piazza universale", dessen
erste Ausgabe im Jahre 1580 erschien, ist eine Schilderung aller
Berufsarten, Künste und Gewerbe, sowohl nach Ursprung und Ent-
stehung als in technischer Beziehung. Die 1651 von M. Merian
herausgegebene deutsche Übersetzung führt den Haupttitel: Thomae
Garzoni
Piazza Universale oder Allgemeiner Schauplatz aller Künste,
Professionen und Handwerke, und wenn auf dem ausführlicheren
zweiten Titel gedruckt ist "jedermänniglich, wess Standts der sey,
sehr nützlich und lustig zu lesen", so ist dies ganz der Wahrheit
entsprechend. In der Anlage erinnert das Buch an des Polydorus
Vergilius
' Geschichte der Erfindungen, ist aber viel reicher an

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Schriftsteller des 16. Jahrhunderts.
gesamten damaligen Wissens, darin sind auch die Metalle abgehandelt
und seine Bemerkungen über Eisen und Stahl sind sehr beachtens-
wert und werden bei den betreffenden Abschnitten mitgeteilt werden.

Noch mannigfaltiger und reichhaltiger sind aber die Mitteilungen
über Eisen und Eisengewerbe in dem originellen „Schauplatz“ des
Garzoni. Thomas Garzoni, einer der gröſsten italienischen Saty-
riker, war geboren zu Bagna-Cavallo in der Romagna 1549. Er hieſs
eigentlich mit seinem Taufnamen Oktavius, wofür ihm aber bei seinem
Eintritt ins Kloster im Jahre 1566 der Name Thomas gegeben wurde.
Sehr früh zeigte sich seine hohe Begabung und eine unbändige Lern-
begier. Schon im 11. Jahre verfaſste er ein italienisches Gedicht,
das groſsen Beifall fand, obgleich es nichts schilderte, als die ge-
wöhnlichen Händel der Kinder. Im 14. Lebensjahre studierte er
bereits zu Ferrara Rechtsgelehrsamkeit, gab aber dieses Studium auf,
nachdem er in seinem 17. Jahre Ordensbruder geworden war. Er
starb, kaum 40 Jahre alt, als ein Canonicus regularis Lateranensis in
seiner Vaterstadt den 8. Juni 1589. Garzoni, obgleich Ordensbruder,
war durch und durch Realist und besaſs eine groſse Kenntnis aller
Lebensverhältnisse und eine vorzügliche Begabung, sie zu schildern.
Er war ein scharfer Satyriker, aber im Geiste des Aristophanes,
und erfüllt von dem Glauben an die siegreiche Kraft des Realismus.
Seine drastischen Schilderungen der menschlichen Schwächen sind
packende Sittenpredigten. Rastloser Fleiſs und aufreibende Thätig-
keit machten seinem Leben früh im 40. Lebensjahre ein Ende.

Auſser seinem Buche „La piazza universale“, das ins Lateinische,
Französische und Deutsche übersetzt wurde, haben die satyrischen
Schriften: „L’hospitale de’ pazzi incurabili“, das deutsch als „das
Spital unheilbarer Narren und Närrinnen“, und „La Sinagoga de
gl’ignoranti“, in denen er die Gebrechen seiner Zeit verspottet und
geiſselt, besondern Beifall gefunden. Der „Piazza universale“, dessen
erste Ausgabe im Jahre 1580 erschien, ist eine Schilderung aller
Berufsarten, Künste und Gewerbe, sowohl nach Ursprung und Ent-
stehung als in technischer Beziehung. Die 1651 von M. Merian
herausgegebene deutsche Übersetzung führt den Haupttitel: Thomae
Garzoni
Piazza Universale oder Allgemeiner Schauplatz aller Künste,
Professionen und Handwerke, und wenn auf dem ausführlicheren
zweiten Titel gedruckt ist „jedermänniglich, weſs Standts der sey,
sehr nützlich und lustig zu lesen“, so ist dies ganz der Wahrheit
entsprechend. In der Anlage erinnert das Buch an des Polydorus
Vergilius
’ Geschichte der Erfindungen, ist aber viel reicher an

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[67/0087] Schriftsteller des 16. Jahrhunderts. gesamten damaligen Wissens, darin sind auch die Metalle abgehandelt und seine Bemerkungen über Eisen und Stahl sind sehr beachtens- wert und werden bei den betreffenden Abschnitten mitgeteilt werden. Noch mannigfaltiger und reichhaltiger sind aber die Mitteilungen über Eisen und Eisengewerbe in dem originellen „Schauplatz“ des Garzoni. Thomas Garzoni, einer der gröſsten italienischen Saty- riker, war geboren zu Bagna-Cavallo in der Romagna 1549. Er hieſs eigentlich mit seinem Taufnamen Oktavius, wofür ihm aber bei seinem Eintritt ins Kloster im Jahre 1566 der Name Thomas gegeben wurde. Sehr früh zeigte sich seine hohe Begabung und eine unbändige Lern- begier. Schon im 11. Jahre verfaſste er ein italienisches Gedicht, das groſsen Beifall fand, obgleich es nichts schilderte, als die ge- wöhnlichen Händel der Kinder. Im 14. Lebensjahre studierte er bereits zu Ferrara Rechtsgelehrsamkeit, gab aber dieses Studium auf, nachdem er in seinem 17. Jahre Ordensbruder geworden war. Er starb, kaum 40 Jahre alt, als ein Canonicus regularis Lateranensis in seiner Vaterstadt den 8. Juni 1589. Garzoni, obgleich Ordensbruder, war durch und durch Realist und besaſs eine groſse Kenntnis aller Lebensverhältnisse und eine vorzügliche Begabung, sie zu schildern. Er war ein scharfer Satyriker, aber im Geiste des Aristophanes, und erfüllt von dem Glauben an die siegreiche Kraft des Realismus. Seine drastischen Schilderungen der menschlichen Schwächen sind packende Sittenpredigten. Rastloser Fleiſs und aufreibende Thätig- keit machten seinem Leben früh im 40. Lebensjahre ein Ende. Auſser seinem Buche „La piazza universale“, das ins Lateinische, Französische und Deutsche übersetzt wurde, haben die satyrischen Schriften: „L’hospitale de’ pazzi incurabili“, das deutsch als „das Spital unheilbarer Narren und Närrinnen“, und „La Sinagoga de gl’ignoranti“, in denen er die Gebrechen seiner Zeit verspottet und geiſselt, besondern Beifall gefunden. Der „Piazza universale“, dessen erste Ausgabe im Jahre 1580 erschien, ist eine Schilderung aller Berufsarten, Künste und Gewerbe, sowohl nach Ursprung und Ent- stehung als in technischer Beziehung. Die 1651 von M. Merian herausgegebene deutsche Übersetzung führt den Haupttitel: Thomae Garzoni Piazza Universale oder Allgemeiner Schauplatz aller Künste, Professionen und Handwerke, und wenn auf dem ausführlicheren zweiten Titel gedruckt ist „jedermänniglich, weſs Standts der sey, sehr nützlich und lustig zu lesen“, so ist dies ganz der Wahrheit entsprechend. In der Anlage erinnert das Buch an des Polydorus Vergilius’ Geschichte der Erfindungen, ist aber viel reicher an 5*

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen02_1895/87>, abgerufen am 19.04.2024.