Denn sie legen gleichsam den Grund für jedes natürliche System, worin die Dinge nach ihrem Totalhabitu und den äußern Eigenschaf- ten, in denen sie gegenseitig am allermeisten mit einander übereinkommen, geordnet werden, da die künstlichen hingegen nur ein einzelnes Merkzeichen zum Grunde ihrer Eintheilung an- nehmen.
Da es aber keinem Zweifel unterworfen ist, daß solch ein natürliches System vorzüglicher sey, als ein künstliches, weil es die Urtheils- kraft schärft, und dem Gedächtniß seine Be- schäftigung ungemein erleichtert; so habe ich mir um so mehr Mühe gegeben, die Klasse der Säugthiere auf eine solche Ordnung eines na- türlichen Systems zurückzuführen, da Linne es künstliches, von dem Verhältniß der Zähne hergenommenes, durch die Hinzukunft so vieler neuerdings entdeckten Gattungen, täglich lästi- gere Anomalien und Ausnahmen bekäme.
Denn so, um dies wenigstens nur zu be- rühren, kennen wir jetzt zwey Gattungen vom Rhinozeros, welche nach ihrem Habitus sich völlig ähnlich, den Zähnen nach aber so ver- schieden sind, daß man, um Linne es Systeme noch zu folgen, die eine Gattung eben so gut zu den großen Säuge- (belluae), als den Nagethieren (glires) und die andere zu den
Säuge-
Denn ſie legen gleichſam den Grund fuͤr jedes natuͤrliche Syſtem, worin die Dinge nach ihrem Totalhabitu und den aͤußern Eigenſchaf- ten, in denen ſie gegenſeitig am allermeiſten mit einander uͤbereinkommen, geordnet werden, da die kuͤnſtlichen hingegen nur ein einzelnes Merkzeichen zum Grunde ihrer Eintheilung an- nehmen.
Da es aber keinem Zweifel unterworfen iſt, daß ſolch ein natuͤrliches Syſtem vorzuͤglicher ſey, als ein kuͤnſtliches, weil es die Urtheils- kraft ſchaͤrft, und dem Gedaͤchtniß ſeine Be- ſchaͤftigung ungemein erleichtert; ſo habe ich mir um ſo mehr Muͤhe gegeben, die Klaſſe der Saͤugthiere auf eine ſolche Ordnung eines na- tuͤrlichen Syſtems zuruͤckzufuͤhren, da Linné es kuͤnſtliches, von dem Verhaͤltniß der Zaͤhne hergenommenes, durch die Hinzukunft ſo vieler neuerdings entdeckten Gattungen, taͤglich laͤſti- gere Anomalien und Ausnahmen bekaͤme.
Denn ſo, um dies wenigſtens nur zu be- ruͤhren, kennen wir jetzt zwey Gattungen vom Rhinozeros, welche nach ihrem Habitus ſich voͤllig aͤhnlich, den Zaͤhnen nach aber ſo ver- ſchieden ſind, daß man, um Linné es Syſteme noch zu folgen, die eine Gattung eben ſo gut zu den großen Saͤuge- (belluae), als den Nagethieren (glires) und die andere zu den
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[XX/0022]
Denn ſie legen gleichſam den Grund fuͤr
jedes natuͤrliche Syſtem, worin die Dinge nach
ihrem Totalhabitu und den aͤußern Eigenſchaf-
ten, in denen ſie gegenſeitig am allermeiſten
mit einander uͤbereinkommen, geordnet werden,
da die kuͤnſtlichen hingegen nur ein einzelnes
Merkzeichen zum Grunde ihrer Eintheilung an-
nehmen.
Da es aber keinem Zweifel unterworfen iſt,
daß ſolch ein natuͤrliches Syſtem vorzuͤglicher
ſey, als ein kuͤnſtliches, weil es die Urtheils-
kraft ſchaͤrft, und dem Gedaͤchtniß ſeine Be-
ſchaͤftigung ungemein erleichtert; ſo habe ich
mir um ſo mehr Muͤhe gegeben, die Klaſſe der
Saͤugthiere auf eine ſolche Ordnung eines na-
tuͤrlichen Syſtems zuruͤckzufuͤhren, da Linné es
kuͤnſtliches, von dem Verhaͤltniß der Zaͤhne
hergenommenes, durch die Hinzukunft ſo vieler
neuerdings entdeckten Gattungen, taͤglich laͤſti-
gere Anomalien und Ausnahmen bekaͤme.
Denn ſo, um dies wenigſtens nur zu be-
ruͤhren, kennen wir jetzt zwey Gattungen vom
Rhinozeros, welche nach ihrem Habitus ſich
voͤllig aͤhnlich, den Zaͤhnen nach aber ſo ver-
ſchieden ſind, daß man, um Linné es Syſteme
noch zu folgen, die eine Gattung eben ſo gut
zu den großen Saͤuge- (belluae), als den
Nagethieren (glires) und die andere zu den
Saͤuge-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
"Über die natürlichen Verschiedenheiten im Mensch… [mehr]
"Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte" ist die überarbeitete Fassung von Blumenbachs Dissertationsschrift "De generis humani varietate nativa" (1. Aufl. 1775 bei Friedrich Andreas Rosenbusch in Göttingen). Die Dissertation erschien in lateinischer Sprache; für das DTA wurde Johann Gottfried Grubers Übersetzung der dritten Auflage von Blumenbachs Dissertation (1795 bei Vandenhoek & Ruprecht) digitalisiert, die 1798 in Leipzig bei Breitkopf & Härtel erschien. Erstmals lag hiermit Blumenbachs Werk "De generis humani varietate nativa" in deutscher Sprache vor.
Blumenbach, Johann Friedrich: Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte. Leipzig, 1798, S. XX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_menschengeschlecht_1798/22>, abgerufen am 26.04.2024.
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