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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

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Stilpe.
geben und überlaß es also ihm, nachzumessen. Nur
bitte ich, sich nicht gleich ein Schema zu machen.
Des Menschen Seele ist manchmal schwankender
als der Gang eines Betrunkenen durch einen Sturz¬
acker. Aber: wie Sie wollen!

An mir ist es, weiter zu erzählen und zu
sagen, daß Jung-Stilpe allmählich aus dem Stande
eines Battlings in den nächst höheren eines
Quarks emporrückte. Das heißt: Er wurde nun
nicht mehr bloß geschunden; er durfte auch selber
ein bischen mitschinden.

Es wäre nur menschlich gewesen, wenn er sich
in diesem Zustande wohler befunden hätte, als n
dem vorigen. Aber es war nicht so. Am Selber¬
schinden fand er wenig Geschmack, und so entging
ihm die tröstliche Genugthuung, die nicht blos im
Freimaurerinstitut in Dresden-Friedrichstadt den
meisten Menschen das Geschundenwerden erträg¬
licher macht. Er hatte keinen Sinn für das Wohl¬
thuende, das in der Möglichkeit liegt, von oben
empfangene Püffe nach unten weiter zu geben.

Es thut mir leid, aber ich muß es feststellen: Er
dokumentierte damit einen betrüblichen Mangel an
Begabung für realistischen Lebensverstand. Die
Strafe für diesen Defekt konnte nicht ausbleiben:

Stilpe.
geben und überlaß es alſo ihm, nachzumeſſen. Nur
bitte ich, ſich nicht gleich ein Schema zu machen.
Des Menſchen Seele iſt manchmal ſchwankender
als der Gang eines Betrunkenen durch einen Sturz¬
acker. Aber: wie Sie wollen!

An mir iſt es, weiter zu erzählen und zu
ſagen, daß Jung-Stilpe allmählich aus dem Stande
eines Battlings in den nächſt höheren eines
Quarks emporrückte. Das heißt: Er wurde nun
nicht mehr bloß geſchunden; er durfte auch ſelber
ein bischen mitſchinden.

Es wäre nur menſchlich geweſen, wenn er ſich
in dieſem Zuſtande wohler befunden hätte, als n
dem vorigen. Aber es war nicht ſo. Am Selber¬
ſchinden fand er wenig Geſchmack, und ſo entging
ihm die tröſtliche Genugthuung, die nicht blos im
Freimaurerinſtitut in Dresden-Friedrichſtadt den
meiſten Menſchen das Geſchundenwerden erträg¬
licher macht. Er hatte keinen Sinn für das Wohl¬
thuende, das in der Möglichkeit liegt, von oben
empfangene Püffe nach unten weiter zu geben.

Es thut mir leid, aber ich muß es feſtſtellen: Er
dokumentierte damit einen betrüblichen Mangel an
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[32/0046] Stilpe. geben und überlaß es alſo ihm, nachzumeſſen. Nur bitte ich, ſich nicht gleich ein Schema zu machen. Des Menſchen Seele iſt manchmal ſchwankender als der Gang eines Betrunkenen durch einen Sturz¬ acker. Aber: wie Sie wollen! An mir iſt es, weiter zu erzählen und zu ſagen, daß Jung-Stilpe allmählich aus dem Stande eines Battlings in den nächſt höheren eines Quarks emporrückte. Das heißt: Er wurde nun nicht mehr bloß geſchunden; er durfte auch ſelber ein bischen mitſchinden. Es wäre nur menſchlich geweſen, wenn er ſich in dieſem Zuſtande wohler befunden hätte, als n dem vorigen. Aber es war nicht ſo. Am Selber¬ ſchinden fand er wenig Geſchmack, und ſo entging ihm die tröſtliche Genugthuung, die nicht blos im Freimaurerinſtitut in Dresden-Friedrichſtadt den meiſten Menſchen das Geſchundenwerden erträg¬ licher macht. Er hatte keinen Sinn für das Wohl¬ thuende, das in der Möglichkeit liegt, von oben empfangene Püffe nach unten weiter zu geben. Es thut mir leid, aber ich muß es feſtſtellen: Er dokumentierte damit einen betrüblichen Mangel an Begabung für realiſtiſchen Lebensverſtand. Die Strafe für dieſen Defekt konnte nicht ausbleiben:

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Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/46>, abgerufen am 28.03.2024.