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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 4: Das XIX. Jahrhundert von 1801 bis 1860. Braunschweig, 1899.

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Stahlbereitung 1851 bis 1860.
Thonerde, Alkalien und Metalloxyden einschmolzen, in diese dann
das Roheisen einsetzten und puddelten, wobei ein Gemisch von Eisen-
oder Manganoxyd mit den Chloriden von Kalium, Natrium, Calcium,
Strontium oder Baryum zugesetzt wurde.

James Spence konstruierte einen Puddelofen mit zwei hinter-
einanderliegenden Rosten, um leichter nach Bedürfnis eine oxydierende
oder eine reduzierende Flamme zu erzeugen. Die oxydierende Flamme
wurde noch verstärkt durch ein in der Feuerbrücke liegendes Wind-
rohr (Patent Nr. 2134 vom 22. September 1858). Zur Reinigung
schlug er Salmiak oder Kochsalz vor.

Mushet empfahl den Zusatz von 1 bis 20 Proz. Titanerz zu dem
geschmolzenen Eisen während des Puddelns (Patent Nr. 1150 vom
7. Mai 1859), um dadurch die Güte des Stahles zu verbessern; zu
demselben Zwecke schlug er (am 3. Juni 1859) Spiegeleisen vor,
welches entweder geschmolzen kurz vor dem Garwerden oder in fester
Form mit dem Roheisen aufgegeben werden sollte.

Wenn auch das Stahlpuddeln sich bewährt hatte und mehr und
mehr Anwendung fand, so gelang dasselbe doch nicht überall. Es
erforderte ein sehr gutes Roheisen von besonderen Eigenschaften und
sehr geschickte Arbeiter. Deshalb blieb der Prozess auf einzelne
Gegenden beschränkt.

Noch war das Problem einer billigen Massenstahlbereitung nicht
gelöst und die Hoffnung und Erwartung auf ein zweckmässiges Ver-
fahren hierfür hielt die Eisentechniker in Spannung.

Da hielt Henry Bessemer am 16. August 1856 in Cheltenham
bei der Versammlung der British Association seinen berühmten Vortrag
über einen neuen, von ihm erfundenen Stahlbereitungsprozess, durch
den geschmolzenes Roheisen durch Durchblasen von atmo-
sphärischer Luft in flüssigen Stahl, ja sogar in flüssiges Stab-
eisen verwandelt werden könne ohne Anwendung von
Brennmaterial
1). Die Nachricht von dieser neuen Erfindung ver-
breitete sich wie ein Lauffeuer durch Europa. Obgleich die theore-
tische Möglichkeit jedem einleuchtete, begegnete sie doch dem
grössten Misstrauen und Unglauben. Es schien undenkbar, dass ein
so einfacher Prozess so lange unbekannt geblieben sein sollte. Wie
weit dies Misstrauen begründet war, werden wir gleich zeigen.

Bessemers Erfindung zog die allgemeine Aufmerksamkeit auf

1) Die Litteratur über die Geschichte des Bessemerprozesses ist sehr umfang-
reich. Eine sehr ausführliche Darstellung gab J. S. Jeans in seinem Werke
Steel: its history, manufacture, properties and uses. London 1880.

Stahlbereitung 1851 bis 1860.
Thonerde, Alkalien und Metalloxyden einschmolzen, in diese dann
das Roheisen einsetzten und puddelten, wobei ein Gemisch von Eisen-
oder Manganoxyd mit den Chloriden von Kalium, Natrium, Calcium,
Strontium oder Baryum zugesetzt wurde.

James Spence konstruierte einen Puddelofen mit zwei hinter-
einanderliegenden Rosten, um leichter nach Bedürfnis eine oxydierende
oder eine reduzierende Flamme zu erzeugen. Die oxydierende Flamme
wurde noch verstärkt durch ein in der Feuerbrücke liegendes Wind-
rohr (Patent Nr. 2134 vom 22. September 1858). Zur Reinigung
schlug er Salmiak oder Kochsalz vor.

Mushet empfahl den Zusatz von 1 bis 20 Proz. Titanerz zu dem
geschmolzenen Eisen während des Puddelns (Patent Nr. 1150 vom
7. Mai 1859), um dadurch die Güte des Stahles zu verbessern; zu
demselben Zwecke schlug er (am 3. Juni 1859) Spiegeleisen vor,
welches entweder geschmolzen kurz vor dem Garwerden oder in fester
Form mit dem Roheisen aufgegeben werden sollte.

Wenn auch das Stahlpuddeln sich bewährt hatte und mehr und
mehr Anwendung fand, so gelang dasselbe doch nicht überall. Es
erforderte ein sehr gutes Roheisen von besonderen Eigenschaften und
sehr geschickte Arbeiter. Deshalb blieb der Prozeſs auf einzelne
Gegenden beschränkt.

