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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Holzschläger und Flößer.
anderer Mensch, als der deutschredende Aelpler. In ihm vereint
sich die kalte Entschlossenheit, das an harte Strapazen und Ent¬
behrungen gewöhnte Leben des Gebirgsbewohners mit der drängenden
Unruhe, dem heißblutigen, raschhandelnden Element des Italieners.
Er ist ein vortrefflicher Arbeiter, umsichtig, scharfblickend, erfinde¬
risch und nicht verlegen, wo es gilt, geschickte Handgriffe, kleine
Hilfsmittel rasch zu ersinnen, die ihm sein Vorhaben praktisch er¬
leichtern: dabei ausdauernd, fleißig und sparsam. Darum be¬
schäftiget man ihn diesseit der Berge gern bei Straßenbauten.
Einige Zoll Ingenieur-Fähigkeit bringt jeder als Natur-Geschenk
mit auf die Welt, -- und diese wendet er mit wunderbarer Ge¬
wandtheit ganz besonders bei der Ausbeutung der Wälder an.

Während alljährlich Tausende den Sommer über in der Fremde
als Gypser, Glaser, Steinbrecher und Erdarbeiter ihr Brod suchen,
und von dem zurückgelegten Gelde den Winter hindurch mit Frau
und Kindern spärlich in dem versteckten Alpendorfe leben, -- be¬
schäftigen abermals Tausende sich daheim als "Tagliatori di
selva"
und "Borratori". Erstere sind die eigentlichen Holzfäller,
die Männer mit Säge und Art, die dem Baum den Todesstreich
versetzen: letztere (oft Bergamasken) sind diejenigen, welche durch
erfinderische Vorkehrungen die Stämme aus dem Labyrinth der
Bergwildniß hinab zum Fluß befördern, der dann auf seinem
Rücken die Blöcke spielend weiter trägt.

Haben wir die Klettertalente der Geißbuben bewundert, so
finden wir hier würdige Genossen, Naturturner, die ihres Gleichen
suchen. Wie Spechte laufen sie mit ihren Klettereisen-Krallen an
den Stämmen empor, hängen schwindelfrei über tiefen Abgründen
und hauen mit wuchtiger Faust die Aeste ab, so daß der schlanke
Schaft wie eine Kerze, nur noch mit der Krone geschmückt, dasteht.
Jetzt bekommt das Mordbeil Arbeit. Dort, wo das Moos am
Ueppigsten den Stamm umspinnt, da ist der saftigste Zellenbau im
Holzgewebe, da dringt der Aexte Schnitt am Ausgiebigsten hinein.

Berlepsch, die Alpen. 26

Holzſchläger und Flößer.
anderer Menſch, als der deutſchredende Aelpler. In ihm vereint
ſich die kalte Entſchloſſenheit, das an harte Strapazen und Ent¬
behrungen gewöhnte Leben des Gebirgsbewohners mit der drängenden
Unruhe, dem heißblutigen, raſchhandelnden Element des Italieners.
Er iſt ein vortrefflicher Arbeiter, umſichtig, ſcharfblickend, erfinde¬
riſch und nicht verlegen, wo es gilt, geſchickte Handgriffe, kleine
Hilfsmittel raſch zu erſinnen, die ihm ſein Vorhaben praktiſch er¬
leichtern: dabei ausdauernd, fleißig und ſparſam. Darum be¬
ſchäftiget man ihn dieſſeit der Berge gern bei Straßenbauten.
Einige Zoll Ingenieur-Fähigkeit bringt jeder als Natur-Geſchenk
mit auf die Welt, — und dieſe wendet er mit wunderbarer Ge¬
wandtheit ganz beſonders bei der Ausbeutung der Wälder an.

