granitischen Gneisblöcken übersäet ist. Bisweilen scheinen sie eine gewissermaßen gegliederte Lagerung einzunehmen, etwa so wie in¬ einander gestellte Teller; dann wieder an anderen Stellen zeigt sich ein ziemlich geordneter treppenähnlicher Aufbau; meist aber liegen sie ohne erkennbare Anordnung durcheinander. Diese auf Gipfeln jedenfalls auffallende Erscheinung ist gleicherweise ein Resultat der Granit-Verwitterung, aber solcher Massen, in denen mehr oder minder die Schalen-Struktur einst vorwaltete. Die Gebrüder Schlagintweit bilden im Atlas zu ihren "Neuen Untersuchungen über die physikalische Geographie und Geologie der Alpen" solche ausgewaschene Gneisschalen ab. -- Wenn der phantasiereiche Jean Paul sich des schönen Bildes bedient: "Die Gräber seien die Bergspitzen einer fernen neuen Welt," so sind hier in Wirk¬ lichkeit die Bergspitzen die Gräber einer fernen vergangenen. (G. Studer.)
Die großartigsten und imposantesten Kolosse granitischer Ge¬ steine finden wir nur in den Centralmassen der Alpen. Dort über¬ gipfeln sie oft in so furchtbarer Erhabenheit, als senkrecht aufstei¬ gende Felsenpaläste, die tiefen Thalkessel, daß man vor ihrer Größe zurückschreckt. Wer noch nie die düsterprächtige Pyramide des Finsteraarhornes vom "Abschwung am Aargletscher" aus er¬ blickte, wie sie in kaltem Ernst nackt aus den Firnlagern in die Wolken steigt, -- wer den Montblanc noch nicht auf der Süd-Ost¬ seite umwanderte und die volle, prächtige Kernform seines Massivs vom Gramont aus, -- oder vom Zinalgletscher (in der Tiefe des Einfischthales) die riesigen Felsenstirnen des Grand Cornier, der Dent blanche und des Weißhornes rund um sich her mit einem Blick übersah, der wird schwerlich einen richtigen idealen Maßstab für die wahrhaft kolossalen Verhältnisse sich konstruiren können. Und dennoch werden alle diese granitischen Giganten dem Ein¬ drucke nach, welchen sie auf das starr-staunende Auge machen, weit übertroffen von jenem jähpralligen Absturz, welchen der Monte
Granit.
granitiſchen Gneisblöcken überſäet iſt. Bisweilen ſcheinen ſie eine gewiſſermaßen gegliederte Lagerung einzunehmen, etwa ſo wie in¬ einander geſtellte Teller; dann wieder an anderen Stellen zeigt ſich ein ziemlich geordneter treppenähnlicher Aufbau; meiſt aber liegen ſie ohne erkennbare Anordnung durcheinander. Dieſe auf Gipfeln jedenfalls auffallende Erſcheinung iſt gleicherweiſe ein Reſultat der Granit-Verwitterung, aber ſolcher Maſſen, in denen mehr oder minder die Schalen-Struktur einſt vorwaltete. Die Gebrüder Schlagintweit bilden im Atlas zu ihren „Neuen Unterſuchungen über die phyſikaliſche Geographie und Geologie der Alpen“ ſolche ausgewaſchene Gneisſchalen ab. — Wenn der phantaſiereiche Jean Paul ſich des ſchönen Bildes bedient: „Die Gräber ſeien die Bergſpitzen einer fernen neuen Welt,“ ſo ſind hier in Wirk¬ lichkeit die Bergſpitzen die Gräber einer fernen vergangenen. (G. Studer.)
Die großartigſten und impoſanteſten Koloſſe granitiſcher Ge¬ ſteine finden wir nur in den Centralmaſſen der Alpen. Dort über¬ gipfeln ſie oft in ſo furchtbarer Erhabenheit, als ſenkrecht aufſtei¬ gende Felſenpaläſte, die tiefen Thalkeſſel, daß man vor ihrer Größe zurückſchreckt. Wer noch nie die düſterprächtige Pyramide des Finſteraarhornes vom „Abſchwung am Aargletſcher“ aus er¬ blickte, wie ſie in kaltem Ernſt nackt aus den Firnlagern in die Wolken ſteigt, — wer den Montblanc noch nicht auf der Süd-Oſt¬ ſeite umwanderte und die volle, prächtige Kernform ſeines Maſſivs vom Gramont aus, — oder vom Zinalgletſcher (in der Tiefe des Einfiſchthales) die rieſigen Felſenſtirnen des Grand Cornier, der Dent blanche und des Weißhornes rund um ſich her mit einem Blick überſah, der wird ſchwerlich einen richtigen idealen Maßſtab für die wahrhaft koloſſalen Verhältniſſe ſich konſtruiren können. Und dennoch werden alle dieſe granitiſchen Giganten dem Ein¬ drucke nach, welchen ſie auf das ſtarr-ſtaunende Auge machen, weit übertroffen von jenem jähpralligen Abſturz, welchen der Monte
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Granit.
granitiſchen Gneisblöcken überſäet iſt. Bisweilen ſcheinen ſie eine
gewiſſermaßen gegliederte Lagerung einzunehmen, etwa ſo wie in¬
einander geſtellte Teller; dann wieder an anderen Stellen zeigt ſich
ein ziemlich geordneter treppenähnlicher Aufbau; meiſt aber liegen
ſie ohne erkennbare Anordnung durcheinander. Dieſe auf Gipfeln
jedenfalls auffallende Erſcheinung iſt gleicherweiſe ein Reſultat der
Granit-Verwitterung, aber ſolcher Maſſen, in denen mehr oder
minder die Schalen-Struktur einſt vorwaltete. Die Gebrüder
Schlagintweit bilden im Atlas zu ihren „Neuen Unterſuchungen
über die phyſikaliſche Geographie und Geologie der Alpen“ ſolche
ausgewaſchene Gneisſchalen ab. — Wenn der phantaſiereiche Jean
Paul ſich des ſchönen Bildes bedient: „Die Gräber ſeien die
Bergſpitzen einer fernen neuen Welt,“ ſo ſind hier in Wirk¬
lichkeit die Bergſpitzen die Gräber einer fernen vergangenen.
(G. Studer.)
Die großartigſten und impoſanteſten Koloſſe granitiſcher Ge¬
ſteine finden wir nur in den Centralmaſſen der Alpen. Dort über¬
gipfeln ſie oft in ſo furchtbarer Erhabenheit, als ſenkrecht aufſtei¬
gende Felſenpaläſte, die tiefen Thalkeſſel, daß man vor ihrer
Größe zurückſchreckt. Wer noch nie die düſterprächtige Pyramide
des Finſteraarhornes vom „Abſchwung am Aargletſcher“ aus er¬
blickte, wie ſie in kaltem Ernſt nackt aus den Firnlagern in die
Wolken ſteigt, — wer den Montblanc noch nicht auf der Süd-Oſt¬
ſeite umwanderte und die volle, prächtige Kernform ſeines Maſſivs
vom Gramont aus, — oder vom Zinalgletſcher (in der Tiefe
des Einfiſchthales) die rieſigen Felſenſtirnen des Grand Cornier,
der Dent blanche und des Weißhornes rund um ſich her mit einem
Blick überſah, der wird ſchwerlich einen richtigen idealen Maßſtab
für die wahrhaft koloſſalen Verhältniſſe ſich konſtruiren können.
Und dennoch werden alle dieſe granitiſchen Giganten dem Ein¬
drucke nach, welchen ſie auf das ſtarr-ſtaunende Auge machen, weit
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/42>, abgerufen am 16.04.2021.
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