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Blumenbach, Johann Friedrich: Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte. Leipzig, 1798.

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aus Champagne 2); des pyrenäischen Mannes 3)
und anderer, klar, daß diese Unglücklichen aufrecht
gegangen sind; in der Geschichte der übrigen aber,
welche man gemeiniglich für vierfüßige gehalten hat,
als des irrländischen Jünglings unter den Schaafen
Linn. stößt man auf verschiedenes, was sie sehr
zweifelhaft macht 4); ja jener wilde Mensch des
Linne (Homo sapiens ferus, S. N. Ausg. 12. 1ster
Th. S. 28.) scheint in der That mit nicht größerem

Rechte
Wie wichtig diesem schottischen Philosophen vor al-
len andern Peter von Hameln ist, bekennt er in fol-
genden Worten: "Diese Erscheinung däucht mich ist
außerordentlicher, denn der neue Planet, oder eine
Entdeckung von noch 30,000 Fixsternen, außer denen
kürzlich entdeckten." b)
2) (de la Condamine) histoire d'une jeune fille sau-
vage
. Paris
1761. 12.
3) Vergl. Leroy sur l'exploitation de la Mature dans
les Pyrenees
. Lond.
1776. 4. S. 8.
4) Man sehe z. B. was der übrigens sehr verdiente
Tulpius von diesem irrländischen Jünglinge erzählt
im 9ten Kap. des 4ten Buchs seiner Observat. medi-
car.
"Ein Jüngling von 16 Jahren, der in Irrland
unter den wilden Schaafen von Kindheit an
auferzogen war, hatte gleichsam die Natur der
Schaafe
angenommen -- hatte wilden Blick -- war
roh, kühn, unerschrocken. -- Er hatte auf rauhen
Gebirgen, in wilden Gegenden gelebt, selbst so wild
als ungebändigt" u. s. w. -- Wie mögen denn wohl
die wilden Schaafe in Irrland beschaffen seyn? Wel-
ches mag ihre Natur seyn? Wild und ungebändigt?
Gewiß jeder, der dieses Geschichtchen mit dem Messer
der Kritik zerlegt, wird auf die Vermuthung kom-
men, daß dieser dumme Klotz, der des Schauspiels
halber als ein Wunderwerk durch Holland geführt
wurle, leicht eben so wenig zu den unter Thieren
erzogenen Menschen gehört habe, als einst eben da-
selbst ein ähnliches von einem listigen Betrüger für
einer Eskimo ausgegebenes Wunderwerk (man sehe
hierueber Recherches philosoph sur les Americ. Th. 1. S.
258.) zu den wahren Eingebornen der Küste La-
bradir.

aus Champagne 2); des pyrenaͤiſchen Mannes 3)
und anderer, klar, daß dieſe Ungluͤcklichen aufrecht
gegangen ſind; in der Geſchichte der uͤbrigen aber,
welche man gemeiniglich fuͤr vierfuͤßige gehalten hat,
als des irrlaͤndiſchen Juͤnglings unter den Schaafen
Linn. ſtoͤßt man auf verſchiedenes, was ſie ſehr
zweifelhaft macht 4); ja jener wilde Menſch des
Linné (Homo ſapiens ferus, S. N. Ausg. 12. 1ſter
Th. S. 28.) ſcheint in der That mit nicht groͤßerem

