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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

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Stilpe.

Denn er mit allen seinen Erfahrungen bekam
sicherlich noch lange keinen.

Überhaupt, die Natur meinte es nicht gut mit
ihm. Er, der nun schon konfirmiert werden sollte,
in die Gemeinde der Gläubigen aufgenommen, sah
um drei Jahre jünger aus, als er war; und das
will in diesen Jahren sehr viel bedeuten, zumal bei
Einem, der sich innerlich etwa drei Jahre älter
fühlt, als er in Wirklichkeit zählt, also sechs
Jahre älter, als er aussieht.

Das machte seine Stellung unter all den Jungen
noch fataler. Die Großen hänselten ihn, weil er
sie durch sein kleinjungenhaftes Aussehen gewisser¬
maßen komprommittierte, die Jüngeren ließen es
ihm zuweilen fast merken, daß sie ihn nicht ganz für
groß ansahen, und er selbst fühlte sich dabei im
Inneren sehr viel größer, als die größten unter den
Großen.

Er zernagte sich förmlich vor Ingrimm und
fing an, sich gegen alle Welt hochfahrend zu be¬
tragen.

Die meiste Zeit las er. Wahllos Alles, was
ihm unter die Hände geriet. Die Gedichte des
Lesebuchs kannte er auswendig, und es war sein
Triumph, sich darin auf die Probe stellen zu lassen.

Stilpe.

Denn er mit allen ſeinen Erfahrungen bekam
ſicherlich noch lange keinen.

Überhaupt, die Natur meinte es nicht gut mit
ihm. Er, der nun ſchon konfirmiert werden ſollte,
in die Gemeinde der Gläubigen aufgenommen, ſah
um drei Jahre jünger aus, als er war; und das
will in dieſen Jahren ſehr viel bedeuten, zumal bei
Einem, der ſich innerlich etwa drei Jahre älter
fühlt, als er in Wirklichkeit zählt, alſo ſechs
Jahre älter, als er ausſieht.

Das machte ſeine Stellung unter all den Jungen
noch fataler. Die Großen hänſelten ihn, weil er
ſie durch ſein kleinjungenhaftes Ausſehen gewiſſer¬
maßen komprommittierte, die Jüngeren ließen es
ihm zuweilen faſt merken, daß ſie ihn nicht ganz für
groß anſahen, und er ſelbſt fühlte ſich dabei im
Inneren ſehr viel größer, als die größten unter den
Großen.

Er zernagte ſich förmlich vor Ingrimm und
fing an, ſich gegen alle Welt hochfahrend zu be¬
tragen.

Die meiſte Zeit las er. Wahllos Alles, was
ihm unter die Hände geriet. Die Gedichte des
Leſebuchs kannte er auswendig, und es war ſein
Triumph, ſich darin auf die Probe ſtellen zu laſſen.

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[74/0088] Stilpe. Denn er mit allen ſeinen Erfahrungen bekam ſicherlich noch lange keinen. Überhaupt, die Natur meinte es nicht gut mit ihm. Er, der nun ſchon konfirmiert werden ſollte, in die Gemeinde der Gläubigen aufgenommen, ſah um drei Jahre jünger aus, als er war; und das will in dieſen Jahren ſehr viel bedeuten, zumal bei Einem, der ſich innerlich etwa drei Jahre älter fühlt, als er in Wirklichkeit zählt, alſo ſechs Jahre älter, als er ausſieht. Das machte ſeine Stellung unter all den Jungen noch fataler. Die Großen hänſelten ihn, weil er ſie durch ſein kleinjungenhaftes Ausſehen gewiſſer¬ maßen komprommittierte, die Jüngeren ließen es ihm zuweilen faſt merken, daß ſie ihn nicht ganz für groß anſahen, und er ſelbſt fühlte ſich dabei im Inneren ſehr viel größer, als die größten unter den Großen. Er zernagte ſich förmlich vor Ingrimm und fing an, ſich gegen alle Welt hochfahrend zu be¬ tragen. Die meiſte Zeit las er. Wahllos Alles, was ihm unter die Hände geriet. Die Gedichte des Leſebuchs kannte er auswendig, und es war ſein Triumph, ſich darin auf die Probe ſtellen zu laſſen.

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Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/88>, abgerufen am 29.03.2024.