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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

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Stilpe.
so unangenehm ihm diese eindringende Feuchtigkeit
war, immer auf und ab und immer denselben Weg:
Grimmaische und Petersstraße. Er wollte nicht
eine Minute früher als Punkt 3 Uhr am Garten¬
hause sein, aber er wollte auch nirgends vorher
einkehren, denn er fühlte, daß er nicht sitzen
könnte.

Sein einziger Gedanke war: Wenn wir nur erst
im Zuge sitzen. Und dann bis Triest in einem
Saus! Ah! Nacht und Tag und Nacht! Und
dann das Schiff! . . .

Freilich: Die Seekrankheit . . . Unsinn!
Wenn erst die schimmernde Küste Griechenlands
auftauchen wird . . .! Venus Anadyomene! . . .
Und diese Hellenen in ihren bunten Trachten; auch
Türken, Armenier! Und herrliche Weiber mit
Krügen auf den Köpfen! Großäugig! Glutäugig!
Und broncene Brüste schimmern durch paphische
Gewänder . . .! Und Marmorpaläste, südliche
Gärten und sengende Sonne!

Und nun mein stolzes Schiff, stich aus ins
Meer!

Plötzlich kam ihm seine Mutter in Sinn. Es
kam so unvermutet und grell, daß er mitten im
Rennen stehen blieb.

Stilpe.
ſo unangenehm ihm dieſe eindringende Feuchtigkeit
war, immer auf und ab und immer denſelben Weg:
Grimmaiſche und Petersſtraße. Er wollte nicht
eine Minute früher als Punkt 3 Uhr am Garten¬
hauſe ſein, aber er wollte auch nirgends vorher
einkehren, denn er fühlte, daß er nicht ſitzen
könnte.

Sein einziger Gedanke war: Wenn wir nur erſt
im Zuge ſitzen. Und dann bis Trieſt in einem
Saus! Ah! Nacht und Tag und Nacht! Und
dann das Schiff! . . .

Freilich: Die Seekrankheit . . . Unſinn!
Wenn erſt die ſchimmernde Küſte Griechenlands
auftauchen wird . . .! Venus Anadyomene! . . .
Und dieſe Hellenen in ihren bunten Trachten; auch
Türken, Armenier! Und herrliche Weiber mit
Krügen auf den Köpfen! Großäugig! Glutäugig!
Und broncene Brüſte ſchimmern durch paphiſche
Gewänder . . .! Und Marmorpaläſte, ſüdliche
Gärten und ſengende Sonne!

Und nun mein ſtolzes Schiff, ſtich aus ins
Meer!

Plötzlich kam ihm ſeine Mutter in Sinn. Es
kam ſo unvermutet und grell, daß er mitten im
Rennen ſtehen blieb.

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[146/0160] Stilpe. ſo unangenehm ihm dieſe eindringende Feuchtigkeit war, immer auf und ab und immer denſelben Weg: Grimmaiſche und Petersſtraße. Er wollte nicht eine Minute früher als Punkt 3 Uhr am Garten¬ hauſe ſein, aber er wollte auch nirgends vorher einkehren, denn er fühlte, daß er nicht ſitzen könnte. Sein einziger Gedanke war: Wenn wir nur erſt im Zuge ſitzen. Und dann bis Trieſt in einem Saus! Ah! Nacht und Tag und Nacht! Und dann das Schiff! . . . Freilich: Die Seekrankheit . . . Unſinn! Wenn erſt die ſchimmernde Küſte Griechenlands auftauchen wird . . .! Venus Anadyomene! . . . Und dieſe Hellenen in ihren bunten Trachten; auch Türken, Armenier! Und herrliche Weiber mit Krügen auf den Köpfen! Großäugig! Glutäugig! Und broncene Brüſte ſchimmern durch paphiſche Gewänder . . .! Und Marmorpaläſte, ſüdliche Gärten und ſengende Sonne! Und nun mein ſtolzes Schiff, ſtich aus ins Meer! Plötzlich kam ihm ſeine Mutter in Sinn. Es kam ſo unvermutet und grell, daß er mitten im Rennen ſtehen blieb.

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Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/160>, abgerufen am 29.04.2024.