Rechte
Wie wichtig dieſem ſchottiſchen Philoſophen vor al-
len andern Peter von Hameln iſt, bekennt er in fol-
genden Worten: „Dieſe Erſcheinung daͤucht mich iſt
außerordentlicher, denn der neue Planet, oder eine
Entdeckung von noch 30,000 Fixſternen, außer denen
kuͤrzlich entdeckten.“ b)
2) (de la Condamine) hiſtoire d’une jeune fille ſau-
vage
. Paris
1761. 12.
3) Vergl. Leroy ſur l’exploitation de la Mâture dans
les Pyrenées
. Lond.
1776. 4. S. 8.
4) Man ſehe z. B. was der uͤbrigens ſehr verdiente
Tulpius von dieſem irrlaͤndiſchen Juͤnglinge erzaͤhlt
im 9ten Kap. des 4ten Buchs ſeiner Obſervat. medi-
car.
„Ein Juͤngling von 16 Jahren, der in Irrland
unter den wilden Schaafen von Kindheit an
auferzogen war, hatte gleichſam die Natur der
Schaafe
angenommen — hatte wilden Blick — war
roh, kuͤhn, unerſchrocken. — Er hatte auf rauhen
Gebirgen, in wilden Gegenden gelebt, ſelbſt ſo wild
als ungebaͤndigt“ u. ſ. w. — Wie moͤgen denn wohl
die wilden Schaafe in Irrland beſchaffen ſeyn? Wel-
ches mag ihre Natur ſeyn? Wild und ungebaͤndigt?
Gewiß jeder, der dieſes Geſchichtchen mit dem Meſſer
der Kritik zerlegt, wird auf die Vermuthung kom-
men, daß dieſer dumme Klotz, der des Schauſpiels
halber als ein Wunderwerk durch Holland gefuͤhrt
wurle, leicht eben ſo wenig zu den unter Thieren
erzogenen Menſchen gehoͤrt habe, als einſt eben da-
ſelbſt ein aͤhnliches von einem liſtigen Betruͤger fuͤr
einer Eskimo ausgegebenes Wunderwerk (man ſehe
hierueber Recherches philoſoph ſur les Améric. Th. 1. S.
258.) zu den wahren Eingebornen der Kuͤſte La-
bradir.
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[21/0055] aus Champagne 2); des pyrenaͤiſchen Mannes 3) und anderer, klar, daß dieſe Ungluͤcklichen aufrecht gegangen ſind; in der Geſchichte der uͤbrigen aber, welche man gemeiniglich fuͤr vierfuͤßige gehalten hat, als des irrlaͤndiſchen Juͤnglings unter den Schaafen Linn. ſtoͤßt man auf verſchiedenes, was ſie ſehr zweifelhaft macht 4); ja jener wilde Menſch des Linné (Homo ſapiens ferus, S. N. Ausg. 12. 1ſter Th. S. 28.) ſcheint in der That mit nicht groͤßerem Rechte 1) 2) (de la Condamine) hiſtoire d’une jeune fille ſau- vage. Paris 1761. 12. 3) Vergl. Leroy ſur l’exploitation de la Mâture dans les Pyrenées. Lond. 1776. 4. S. 8. 4) Man ſehe z. B. was der uͤbrigens ſehr verdiente Tulpius von dieſem irrlaͤndiſchen Juͤnglinge erzaͤhlt im 9ten Kap. des 4ten Buchs ſeiner Obſervat. medi- car. „Ein Juͤngling von 16 Jahren, der in Irrland unter den wilden Schaafen von Kindheit an auferzogen war, hatte gleichſam die Natur der Schaafe angenommen — hatte wilden Blick — war roh, kuͤhn, unerſchrocken. — Er hatte auf rauhen Gebirgen, in wilden Gegenden gelebt, ſelbſt ſo wild als ungebaͤndigt“ u. ſ. w. — Wie moͤgen denn wohl die wilden Schaafe in Irrland beſchaffen ſeyn? Wel- ches mag ihre Natur ſeyn? Wild und ungebaͤndigt? Gewiß jeder, der dieſes Geſchichtchen mit dem Meſſer der Kritik zerlegt, wird auf die Vermuthung kom- men, daß dieſer dumme Klotz, der des Schauſpiels halber als ein Wunderwerk durch Holland gefuͤhrt wurle, leicht eben ſo wenig zu den unter Thieren erzogenen Menſchen gehoͤrt habe, als einſt eben da- ſelbſt ein aͤhnliches von einem liſtigen Betruͤger fuͤr einer Eskimo ausgegebenes Wunderwerk (man ſehe hierueber Recherches philoſoph ſur les Améric. Th. 1. S. 258.) zu den wahren Eingebornen der Kuͤſte La- bradir. 1) Wie wichtig dieſem ſchottiſchen Philoſophen vor al- len andern Peter von Hameln iſt, bekennt er in fol- genden Worten: „Dieſe Erſcheinung daͤucht mich iſt außerordentlicher, denn der neue Planet, oder eine Entdeckung von noch 30,000 Fixſternen, außer denen kuͤrzlich entdeckten.“ b)

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Zitationshilfe: Blumenbach, Johann Friedrich: Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte. Leipzig, 1798, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_menschengeschlecht_1798/55>, abgerufen am 28.03.2024.