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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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Th. I. Bestraf. d. Verbr. u. Vergehen im Allg. Tit. III. V. d. Theilnahme.

III. Ein jeder soll nur die Strafe seiner Verschuldung erleiden;
fremde Schuld wird niemandem angerechnet. Wenn daher durch be-
sondere Eigenschaften der betheiligten Personen oder durch besondere
Umstände, unter welchen die Handlung begangen worden, dieselbe über-
haupt erst strafbar gemacht oder in ihrer Strafbarkeit erhöht wird; so
kommt es für jeden einzelnen Theilnehmer darauf an, in wiefern diese
besonderen Gründe der Strafbarkeit oder der Straferhöhung bei ihm eine
Anwendung finden. Der qualificirte Dolus des Einen verändert den
einfachen Dolus des Andern nicht. Die Anwendung der in §. 44.
aufgestellten Grundsätze auf die Theilnehmer kann keinem Bedenken
unterliegen; es liegt hier derselbe Grund der Anwendung vor, der z. B.
bei der Hehlerei (§. 137. 138.) im Gesetzbuch eine ausdrückliche An-
erkennung gefunden hat. Auf denjenigen also, welcher Hülfe leistet bei
einem Morde, ohne zu wissen, daß es Verwandtenmord ist, kann nur
das Strafgesetz zur Anwendung gebracht werden, welches, über den ein-
fachen Mord verfügt. I)

IV. Die Regel, daß auf den Theilnehmer nicht nothwendig die
Strafe des Thäters, sondern nur das für den Thäter bestimmte Straf-
gesetz zur Anwendung kommen soll, verliert ihre Bedeutung bei den ab-
soluten Strafen, nämlich der Todesstrafe und dem lebenslänglichen
Zuchthaus. Um nun hier nach dem Vorgange des §. 32. eine Aus-
gleichung herzustellen, wurde es in der Kommission der zweiten Kammer
für nöthig gehalten, die absoluten Strafen im Fall der Theilnahme zu
ermäßigen. Bei näherer Erwägung aber fand sich, daß man eine solche
Bestimmung nicht wie bei dem Versuch allgemein fassen könne; für den
Anstifter schien überhaupt kein Grund der größeren Milde zu bestehen,
und in Beziehung auf die Beihülfe entschloß man sich, zu der Unter-
scheidung zwischen der wesentlichen und nicht wesentlichen Beihülfe zu-
rück zu greifen. Demnach ward folgender Zusatz angenommen: m)

"Ist die geleistete Beihülfe keine wesentliche gewesen, so ist an-
statt der Todesstrafe und lebenswierigen Freiheitsstrafe auf zeitige
Freiheitsstrafe zu erkennen."

Bei der in der Kommission vorgenommenen Schlußredaktion machten
sich aber gegen diese Fassung mehrere Bedenken geltend. Abgesehen näm-
lich von einer leicht zu erledigenden Formfrage (daß besser nicht von Bei-

I) Wenn §. 44. im Strafgesetzbuch fehlte, könnte die Sache allerdings zweifelhaft
erscheinen, obgleich man nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen doch zu demselben Resultate
kommen müßte. In Frankreich hat der Kassationshof in wörtlicher Auslegung des
Code penal. Art. 59. die entgegengesetzte Praxis begründet. S. hierüber Chauveau
et Helie Faustin
I. c. p.
176-79.
m) Protokolle der Kommission der zweiten Kammer. Sitzung
v. 16. Jan. 1851.
Th. I. Beſtraf. d. Verbr. u. Vergehen im Allg. Tit. III. V. d. Theilnahme.

III. Ein jeder ſoll nur die Strafe ſeiner Verſchuldung erleiden;
fremde Schuld wird niemandem angerechnet. Wenn daher durch be-
ſondere Eigenſchaften der betheiligten Perſonen oder durch beſondere
Umſtände, unter welchen die Handlung begangen worden, dieſelbe über-
haupt erſt ſtrafbar gemacht oder in ihrer Strafbarkeit erhöht wird; ſo
kommt es für jeden einzelnen Theilnehmer darauf an, in wiefern dieſe
beſonderen Gründe der Strafbarkeit oder der Straferhöhung bei ihm eine
Anwendung finden. Der qualificirte Dolus des Einen verändert den
einfachen Dolus des Andern nicht. Die Anwendung der in §. 44.
aufgeſtellten Grundſätze auf die Theilnehmer kann keinem Bedenken
unterliegen; es liegt hier derſelbe Grund der Anwendung vor, der z. B.
bei der Hehlerei (§. 137. 138.) im Geſetzbuch eine ausdrückliche An-
erkennung gefunden hat. Auf denjenigen alſo, welcher Hülfe leiſtet bei
einem Morde, ohne zu wiſſen, daß es Verwandtenmord iſt, kann nur
das Strafgeſetz zur Anwendung gebracht werden, welches, über den ein-
fachen Mord verfügt. I)

