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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 4: Das XIX. Jahrhundert von 1801 bis 1860. Braunschweig, 1899.

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Die Verwendung von Stahl und Eisen.

Der englische Gussstahl wurde hauptsächlich zu Messerwaren und
besseren Werkzeugen verarbeitet, welche sich wegen ihrer Güte den
Weltmarkt erobert hatten. -- Die Messerschmiedwaren (Cutlery) wur-
den besonders in Sheffield fabriziert, wo z. B. in einer grossen Werk-
stätte über 500 verschiedene Muster, von 21/2 Pence bis 8 und mehr
Guineen das Stück, hergestellt wurden. Ebenso berühmt wie die eng-
lischen Messer waren die englischen Scheren. Seit 1806 hatte man
vergoldete Taschenscheren auf den Markt gebracht. Von Werkzeugen
erfreuten sich Sägen, Feilen, Schneidwerkzeuge (edge-tools), Lanzetten
allgemeinen Rufes. Eine Einbusse hatte das Renommee der englischen
Messerwaren allerdings dadurch erlitten, dass man seit 1798 gegossene
Messer, Gabeln und Rasiermesser, die dann getempert und poliert
wurden, in den Handel brachte.

Bei der Feilenfabrikation bediente man sich nicht, wie man auf
dem Kontinent glaubte, der Feilenhaumaschinen, sondern das Feilen-
hauen war Handarbeit, welche nur durch sehr geschickte Arbeiter
und weitgehende Arbeitsteilung, wobei ein Arbeiter womöglich immer
nur denselben Hieb zu schlagen hatte, zu grosser Vollkommenheit ge-
bracht war. Fischer, der 1814 eine grosse Feilenfabrik bei Sheffield
besuchte, erwähnt, dass man zu Sheffield abweichend wie in Birming-
ham beim Härten, welches auch immer durch die gleichen Personen
geschehe, die Feilen erst in die Hefe eintauche und sie dann in dem
Härtepulver herumwälze. Die Gesenke für dreikantige und halbrunde
Feilen hatten keine Zapfen, sondern wurden in schwalbenschwanz-
förmige Einschnitte der Ambosse eingeschoben, so dass sie festhielten
und doch leicht herausgenommen werden konnten. Die Gesenke
waren so geformt, dass man die Feilen in demselben Gesenk
fertig schmieden konnte, während man auf dem Kontinent zu jeder
Feile zwei bis drei verschiedene Einschnitte oder Gesenke brauchte.
Ein ganz neuer Artikel englischer Erfindung waren Kreissägen, die
man von 15 bis 18 Zoll im Durchmesser anfertigte.

Auch geschliffene Stahl- und Galanteriewaren, als Degengefässe,
Schnallen, Knöpfe und Stahlschmuck für stählerne Ohrgehenke und
Halsbänder waren damals sehr beliebt. Diese Mode war von England,
wo die Fabrikation in Birmingham ihren Sitz hatte, ausgegangen.
Besonders beliebt waren Halsbänder aus geschliffenen Rädchen, welche
ineinandergriffen und vier Speichen hatten; zwischen jedem Rade
befand sich eine rote Koralle. Man zahlte 31/2 Guineen für ein solches
Halsband. Im Januar 1803 erschien die berühmte Sängerin Billington
mit einem Haarschmuck aus poliertem Stahl aus der Fabrik von

Die Verwendung von Stahl und Eisen.

Der englische Guſsstahl wurde hauptsächlich zu Messerwaren und
besseren Werkzeugen verarbeitet, welche sich wegen ihrer Güte den
Weltmarkt erobert hatten. — Die Messerschmiedwaren (Cutlery) wur-
den besonders in Sheffield fabriziert, wo z. B. in einer groſsen Werk-
stätte über 500 verschiedene Muster, von 2½ Pence bis 8 und mehr
Guineen das Stück, hergestellt wurden. Ebenso berühmt wie die eng-
lischen Messer waren die englischen Scheren. Seit 1806 hatte man
vergoldete Taschenscheren auf den Markt gebracht. Von Werkzeugen
erfreuten sich Sägen, Feilen, Schneidwerkzeuge (edge-tools), Lanzetten
allgemeinen Rufes. Eine Einbuſse hatte das Renommee der englischen
Messerwaren allerdings dadurch erlitten, daſs man seit 1798 gegossene
Messer, Gabeln und Rasiermesser, die dann getempert und poliert
wurden, in den Handel brachte.