Noch war das Problem einer billigen Massenstahlbereitung nicht
gelöst und die Hoffnung und Erwartung auf ein zweckmäſsiges Ver-
fahren hierfür hielt die Eisentechniker in Spannung.

Da hielt Henry Bessemer am 16. August 1856 in Cheltenham
bei der Versammlung der British Association seinen berühmten Vortrag
über einen neuen, von ihm erfundenen Stahlbereitungsprozeſs, durch
den geschmolzenes Roheisen durch Durchblasen von atmo-
sphärischer Luft in flüssigen Stahl, ja sogar in flüssiges Stab-
eisen verwandelt werden könne ohne Anwendung von
Brennmaterial
1). Die Nachricht von dieser neuen Erfindung ver-
breitete sich wie ein Lauffeuer durch Europa. Obgleich die theore-
tische Möglichkeit jedem einleuchtete, begegnete sie doch dem
gröſsten Miſstrauen und Unglauben. Es schien undenkbar, daſs ein
so einfacher Prozeſs so lange unbekannt geblieben sein sollte. Wie
weit dies Miſstrauen begründet war, werden wir gleich zeigen.

Bessemers Erfindung zog die allgemeine Aufmerksamkeit auf

1) Die Litteratur über die Geschichte des Bessemerprozesses ist sehr umfang-
reich. Eine sehr ausführliche Darstellung gab J. S. Jeans in seinem Werke
Steel: its history, manufacture, properties and uses. London 1880.
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[900/0916] Stahlbereitung 1851 bis 1860. Thonerde, Alkalien und Metalloxyden einschmolzen, in diese dann das Roheisen einsetzten und puddelten, wobei ein Gemisch von Eisen- oder Manganoxyd mit den Chloriden von Kalium, Natrium, Calcium, Strontium oder Baryum zugesetzt wurde. James Spence konstruierte einen Puddelofen mit zwei hinter- einanderliegenden Rosten, um leichter nach Bedürfnis eine oxydierende oder eine reduzierende Flamme zu erzeugen. Die oxydierende Flamme wurde noch verstärkt durch ein in der Feuerbrücke liegendes Wind- rohr (Patent Nr. 2134 vom 22. September 1858). Zur Reinigung schlug er Salmiak oder Kochsalz vor. Mushet empfahl den Zusatz von 1 bis 20 Proz. Titanerz zu dem geschmolzenen Eisen während des Puddelns (Patent Nr. 1150 vom 7. Mai 1859), um dadurch die Güte des Stahles zu verbessern; zu demselben Zwecke schlug er (am 3. Juni 1859) Spiegeleisen vor, welches entweder geschmolzen kurz vor dem Garwerden oder in fester Form mit dem Roheisen aufgegeben werden sollte. Wenn auch das Stahlpuddeln sich bewährt hatte und mehr und mehr Anwendung fand, so gelang dasselbe doch nicht überall. Es erforderte ein sehr gutes Roheisen von besonderen Eigenschaften und sehr geschickte Arbeiter. Deshalb blieb der Prozeſs auf einzelne Gegenden beschränkt. Noch war das Problem einer billigen Massenstahlbereitung nicht gelöst und die Hoffnung und Erwartung auf ein zweckmäſsiges Ver- fahren hierfür hielt die Eisentechniker in Spannung. Da hielt Henry Bessemer am 16. August 1856 in Cheltenham bei der Versammlung der British Association seinen berühmten Vortrag über einen neuen, von ihm erfundenen Stahlbereitungsprozeſs, durch den geschmolzenes Roheisen durch Durchblasen von atmo- sphärischer Luft in flüssigen Stahl, ja sogar in flüssiges Stab- eisen verwandelt werden könne ohne Anwendung von Brennmaterial 1). Die Nachricht von dieser neuen Erfindung ver- breitete sich wie ein Lauffeuer durch Europa. Obgleich die theore- tische Möglichkeit jedem einleuchtete, begegnete sie doch dem gröſsten Miſstrauen und Unglauben. Es schien undenkbar, daſs ein so einfacher Prozeſs so lange unbekannt geblieben sein sollte. Wie weit dies Miſstrauen begründet war, werden wir gleich zeigen. Bessemers Erfindung zog die allgemeine Aufmerksamkeit auf 1) Die Litteratur über die Geschichte des Bessemerprozesses ist sehr umfang- reich. Eine sehr ausführliche Darstellung gab J. S. Jeans in seinem Werke Steel: its history, manufacture, properties and uses. London 1880.

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 4: Das XIX. Jahrhundert von 1801 bis 1860. Braunschweig, 1899, S. 900. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen04_1899/916>, abgerufen am 24.04.2024.