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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Briefwechsel mit Roon über die Huldigungsfrage.
fällt, und wenn man meinem Könige ein Recht bestreitet, welches
er ausüben will und kann, so fühle ich mich verpflichtet es zu ver¬
fechten, wenn ich auch an sich nicht von der practischen Wichtigkeit
seiner Ausübung durchdrungen bin. In diesem Sinne telegraphirte
ich an Schlieffen, daß ich den ,Besitztitel', auf dessen Grund ein neues
Ministerium sich etabliren soll, für richtig halte, und sehe die Weige¬
rung der andern Partei und die Wichtigkeit, welche sie auf Verhütung
des Huldigungsactes legt, als doctrinäre Verbissenheit an. Wenn
ich hinzufügte, daß ich die sonstige Vermögenslage nicht kenne,
so meinte ich damit nicht die Personen und Fähigkeiten, mit denen
wir das Geschäft übernehmen könnten, sondern das Programm,
auf dessen Boden wir zu wirthschaften haben würden. Darin wird
m. E. die Schwierigkeit liegen. Meinem Eindruck nach lag der
Hauptmangel unsrer bisherigen Politik darin, daß wir liberal in
Preußen und conservativ im Auslande auftraten, die Rechte unsres
Königs wohlfeil, die fremder Fürsten zu hoch hielten. Eine natür¬
liche Folge des Dualismus zwischen der constitutionellen Richtung
der Minister und der legitimistischen, welche der persönliche Wille
Seiner Majestät unsrer auswärtigen Politik gab. Ich würde mich
nicht leicht zu der Erbschaft Schwerins entschließen, schon weil ich
mein augenblickliches Gesundheits-Capital dazu nicht ausreichend
halte. Aber selbst wenn es der Fall wäre, würde ich auch im
Innern das Bedürfniß einer andern Färbung unsrer auswärtigen
Politik fühlen. Nur durch eine Schwenkung in unsrer, ,auswärtigen'
Haltung kann, wie ich glaube, die Stellung der Krone im Innern
von dem Andrang degagirt werden, dem sie auf die Dauer sonst
thatsächlich nicht widerstehn wird, obschon ich an der Zuläng¬
lichkeit der Mittel dazu nicht zweifle. Die Pression der Dämpfe
im Innern muß ziemlich hoch gespannt sein, sonst ist es garnicht
verständlich, wie das öffentliche Leben bei uns von Lappalien wie
Stieber, Schwark, Macdonald, Patzke, Twesten u. dergl. so auf¬
geregt werden konnte, und im Auslande wird man nicht begreifen,
wie die Huldigungsfrage das Cabinet sprengen konnte. Man sollte

Briefwechſel mit Roon über die Huldigungsfrage.
fällt, und wenn man meinem Könige ein Recht beſtreitet, welches
er ausüben will und kann, ſo fühle ich mich verpflichtet es zu ver¬
fechten, wenn ich auch an ſich nicht von der practiſchen Wichtigkeit
ſeiner Ausübung durchdrungen bin. In dieſem Sinne telegraphirte
ich an Schlieffen, daß ich den ,Beſitztitel‘, auf deſſen Grund ein neues
Miniſterium ſich etabliren ſoll, für richtig halte, und ſehe die Weige¬
rung der andern Partei und die Wichtigkeit, welche ſie auf Verhütung
des Huldigungsactes legt, als doctrinäre Verbiſſenheit an. Wenn
ich hinzufügte, daß ich die ſonſtige Vermögenslage nicht kenne,
ſo meinte ich damit nicht die Perſonen und Fähigkeiten, mit denen
wir das Geſchäft übernehmen könnten, ſondern das Programm,
auf deſſen Boden wir zu wirthſchaften haben würden. Darin wird
m. E. die Schwierigkeit liegen. Meinem Eindruck nach lag der
Hauptmangel unſrer bisherigen Politik darin, daß wir liberal in
Preußen und conſervativ im Auslande auftraten, die Rechte unſres
Königs wohlfeil, die fremder Fürſten zu hoch hielten. Eine natür¬
liche Folge des Dualismus zwiſchen der conſtitutionellen Richtung
der Miniſter und der legitimiſtiſchen, welche der perſönliche Wille
Seiner Majeſtät unſrer auswärtigen Politik gab. Ich würde mich
nicht leicht zu der Erbſchaft Schwerins entſchließen, ſchon weil ich
mein augenblickliches Geſundheits-Capital dazu nicht ausreichend
halte. Aber ſelbſt wenn es der Fall wäre, würde ich auch im
Innern das Bedürfniß einer andern Färbung unſrer auswärtigen
Politik fühlen. Nur durch eine Schwenkung in unſrer, ‚auswärtigen‘
Haltung kann, wie ich glaube, die Stellung der Krone im Innern
von dem Andrang degagirt werden, dem ſie auf die Dauer ſonſt
thatſächlich nicht widerſtehn wird, obſchon ich an der Zuläng¬
lichkeit der Mittel dazu nicht zweifle. Die Preſſion der Dämpfe
im Innern muß ziemlich hoch geſpannt ſein, ſonſt iſt es garnicht
verſtändlich, wie das öffentliche Leben bei uns von Lappalien wie
Stieber, Schwark, Macdonald, Patzke, Tweſten u. dergl. ſo auf¬
geregt werden konnte, und im Auslande wird man nicht begreifen,
wie die Huldigungsfrage das Cabinet ſprengen konnte. Man ſollte