IV. Die Regel, daß auf den Theilnehmer nicht nothwendig die
Strafe des Thäters, ſondern nur das für den Thäter beſtimmte Straf-
geſetz zur Anwendung kommen ſoll, verliert ihre Bedeutung bei den ab-
ſoluten Strafen, nämlich der Todesſtrafe und dem lebenslänglichen
Zuchthaus. Um nun hier nach dem Vorgange des §. 32. eine Aus-
gleichung herzuſtellen, wurde es in der Kommiſſion der zweiten Kammer
für nöthig gehalten, die abſoluten Strafen im Fall der Theilnahme zu
ermäßigen. Bei näherer Erwägung aber fand ſich, daß man eine ſolche
Beſtimmung nicht wie bei dem Verſuch allgemein faſſen könne; für den
Anſtifter ſchien überhaupt kein Grund der größeren Milde zu beſtehen,
und in Beziehung auf die Beihülfe entſchloß man ſich, zu der Unter-
ſcheidung zwiſchen der weſentlichen und nicht weſentlichen Beihülfe zu-
rück zu greifen. Demnach ward folgender Zuſatz angenommen: m)

„Iſt die geleiſtete Beihülfe keine weſentliche geweſen, ſo iſt an-
ſtatt der Todesſtrafe und lebenswierigen Freiheitsſtrafe auf zeitige
Freiheitsſtrafe zu erkennen.“

Bei der in der Kommiſſion vorgenommenen Schlußredaktion machten
ſich aber gegen dieſe Faſſung mehrere Bedenken geltend. Abgeſehen näm-
lich von einer leicht zu erledigenden Formfrage (daß beſſer nicht von Bei-

I) Wenn §. 44. im Strafgeſetzbuch fehlte, könnte die Sache allerdings zweifelhaft
erſcheinen, obgleich man nach allgemeinen Rechtsgrundſätzen doch zu demſelben Reſultate
kommen müßte. In Frankreich hat der Kaſſationshof in wörtlicher Auslegung des
Code pénal. Art. 59. die entgegengeſetzte Praxis begründet. S. hierüber Chauveau
et Hélie Faustin
I. c. p.
176-79.
m) Protokolle der Kommiſſion der zweiten Kammer. Sitzung
v. 16. Jan. 1851.
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[162/0172] Th. I. Beſtraf. d. Verbr. u. Vergehen im Allg. Tit. III. V. d. Theilnahme. III. Ein jeder ſoll nur die Strafe ſeiner Verſchuldung erleiden; fremde Schuld wird niemandem angerechnet. Wenn daher durch be- ſondere Eigenſchaften der betheiligten Perſonen oder durch beſondere Umſtände, unter welchen die Handlung begangen worden, dieſelbe über- haupt erſt ſtrafbar gemacht oder in ihrer Strafbarkeit erhöht wird; ſo kommt es für jeden einzelnen Theilnehmer darauf an, in wiefern dieſe beſonderen Gründe der Strafbarkeit oder der Straferhöhung bei ihm eine Anwendung finden. Der qualificirte Dolus des Einen verändert den einfachen Dolus des Andern nicht. Die Anwendung der in §. 44. aufgeſtellten Grundſätze auf die Theilnehmer kann keinem Bedenken unterliegen; es liegt hier derſelbe Grund der Anwendung vor, der z. B. bei der Hehlerei (§. 137. 138.) im Geſetzbuch eine ausdrückliche An- erkennung gefunden hat. Auf denjenigen alſo, welcher Hülfe leiſtet bei einem Morde, ohne zu wiſſen, daß es Verwandtenmord iſt, kann nur das Strafgeſetz zur Anwendung gebracht werden, welches, über den ein- fachen Mord verfügt. I) IV. Die Regel, daß auf den Theilnehmer nicht nothwendig die Strafe des Thäters, ſondern nur das für den Thäter beſtimmte Straf- geſetz zur Anwendung kommen ſoll, verliert ihre Bedeutung bei den ab- ſoluten Strafen, nämlich der Todesſtrafe und dem lebenslänglichen Zuchthaus. Um nun hier nach dem Vorgange des §. 32. eine Aus- gleichung herzuſtellen, wurde es in der Kommiſſion der zweiten Kammer für nöthig gehalten, die abſoluten Strafen im Fall der Theilnahme zu ermäßigen. Bei näherer Erwägung aber fand ſich, daß man eine ſolche Beſtimmung nicht wie bei dem Verſuch allgemein faſſen könne; für den Anſtifter ſchien überhaupt kein Grund der größeren Milde zu beſtehen, und in Beziehung auf die Beihülfe entſchloß man ſich, zu der Unter- ſcheidung zwiſchen der weſentlichen und nicht weſentlichen Beihülfe zu- rück zu greifen. Demnach ward folgender Zuſatz angenommen: m) „Iſt die geleiſtete Beihülfe keine weſentliche geweſen, ſo iſt an- ſtatt der Todesſtrafe und lebenswierigen Freiheitsſtrafe auf zeitige Freiheitsſtrafe zu erkennen.“ Bei der in der Kommiſſion vorgenommenen Schlußredaktion machten ſich aber gegen dieſe Faſſung mehrere Bedenken geltend. Abgeſehen näm- lich von einer leicht zu erledigenden Formfrage (daß beſſer nicht von Bei- I) Wenn §. 44. im Strafgeſetzbuch fehlte, könnte die Sache allerdings zweifelhaft erſcheinen, obgleich man nach allgemeinen Rechtsgrundſätzen doch zu demſelben Reſultate kommen müßte. In Frankreich hat der Kaſſationshof in wörtlicher Auslegung des Code pénal. Art. 59. die entgegengeſetzte Praxis begründet. S. hierüber Chauveau et Hélie Faustin I. c. p. 176-79. m) Protokolle der Kommiſſion der zweiten Kammer. Sitzung v. 16. Jan. 1851.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/172>, abgerufen am 16.04.2024.