Während alljährlich Tauſende den Sommer über in der Fremde
als Gypſer, Glaſer, Steinbrecher und Erdarbeiter ihr Brod ſuchen,
und von dem zurückgelegten Gelde den Winter hindurch mit Frau
und Kindern ſpärlich in dem verſteckten Alpendorfe leben, — be¬
ſchäftigen abermals Tauſende ſich daheim als „Tagliatori di
selva“
und „Borratori“. Erſtere ſind die eigentlichen Holzfäller,
die Männer mit Säge und Art, die dem Baum den Todesſtreich
verſetzen: letztere (oft Bergamasken) ſind diejenigen, welche durch
erfinderiſche Vorkehrungen die Stämme aus dem Labyrinth der
Bergwildniß hinab zum Fluß befördern, der dann auf ſeinem
Rücken die Blöcke ſpielend weiter trägt.

Haben wir die Klettertalente der Geißbuben bewundert, ſo
finden wir hier würdige Genoſſen, Naturturner, die ihres Gleichen
ſuchen. Wie Spechte laufen ſie mit ihren Klettereiſen-Krallen an
den Stämmen empor, hängen ſchwindelfrei über tiefen Abgründen
und hauen mit wuchtiger Fauſt die Aeſte ab, ſo daß der ſchlanke
Schaft wie eine Kerze, nur noch mit der Krone geſchmückt, daſteht.
Jetzt bekommt das Mordbeil Arbeit. Dort, wo das Moos am
Ueppigſten den Stamm umſpinnt, da iſt der ſaftigſte Zellenbau im
Holzgewebe, da dringt der Aexte Schnitt am Ausgiebigſten hinein.

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[401/0447] Holzſchläger und Flößer. anderer Menſch, als der deutſchredende Aelpler. In ihm vereint ſich die kalte Entſchloſſenheit, das an harte Strapazen und Ent¬ behrungen gewöhnte Leben des Gebirgsbewohners mit der drängenden Unruhe, dem heißblutigen, raſchhandelnden Element des Italieners. Er iſt ein vortrefflicher Arbeiter, umſichtig, ſcharfblickend, erfinde¬ riſch und nicht verlegen, wo es gilt, geſchickte Handgriffe, kleine Hilfsmittel raſch zu erſinnen, die ihm ſein Vorhaben praktiſch er¬ leichtern: dabei ausdauernd, fleißig und ſparſam. Darum be¬ ſchäftiget man ihn dieſſeit der Berge gern bei Straßenbauten. Einige Zoll Ingenieur-Fähigkeit bringt jeder als Natur-Geſchenk mit auf die Welt, — und dieſe wendet er mit wunderbarer Ge¬ wandtheit ganz beſonders bei der Ausbeutung der Wälder an. Während alljährlich Tauſende den Sommer über in der Fremde als Gypſer, Glaſer, Steinbrecher und Erdarbeiter ihr Brod ſuchen, und von dem zurückgelegten Gelde den Winter hindurch mit Frau und Kindern ſpärlich in dem verſteckten Alpendorfe leben, — be¬ ſchäftigen abermals Tauſende ſich daheim als „Tagliatori di selva“ und „Borratori“. Erſtere ſind die eigentlichen Holzfäller, die Männer mit Säge und Art, die dem Baum den Todesſtreich verſetzen: letztere (oft Bergamasken) ſind diejenigen, welche durch erfinderiſche Vorkehrungen die Stämme aus dem Labyrinth der Bergwildniß hinab zum Fluß befördern, der dann auf ſeinem Rücken die Blöcke ſpielend weiter trägt. Haben wir die Klettertalente der Geißbuben bewundert, ſo finden wir hier würdige Genoſſen, Naturturner, die ihres Gleichen ſuchen. Wie Spechte laufen ſie mit ihren Klettereiſen-Krallen an den Stämmen empor, hängen ſchwindelfrei über tiefen Abgründen und hauen mit wuchtiger Fauſt die Aeſte ab, ſo daß der ſchlanke Schaft wie eine Kerze, nur noch mit der Krone geſchmückt, daſteht. Jetzt bekommt das Mordbeil Arbeit. Dort, wo das Moos am Ueppigſten den Stamm umſpinnt, da iſt der ſaftigſte Zellenbau im Holzgewebe, da dringt der Aexte Schnitt am Ausgiebigſten hinein. Berlepſch, die Alpen. 26

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/447>, abgerufen am 28.03.2024.