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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Methode des Juristenrechts.
in fester Haltung zu einer wahren Ueberzeugung ausprägt.
Ein solcher Zustand der Unsicherheit besteht gegenwärtig z. B.
bei der so lebhaft erörterten Frage über die Erbfähigkeit legiti-
mirter Kinder hinsichtlich der Lehengüter, worüber Dieck so be-
lehrende Aufschlüsse aus der Dogmengeschichte gegeben hat.
Hier zeigt sich denn auch recht deutlich, wie das Juristenrecht
mit andern positiven Rechtsquellen in Conflict gerathen kann,
ohne daß sich von vorne herein sagen ließe, welchem Theile
der Sieg gebührt. Denn gesetzt auch, daß die auf jene Frage
bezügliche Stelle des longobardischen Lehenrechts für recipirt
zu achten ist, so wäre es doch recht gut möglich, daß das
Juristenrecht sie außer Uebung gebracht hätte; dann aber
würde eine neue Rechtsbildung, die indessen auch in der ver-
änderten Ueberzeugung des Juristenstandes ihren Grund haben
könnte, nöthig seyn, um die frühere gesetzliche Regel wieder
herzustellen. Aber auch ein unterdrücktes, aber wieder in das
Bewußtseyn getretenes Volksrecht kann eine solche Umänderung
hervorbringen. Damit ist denn freilich der Fall nicht zu ver-
wechseln, wenn das Volksrecht in steter Wirksamkeit geblieben,
und nur von den Juristen mißverstanden und verkannt ist, so
daß trotz ihrer Herrschaft über das Gerichtswesen die eigen-
thümliche Natur der Institute sich lebendig erhalten hat, und
um zu ihrer vollen Anerkennung zu gelangen nichts anders
bedarf als eine Berichtigung der juristischen Theorie. In einem
solchen Fall, der sich namentlich im Handelsrechte häufiger
finden wird, kann es dann nicht leicht zweifelhaft seyn, wem
der Vorzug gebührt, ob dem Volks- oder dem Juristenrecht;
denn das Letztere ist ja eigentlich noch gar nicht zur positiven
Gestaltung gekommen, so lange es die ihm widerstrebende Re-
gel nicht vernichtet hat.



Methode des Juriſtenrechts.
in feſter Haltung zu einer wahren Ueberzeugung auspraͤgt.
Ein ſolcher Zuſtand der Unſicherheit beſteht gegenwaͤrtig z. B.
bei der ſo lebhaft eroͤrterten Frage uͤber die Erbfaͤhigkeit legiti-
mirter Kinder hinſichtlich der Lehenguͤter, woruͤber Dieck ſo be-
lehrende Aufſchluͤſſe aus der Dogmengeſchichte gegeben hat.
Hier zeigt ſich denn auch recht deutlich, wie das Juriſtenrecht
mit andern poſitiven Rechtsquellen in Conflict gerathen kann,
ohne daß ſich von vorne herein ſagen ließe, welchem Theile
der Sieg gebuͤhrt. Denn geſetzt auch, daß die auf jene Frage
bezuͤgliche Stelle des longobardiſchen Lehenrechts fuͤr recipirt
zu achten iſt, ſo waͤre es doch recht gut moͤglich, daß das
Juriſtenrecht ſie außer Uebung gebracht haͤtte; dann aber
wuͤrde eine neue Rechtsbildung, die indeſſen auch in der ver-
aͤnderten Ueberzeugung des Juriſtenſtandes ihren Grund haben
koͤnnte, noͤthig ſeyn, um die fruͤhere geſetzliche Regel wieder
herzuſtellen. Aber auch ein unterdruͤcktes, aber wieder in das
Bewußtſeyn getretenes Volksrecht kann eine ſolche Umaͤnderung
hervorbringen. Damit iſt denn freilich der Fall nicht zu ver-
wechſeln, wenn das Volksrecht in ſteter Wirkſamkeit geblieben,
und nur von den Juriſten mißverſtanden und verkannt iſt, ſo
daß trotz ihrer Herrſchaft uͤber das Gerichtsweſen die eigen-
thuͤmliche Natur der Inſtitute ſich lebendig erhalten hat, und
um zu ihrer vollen Anerkennung zu gelangen nichts anders
bedarf als eine Berichtigung der juriſtiſchen Theorie. In einem
ſolchen Fall, der ſich namentlich im Handelsrechte haͤufiger
finden wird, kann es dann nicht leicht zweifelhaft ſeyn, wem
der Vorzug gebuͤhrt, ob dem Volks- oder dem Juriſtenrecht;
denn das Letztere iſt ja eigentlich noch gar nicht zur poſitiven
Geſtaltung gekommen, ſo lange es die ihm widerſtrebende Re-
gel nicht vernichtet hat.



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[327/0339] Methode des Juriſtenrechts. in feſter Haltung zu einer wahren Ueberzeugung auspraͤgt. Ein ſolcher Zuſtand der Unſicherheit beſteht gegenwaͤrtig z. B. bei der ſo lebhaft eroͤrterten Frage uͤber die Erbfaͤhigkeit legiti- mirter Kinder hinſichtlich der Lehenguͤter, woruͤber Dieck ſo be- lehrende Aufſchluͤſſe aus der Dogmengeſchichte gegeben hat. Hier zeigt ſich denn auch recht deutlich, wie das Juriſtenrecht mit andern poſitiven Rechtsquellen in Conflict gerathen kann, ohne daß ſich von vorne herein ſagen ließe, welchem Theile der Sieg gebuͤhrt. Denn geſetzt auch, daß die auf jene Frage bezuͤgliche Stelle des longobardiſchen Lehenrechts fuͤr recipirt zu achten iſt, ſo waͤre es doch recht gut moͤglich, daß das Juriſtenrecht ſie außer Uebung gebracht haͤtte; dann aber wuͤrde eine neue Rechtsbildung, die indeſſen auch in der ver- aͤnderten Ueberzeugung des Juriſtenſtandes ihren Grund haben koͤnnte, noͤthig ſeyn, um die fruͤhere geſetzliche Regel wieder herzuſtellen. Aber auch ein unterdruͤcktes, aber wieder in das Bewußtſeyn getretenes Volksrecht kann eine ſolche Umaͤnderung hervorbringen. Damit iſt denn freilich der Fall nicht zu ver- wechſeln, wenn das Volksrecht in ſteter Wirkſamkeit geblieben, und nur von den Juriſten mißverſtanden und verkannt iſt, ſo daß trotz ihrer Herrſchaft uͤber das Gerichtsweſen die eigen- thuͤmliche Natur der Inſtitute ſich lebendig erhalten hat, und um zu ihrer vollen Anerkennung zu gelangen nichts anders bedarf als eine Berichtigung der juriſtiſchen Theorie. In einem ſolchen Fall, der ſich namentlich im Handelsrechte haͤufiger finden wird, kann es dann nicht leicht zweifelhaft ſeyn, wem der Vorzug gebuͤhrt, ob dem Volks- oder dem Juriſtenrecht; denn das Letztere iſt ja eigentlich noch gar nicht zur poſitiven Geſtaltung gekommen, ſo lange es die ihm widerſtrebende Re- gel nicht vernichtet hat.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/339>, abgerufen am 24.04.2024.