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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Neuntes Kapitel.
ster Zeit so schöne Bestrebungen in ihrer Mitte rege geworden
sind, theilhaftig werden.

Zum Schluß dieser Erörterung ist nun noch in kurzen
Zügen anzudeuten, wie etwa die Verfassung der Schöffenge-
richte einzurichten sey, damit sie ihrem Zweck entsprechen
können.

1. Der Begriff der gemischten Gerichte setzt voraus, daß
sie aus einer Mehrheit von Personen bestehen. In welchem
Verhältniß dabei die Juristen und die Volksrichter vertreten
werden, ist im Gesetz genau zu bestimmen, im Allgemeinen
aber das Princip fest zu halten, daß stets die Mehrzahl der
Stellen mit den letzteren besetzt wird. Denn die größere Rechts-
kunde und Uebung der Juristen wird diesen doch leicht einen
überwiegenden Einfluß verschaffen, dem auf die angegebene
Weise ein Gegengewicht bereitet werden kann. Der Präsident
sey stets ein Jurist, die geringste Zahl der Richter aber drei;
nur da, wo sich Polizei und Rechtspflege in minder wichtigen
Sachen begegnen, wird das Institut der Friedensrichter oder
ein ähnliches nicht wohl zu vermeiden seyn.

2. Die Gerichtsbezirke schließen sich passend der Gemeinde
an, und zwar so, daß die Competenz nach dem engeren und
weiteren Umfang des Communalverbandes bestimmt wird. Der
Staat ernenne die juristischen, die Gemeinde die nicht juristi-
schen Schöffen. Die Patrimonialgerichtsbarkeit als Ausfluß
der gutsherrlichen Gewalt, der exemte Gerichtsstand und ähn-
liche Ueberreste früherer unstaatlicher Rechtszustände müssen
gänzlich verschwinden. -- Das Alles setzt freilich eine orga-
nisch durchgebildete Gemeindeverfassung und überhaupt die frei-
heitliche Entwicklung der deutschen Staatsverhältnisse voraus:
aber ohne eine umfassende Reform des ganzen Rechtswesens

Neuntes Kapitel.
ſter Zeit ſo ſchoͤne Beſtrebungen in ihrer Mitte rege geworden
ſind, theilhaftig werden.

Zum Schluß dieſer Eroͤrterung iſt nun noch in kurzen
Zuͤgen anzudeuten, wie etwa die Verfaſſung der Schoͤffenge-
richte einzurichten ſey, damit ſie ihrem Zweck entſprechen
koͤnnen.

1. Der Begriff der gemiſchten Gerichte ſetzt voraus, daß
ſie aus einer Mehrheit von Perſonen beſtehen. In welchem
Verhaͤltniß dabei die Juriſten und die Volksrichter vertreten
werden, iſt im Geſetz genau zu beſtimmen, im Allgemeinen
aber das Princip feſt zu halten, daß ſtets die Mehrzahl der
Stellen mit den letzteren beſetzt wird. Denn die groͤßere Rechts-
kunde und Uebung der Juriſten wird dieſen doch leicht einen
uͤberwiegenden Einfluß verſchaffen, dem auf die angegebene
Weiſe ein Gegengewicht bereitet werden kann. Der Praͤſident
ſey ſtets ein Juriſt, die geringſte Zahl der Richter aber drei;
nur da, wo ſich Polizei und Rechtspflege in minder wichtigen
Sachen begegnen, wird das Inſtitut der Friedensrichter oder
ein aͤhnliches nicht wohl zu vermeiden ſeyn.

2. Die Gerichtsbezirke ſchließen ſich paſſend der Gemeinde
an, und zwar ſo, daß die Competenz nach dem engeren und
weiteren Umfang des Communalverbandes beſtimmt wird. Der
Staat ernenne die juriſtiſchen, die Gemeinde die nicht juriſti-
ſchen Schoͤffen. Die Patrimonialgerichtsbarkeit als Ausfluß
der gutsherrlichen Gewalt, der exemte Gerichtsſtand und aͤhn-
liche Ueberreſte fruͤherer unſtaatlicher Rechtszuſtaͤnde muͤſſen
gaͤnzlich verſchwinden. — Das Alles ſetzt freilich eine orga-
niſch durchgebildete Gemeindeverfaſſung und uͤberhaupt die frei-
heitliche Entwicklung der deutſchen Staatsverhaͤltniſſe voraus:
aber ohne eine umfaſſende Reform des ganzen Rechtsweſens

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[282/0294] Neuntes Kapitel. ſter Zeit ſo ſchoͤne Beſtrebungen in ihrer Mitte rege geworden ſind, theilhaftig werden. Zum Schluß dieſer Eroͤrterung iſt nun noch in kurzen Zuͤgen anzudeuten, wie etwa die Verfaſſung der Schoͤffenge- richte einzurichten ſey, damit ſie ihrem Zweck entſprechen koͤnnen. 1. Der Begriff der gemiſchten Gerichte ſetzt voraus, daß ſie aus einer Mehrheit von Perſonen beſtehen. In welchem Verhaͤltniß dabei die Juriſten und die Volksrichter vertreten werden, iſt im Geſetz genau zu beſtimmen, im Allgemeinen aber das Princip feſt zu halten, daß ſtets die Mehrzahl der Stellen mit den letzteren beſetzt wird. Denn die groͤßere Rechts- kunde und Uebung der Juriſten wird dieſen doch leicht einen uͤberwiegenden Einfluß verſchaffen, dem auf die angegebene Weiſe ein Gegengewicht bereitet werden kann. Der Praͤſident ſey ſtets ein Juriſt, die geringſte Zahl der Richter aber drei; nur da, wo ſich Polizei und Rechtspflege in minder wichtigen Sachen begegnen, wird das Inſtitut der Friedensrichter oder ein aͤhnliches nicht wohl zu vermeiden ſeyn. 2. Die Gerichtsbezirke ſchließen ſich paſſend der Gemeinde an, und zwar ſo, daß die Competenz nach dem engeren und weiteren Umfang des Communalverbandes beſtimmt wird. Der Staat ernenne die juriſtiſchen, die Gemeinde die nicht juriſti- ſchen Schoͤffen. Die Patrimonialgerichtsbarkeit als Ausfluß der gutsherrlichen Gewalt, der exemte Gerichtsſtand und aͤhn- liche Ueberreſte fruͤherer unſtaatlicher Rechtszuſtaͤnde muͤſſen gaͤnzlich verſchwinden. — Das Alles ſetzt freilich eine orga- niſch durchgebildete Gemeindeverfaſſung und uͤberhaupt die frei- heitliche Entwicklung der deutſchen Staatsverhaͤltniſſe voraus: aber ohne eine umfaſſende Reform des ganzen Rechtsweſens

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/294>, abgerufen am 24.04.2024.