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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Quertreibereien der Königin Augusta. Eisen und Blut.
rigen europäischen Situationen wurde für einen Minister, der kühle
und praktische Politik ohne dynastische Sentimentalität und ohne
höfischen Byzantinismus treiben wollte, durch mächtige Quer¬
wirkungen sehr erschwert, welche am stärksten und wirksamsten von
der Königin Augusta und deren Minister Schleinitz geübt wurden,
sowie von andern fürstlichen Einflüssen und Familien-Correspon¬
denzen neben den Insinuationen feindlicher Elemente am Hofe,
nicht minder von den jesuitischen Organen (Nesselrode, Still¬
fried etc.), von Intriganten und befähigten Rivalen, wie Goltz und
Harry Arnim, und unbefähigten, wie frühern Ministern, und Parla¬
mentariern, die es werden wollten. Es gehörte die ganze ehrliche
und vornehme Treue des Königs für seinen ersten Diener dazu,
daß er in seinem Vertrauen zu mir nicht wankend wurde.

In den ersten Tagen des Octobers fuhr ich dem Könige, der
sich zum 30. September, dem Geburtstage seiner Gemalin, nach
Baden-Baden begeben hatte, bis Jüterbogk entgegen und erwartete
ihn in dem noch unfertigen, von Reisenden dritter Classe und Hand¬
werkern gefüllten Bahnhofe, im Dunkeln auf einer umgestürzten
Schiebkarre sitzend. Meine Absicht, indem ich die Gelegenheit zu
einer Unterredung suchte, war, Se. Majestät über eine Aufsehn
erregende Aeußerung zu beruhigen, welche ich am 30. September
in der Budget-Commission gethan hatte und die zwar nicht steno¬
graphirt, aber in den Zeitungen ziemlich getreu wiedergegeben war.

Ich hatte für Leute, die weniger erbittert und von Ehrgeiz
verblendet waren, deutlich genug gesagt, wo ich hinaus wollte.
Preußen könne -- das war der Sinn meiner Rede -- wie schon
ein Blick auf die Karte zeige, mit seinem schmalen langgestreckten
Leibe die Rüstung, deren Deutschland zu seiner Sicherheit be¬
dürfe, allein nicht Iänger tragen; diese müsse sich auf alle Deutschen
gleichmäßig vertheilen. Dem Ziele würden wir nicht durch Reden,
Vereine, Majoritätsbeschlüsse näher kommen, sondern es werde ein
ernster Kampf nicht zu vermeiden sein, ein Kampf, der nur durch
Eisen und Blut erledigt werden könne. Um uns darin Erfolg zu

Quertreibereien der Königin Auguſta. Eiſen und Blut.
rigen europäiſchen Situationen wurde für einen Miniſter, der kühle
und praktiſche Politik ohne dynaſtiſche Sentimentalität und ohne
höfiſchen Byzantinismus treiben wollte, durch mächtige Quer¬
wirkungen ſehr erſchwert, welche am ſtärkſten und wirkſamſten von
der Königin Auguſta und deren Miniſter Schleinitz geübt wurden,
ſowie von andern fürſtlichen Einflüſſen und Familien-Correſpon¬
denzen neben den Inſinuationen feindlicher Elemente am Hofe,
nicht minder von den jeſuitiſchen Organen (Neſſelrode, Still¬
fried ꝛc.), von Intriganten und befähigten Rivalen, wie Goltz und
Harry Arnim, und unbefähigten, wie frühern Miniſtern, und Parla¬
mentariern, die es werden wollten. Es gehörte die ganze ehrliche
und vornehme Treue des Königs für ſeinen erſten Diener dazu,
daß er in ſeinem Vertrauen zu mir nicht wankend wurde.