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[243/0270] Briefwechſel mit Roon über die Huldigungsfrage. fällt, und wenn man meinem Könige ein Recht beſtreitet, welches er ausüben will und kann, ſo fühle ich mich verpflichtet es zu ver¬ fechten, wenn ich auch an ſich nicht von der practiſchen Wichtigkeit ſeiner Ausübung durchdrungen bin. In dieſem Sinne telegraphirte ich an Schlieffen, daß ich den ,Beſitztitel‘, auf deſſen Grund ein neues Miniſterium ſich etabliren ſoll, für richtig halte, und ſehe die Weige¬ rung der andern Partei und die Wichtigkeit, welche ſie auf Verhütung des Huldigungsactes legt, als doctrinäre Verbiſſenheit an. Wenn ich hinzufügte, daß ich die ſonſtige Vermögenslage nicht kenne, ſo meinte ich damit nicht die Perſonen und Fähigkeiten, mit denen wir das Geſchäft übernehmen könnten, ſondern das Programm, auf deſſen Boden wir zu wirthſchaften haben würden. Darin wird m. E. die Schwierigkeit liegen. Meinem Eindruck nach lag der Hauptmangel unſrer bisherigen Politik darin, daß wir liberal in Preußen und conſervativ im Auslande auftraten, die Rechte unſres Königs wohlfeil, die fremder Fürſten zu hoch hielten. Eine natür¬ liche Folge des Dualismus zwiſchen der conſtitutionellen Richtung der Miniſter und der legitimiſtiſchen, welche der perſönliche Wille Seiner Majeſtät unſrer auswärtigen Politik gab. Ich würde mich nicht leicht zu der Erbſchaft Schwerins entſchließen, ſchon weil ich mein augenblickliches Geſundheits-Capital dazu nicht ausreichend halte. Aber ſelbſt wenn es der Fall wäre, würde ich auch im Innern das Bedürfniß einer andern Färbung unſrer auswärtigen Politik fühlen. Nur durch eine Schwenkung in unſrer, ‚auswärtigen‘ Haltung kann, wie ich glaube, die Stellung der Krone im Innern von dem Andrang degagirt werden, dem ſie auf die Dauer ſonſt thatſächlich nicht widerſtehn wird, obſchon ich an der Zuläng¬ lichkeit der Mittel dazu nicht zweifle. Die Preſſion der Dämpfe im Innern muß ziemlich hoch geſpannt ſein, ſonſt iſt es garnicht verſtändlich, wie das öffentliche Leben bei uns von Lappalien wie Stieber, Schwark, Macdonald, Patzke, Tweſten u. dergl. ſo auf¬ geregt werden konnte, und im Auslande wird man nicht begreifen, wie die Huldigungsfrage das Cabinet ſprengen konnte. Man ſollte

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/270>, abgerufen am 24.04.2024.