Bei der Feilenfabrikation bediente man sich nicht, wie man auf
dem Kontinent glaubte, der Feilenhaumaschinen, sondern das Feilen-
hauen war Handarbeit, welche nur durch sehr geschickte Arbeiter
und weitgehende Arbeitsteilung, wobei ein Arbeiter womöglich immer
nur denselben Hieb zu schlagen hatte, zu groſser Vollkommenheit ge-
bracht war. Fischer, der 1814 eine groſse Feilenfabrik bei Sheffield
besuchte, erwähnt, daſs man zu Sheffield abweichend wie in Birming-
ham beim Härten, welches auch immer durch die gleichen Personen
geschehe, die Feilen erst in die Hefe eintauche und sie dann in dem
Härtepulver herumwälze. Die Gesenke für dreikantige und halbrunde
Feilen hatten keine Zapfen, sondern wurden in schwalbenschwanz-
förmige Einschnitte der Ambosse eingeschoben, so daſs sie festhielten
und doch leicht herausgenommen werden konnten. Die Gesenke
waren so geformt, daſs man die Feilen in demselben Gesenk
fertig schmieden konnte, während man auf dem Kontinent zu jeder
Feile zwei bis drei verschiedene Einschnitte oder Gesenke brauchte.
Ein ganz neuer Artikel englischer Erfindung waren Kreissägen, die
man von 15 bis 18 Zoll im Durchmesser anfertigte.

Auch geschliffene Stahl- und Galanteriewaren, als Degengefäſse,
Schnallen, Knöpfe und Stahlschmuck für stählerne Ohrgehenke und
Halsbänder waren damals sehr beliebt. Diese Mode war von England,
wo die Fabrikation in Birmingham ihren Sitz hatte, ausgegangen.
Besonders beliebt waren Halsbänder aus geschliffenen Rädchen, welche
ineinandergriffen und vier Speichen hatten; zwischen jedem Rade
befand sich eine rote Koralle. Man zahlte 3½ Guineen für ein solches
Halsband. Im Januar 1803 erschien die berühmte Sängerin Billington
mit einem Haarschmuck aus poliertem Stahl aus der Fabrik von

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[137/0153] Die Verwendung von Stahl und Eisen. Der englische Guſsstahl wurde hauptsächlich zu Messerwaren und besseren Werkzeugen verarbeitet, welche sich wegen ihrer Güte den Weltmarkt erobert hatten. — Die Messerschmiedwaren (Cutlery) wur- den besonders in Sheffield fabriziert, wo z. B. in einer groſsen Werk- stätte über 500 verschiedene Muster, von 2½ Pence bis 8 und mehr Guineen das Stück, hergestellt wurden. Ebenso berühmt wie die eng- lischen Messer waren die englischen Scheren. Seit 1806 hatte man vergoldete Taschenscheren auf den Markt gebracht. Von Werkzeugen erfreuten sich Sägen, Feilen, Schneidwerkzeuge (edge-tools), Lanzetten allgemeinen Rufes. Eine Einbuſse hatte das Renommee der englischen Messerwaren allerdings dadurch erlitten, daſs man seit 1798 gegossene Messer, Gabeln und Rasiermesser, die dann getempert und poliert wurden, in den Handel brachte. Bei der Feilenfabrikation bediente man sich nicht, wie man auf dem Kontinent glaubte, der Feilenhaumaschinen, sondern das Feilen- hauen war Handarbeit, welche nur durch sehr geschickte Arbeiter und weitgehende Arbeitsteilung, wobei ein Arbeiter womöglich immer nur denselben Hieb zu schlagen hatte, zu groſser Vollkommenheit ge- bracht war. Fischer, der 1814 eine groſse Feilenfabrik bei Sheffield besuchte, erwähnt, daſs man zu Sheffield abweichend wie in Birming- ham beim Härten, welches auch immer durch die gleichen Personen geschehe, die Feilen erst in die Hefe eintauche und sie dann in dem Härtepulver herumwälze. Die Gesenke für dreikantige und halbrunde Feilen hatten keine Zapfen, sondern wurden in schwalbenschwanz- förmige Einschnitte der Ambosse eingeschoben, so daſs sie festhielten und doch leicht herausgenommen werden konnten. Die Gesenke waren so geformt, daſs man die Feilen in demselben Gesenk fertig schmieden konnte, während man auf dem Kontinent zu jeder Feile zwei bis drei verschiedene Einschnitte oder Gesenke brauchte. Ein ganz neuer Artikel englischer Erfindung waren Kreissägen, die man von 15 bis 18 Zoll im Durchmesser anfertigte. Auch geschliffene Stahl- und Galanteriewaren, als Degengefäſse, Schnallen, Knöpfe und Stahlschmuck für stählerne Ohrgehenke und Halsbänder waren damals sehr beliebt. Diese Mode war von England, wo die Fabrikation in Birmingham ihren Sitz hatte, ausgegangen. Besonders beliebt waren Halsbänder aus geschliffenen Rädchen, welche ineinandergriffen und vier Speichen hatten; zwischen jedem Rade befand sich eine rote Koralle. Man zahlte 3½ Guineen für ein solches Halsband. Im Januar 1803 erschien die berühmte Sängerin Billington mit einem Haarschmuck aus poliertem Stahl aus der Fabrik von

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 4: Das XIX. Jahrhundert von 1801 bis 1860. Braunschweig, 1899, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen04_1899/153>, abgerufen am 19.04.2024.