In den erſten Tagen des Octobers fuhr ich dem Könige, der
ſich zum 30. September, dem Geburtstage ſeiner Gemalin, nach
Baden-Baden begeben hatte, bis Jüterbogk entgegen und erwartete
ihn in dem noch unfertigen, von Reiſenden dritter Claſſe und Hand¬
werkern gefüllten Bahnhofe, im Dunkeln auf einer umgeſtürzten
Schiebkarre ſitzend. Meine Abſicht, indem ich die Gelegenheit zu
einer Unterredung ſuchte, war, Se. Majeſtät über eine Aufſehn
erregende Aeußerung zu beruhigen, welche ich am 30. September
in der Budget-Commiſſion gethan hatte und die zwar nicht ſteno¬
graphirt, aber in den Zeitungen ziemlich getreu wiedergegeben war.

Ich hatte für Leute, die weniger erbittert und von Ehrgeiz
verblendet waren, deutlich genug geſagt, wo ich hinaus wollte.
Preußen könne — das war der Sinn meiner Rede — wie ſchon
ein Blick auf die Karte zeige, mit ſeinem ſchmalen langgeſtreckten
Leibe die Rüſtung, deren Deutſchland zu ſeiner Sicherheit be¬
dürfe, allein nicht Iänger tragen; dieſe müſſe ſich auf alle Deutſchen
gleichmäßig vertheilen. Dem Ziele würden wir nicht durch Reden,
Vereine, Majoritätsbeſchlüſſe näher kommen, ſondern es werde ein
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[283/0310] Quertreibereien der Königin Auguſta. Eiſen und Blut. rigen europäiſchen Situationen wurde für einen Miniſter, der kühle und praktiſche Politik ohne dynaſtiſche Sentimentalität und ohne höfiſchen Byzantinismus treiben wollte, durch mächtige Quer¬ wirkungen ſehr erſchwert, welche am ſtärkſten und wirkſamſten von der Königin Auguſta und deren Miniſter Schleinitz geübt wurden, ſowie von andern fürſtlichen Einflüſſen und Familien-Correſpon¬ denzen neben den Inſinuationen feindlicher Elemente am Hofe, nicht minder von den jeſuitiſchen Organen (Neſſelrode, Still¬ fried ꝛc.), von Intriganten und befähigten Rivalen, wie Goltz und Harry Arnim, und unbefähigten, wie frühern Miniſtern, und Parla¬ mentariern, die es werden wollten. Es gehörte die ganze ehrliche und vornehme Treue des Königs für ſeinen erſten Diener dazu, daß er in ſeinem Vertrauen zu mir nicht wankend wurde. In den erſten Tagen des Octobers fuhr ich dem Könige, der ſich zum 30. September, dem Geburtstage ſeiner Gemalin, nach Baden-Baden begeben hatte, bis Jüterbogk entgegen und erwartete ihn in dem noch unfertigen, von Reiſenden dritter Claſſe und Hand¬ werkern gefüllten Bahnhofe, im Dunkeln auf einer umgeſtürzten Schiebkarre ſitzend. Meine Abſicht, indem ich die Gelegenheit zu einer Unterredung ſuchte, war, Se. Majeſtät über eine Aufſehn erregende Aeußerung zu beruhigen, welche ich am 30. September in der Budget-Commiſſion gethan hatte und die zwar nicht ſteno¬ graphirt, aber in den Zeitungen ziemlich getreu wiedergegeben war. Ich hatte für Leute, die weniger erbittert und von Ehrgeiz verblendet waren, deutlich genug geſagt, wo ich hinaus wollte. Preußen könne — das war der Sinn meiner Rede — wie ſchon ein Blick auf die Karte zeige, mit ſeinem ſchmalen langgeſtreckten Leibe die Rüſtung, deren Deutſchland zu ſeiner Sicherheit be¬ dürfe, allein nicht Iänger tragen; dieſe müſſe ſich auf alle Deutſchen gleichmäßig vertheilen. Dem Ziele würden wir nicht durch Reden, Vereine, Majoritätsbeſchlüſſe näher kommen, ſondern es werde ein ernſter Kampf nicht zu vermeiden ſein, ein Kampf, der nur durch Eiſen und Blut erledigt werden könne. Um uns darin Erfolg zu

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/310>, abgerufen am 29.03.2024.