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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

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Stilpe.
geschweige denn mit Mimi oder der völlig götzen¬
dienerisch verehrten Müsette.

Dafür verliebte sich Stössel in die Tochter eines
Gerbers, Wippert in die eines Viktualienhändlers
und Barmann, der immer was ganz Ausge¬
fallenes haben mußte, in das boshafteste und
häßlichste Mädchen der Stadt, die Tochter eines
Arztes.

Diese Liebschaften fand Stilpe allesammt bla¬
mabel, denn, so sagte er, selbst ein blindes
Huhn sieht, daß sie irreparabel platonischer Na¬
tur sind.

Dafür ging er selber ein vollkommen und
zielbewußt unplatonisches Verhältnis mit dem
Dienstmädchen seiner Wirtsleute ein, einem
stämmig liebenswürdigen Wesen, das sich für
ihn hätte vierteilen lassen, so verliebt war es
in ihn.

Er machte ganz heillose Gedichte auf dieses
Verhältnis, und es gehörte zu den stürmischsten
Augenblicken der Cenaclezusammenkünfte, wenn er
diese freien Rhythmen losließ, die an Über¬
schwänglichkeit Alles in den Schatten stellten,
was den Schlappdeckeln an erotischer Lyrik be¬
kannt war. Im Übrigen wurden die Cenacle¬

Stilpe.
geſchweige denn mit Mimi oder der völlig götzen¬
dieneriſch verehrten Müſette.

Dafür verliebte ſich Stöſſel in die Tochter eines
Gerbers, Wippert in die eines Viktualienhändlers
und Barmann, der immer was ganz Ausge¬
fallenes haben mußte, in das boshafteſte und
häßlichſte Mädchen der Stadt, die Tochter eines
Arztes.

Dieſe Liebſchaften fand Stilpe alleſammt bla¬
mabel, denn, ſo ſagte er, ſelbſt ein blindes
Huhn ſieht, daß ſie irreparabel platoniſcher Na¬
tur ſind.

Dafür ging er ſelber ein vollkommen und
zielbewußt unplatoniſches Verhältnis mit dem
Dienſtmädchen ſeiner Wirtsleute ein, einem
ſtämmig liebenswürdigen Weſen, das ſich für
ihn hätte vierteilen laſſen, ſo verliebt war es
in ihn.

Er machte ganz heilloſe Gedichte auf dieſes
Verhältnis, und es gehörte zu den ſtürmiſchſten
Augenblicken der Cénaclezuſammenkünfte, wenn er
dieſe freien Rhythmen losließ, die an Über¬
ſchwänglichkeit Alles in den Schatten ſtellten,
was den Schlappdeckeln an erotiſcher Lyrik be¬
kannt war. Im Übrigen wurden die Cénacle¬

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[186/0200] Stilpe. geſchweige denn mit Mimi oder der völlig götzen¬ dieneriſch verehrten Müſette. Dafür verliebte ſich Stöſſel in die Tochter eines Gerbers, Wippert in die eines Viktualienhändlers und Barmann, der immer was ganz Ausge¬ fallenes haben mußte, in das boshafteſte und häßlichſte Mädchen der Stadt, die Tochter eines Arztes. Dieſe Liebſchaften fand Stilpe alleſammt bla¬ mabel, denn, ſo ſagte er, ſelbſt ein blindes Huhn ſieht, daß ſie irreparabel platoniſcher Na¬ tur ſind. Dafür ging er ſelber ein vollkommen und zielbewußt unplatoniſches Verhältnis mit dem Dienſtmädchen ſeiner Wirtsleute ein, einem ſtämmig liebenswürdigen Weſen, das ſich für ihn hätte vierteilen laſſen, ſo verliebt war es in ihn. Er machte ganz heilloſe Gedichte auf dieſes Verhältnis, und es gehörte zu den ſtürmiſchſten Augenblicken der Cénaclezuſammenkünfte, wenn er dieſe freien Rhythmen losließ, die an Über¬ ſchwänglichkeit Alles in den Schatten ſtellten, was den Schlappdeckeln an erotiſcher Lyrik be¬ kannt war. Im Übrigen wurden die Cénacle¬

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Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/200>, abgerufen am 27.04.2024.