Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Blumenbach, Johann Friedrich: Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite
§. 9.
C) Der Mensch, ein zweyhändiges Thier.

Aus dem, was über des Menschen Stellung
bisher gesagt worden ist, ergiebt sich der größte Vor-
zug seiner äußern Bildung, nämlich: der freyste
Gebrauch zweyer sehr vollkommener Hände; durch
deren Bildung er so weit über den übrigen Thieren
steht, daß dadurch des Anaxagoras abgedroschenes,
von Helvetius in unsern Zeiten wieder aufgewärmtes
Sophisma entstanden ist: "Der Mensch scheine des-
halb am weisesten zu seyn, weil er mit Händen aus-
gestattet ist." Dies ist wirklich zu paradox; weni-
ger scheint sich im Gegentheile die Behauptung des
Aristoteles von der Wahrheit der Natur zu entfernen,
"daß bloß der Mensch wirklich Hände habe, welche
wirkliche Hände seyen;" da selbst bey den Menschen-
ähnlichen Affen ein Haupttheil der Hände, ich meine
der Daumen, nach Verhältniß kurz, fast abgekippt,
und, um mich eines Ausdrucks des großen Enstachins
zu bedienen, sehr lächerlich ist; daß mithin wirklich
keine Hand, außer die menschliche, die Benennung
eines Organs der Organe verdient, womit derselbe
Stagirite sie beehrt hat.

§. 10.
Die Affen und verwandten Thiere hingegen sind vier-
händig.

Die Affen und andere Thiere, welche man ins-
gemein Menschenähnliche nennt, von der Gattung
der Paviane, Meerkatzen und Faulthieraffen (Le-
mur
) sind in der That weder zwey noch vierfüßig,
sondern vierhändig zu nennen. Denn ihre Hinter-

füße
§. 9.
C) Der Menſch, ein zweyhaͤndiges Thier.

Aus dem, was uͤber des Menſchen Stellung
bisher geſagt worden iſt, ergiebt ſich der groͤßte Vor-
zug ſeiner aͤußern Bildung, naͤmlich: der freyſte
Gebrauch zweyer ſehr vollkommener Haͤnde; durch
deren Bildung er ſo weit uͤber den uͤbrigen Thieren
ſteht, daß dadurch des Anaxagoras abgedroſchenes,
von Helvetius in unſern Zeiten wieder aufgewaͤrmtes
Sophiſma entſtanden iſt: „Der Menſch ſcheine des-
halb am weiſeſten zu ſeyn, weil er mit Haͤnden aus-
geſtattet iſt.“ Dies iſt wirklich zu paradox; weni-
ger ſcheint ſich im Gegentheile die Behauptung des
Ariſtoteles von der Wahrheit der Natur zu entfernen,
„daß bloß der Menſch wirklich Haͤnde habe, welche
wirkliche Haͤnde ſeyen;“ da ſelbſt bey den Menſchen-
aͤhnlichen Affen ein Haupttheil der Haͤnde, ich meine
der Daumen, nach Verhaͤltniß kurz, faſt abgekippt,
und, um mich eines Ausdrucks des großen Enſtachins
zu bedienen, ſehr laͤcherlich iſt; daß mithin wirklich
keine Hand, außer die menſchliche, die Benennung
eines Organs der Organe verdient, womit derſelbe
Stagirite ſie beehrt hat.

§. 10.
Die Affen und verwandten Thiere hingegen ſind vier-
haͤndig.

Die Affen und andere Thiere, welche man ins-
gemein Menſchenaͤhnliche nennt, von der Gattung
der Paviane, Meerkatzen und Faulthieraffen (Le-
mur
) ſind in der That weder zwey noch vierfuͤßig,
ſondern vierhaͤndig zu nennen. Denn ihre Hinter-

fuͤße
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0064" n="30"/>
        <div n="2">
          <head>§. 9.<lb/><hi rendition="#aq">C</hi>) <hi rendition="#g">Der Men&#x017F;ch, ein zweyha&#x0364;ndiges Thier</hi>.</head><lb/>
          <p>Aus dem, was u&#x0364;ber des Men&#x017F;chen Stellung<lb/>
bisher ge&#x017F;agt worden i&#x017F;t, ergiebt &#x017F;ich der gro&#x0364;ßte Vor-<lb/>
zug &#x017F;einer a&#x0364;ußern Bildung, na&#x0364;mlich: der frey&#x017F;te<lb/>
Gebrauch zweyer &#x017F;ehr vollkommener Ha&#x0364;nde; durch<lb/>
deren Bildung er &#x017F;o weit u&#x0364;ber den u&#x0364;brigen Thieren<lb/>
&#x017F;teht, daß dadurch des Anaxagoras abgedro&#x017F;chenes,<lb/>
von Helvetius in un&#x017F;ern Zeiten wieder aufgewa&#x0364;rmtes<lb/>
Sophi&#x017F;ma ent&#x017F;tanden i&#x017F;t: &#x201E;Der Men&#x017F;ch &#x017F;cheine des-<lb/>
halb am wei&#x017F;e&#x017F;ten zu &#x017F;eyn, weil er mit Ha&#x0364;nden aus-<lb/>
ge&#x017F;tattet i&#x017F;t.&#x201C; Dies i&#x017F;t wirklich zu paradox; weni-<lb/>
ger &#x017F;cheint &#x017F;ich im Gegentheile die Behauptung des<lb/>
Ari&#x017F;toteles von der Wahrheit der Natur zu entfernen,<lb/>
&#x201E;daß bloß der Men&#x017F;ch wirklich Ha&#x0364;nde habe, welche<lb/>
wirkliche Ha&#x0364;nde &#x017F;eyen;&#x201C; da &#x017F;elb&#x017F;t bey den Men&#x017F;chen-<lb/>
a&#x0364;hnlichen Affen ein Haupttheil der Ha&#x0364;nde, ich meine<lb/>
der Daumen, nach Verha&#x0364;ltniß kurz, fa&#x017F;t abgekippt,<lb/>
und, um mich eines Ausdrucks des großen En&#x017F;tachins<lb/>
zu bedienen, &#x017F;ehr la&#x0364;cherlich i&#x017F;t; daß mithin wirklich<lb/>
keine Hand, außer die men&#x017F;chliche, die Benennung<lb/>
eines Organs der Organe verdient, womit der&#x017F;elbe<lb/>
Stagirite &#x017F;ie beehrt hat.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 10.<lb/>
Die Affen und verwandten Thiere hingegen &#x017F;ind vier-<lb/>
ha&#x0364;ndig.</head><lb/>
          <p>Die Affen und andere Thiere, welche man ins-<lb/>
gemein Men&#x017F;chena&#x0364;hnliche nennt, von der Gattung<lb/>
der Paviane, Meerkatzen und Faulthieraffen (<hi rendition="#aq">Le-<lb/>
mur</hi>) &#x017F;ind in der That weder zwey noch vierfu&#x0364;ßig,<lb/>
&#x017F;ondern vierha&#x0364;ndig zu nennen. Denn ihre Hinter-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">fu&#x0364;ße</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[30/0064] §. 9. C) Der Menſch, ein zweyhaͤndiges Thier. Aus dem, was uͤber des Menſchen Stellung bisher geſagt worden iſt, ergiebt ſich der groͤßte Vor- zug ſeiner aͤußern Bildung, naͤmlich: der freyſte Gebrauch zweyer ſehr vollkommener Haͤnde; durch deren Bildung er ſo weit uͤber den uͤbrigen Thieren ſteht, daß dadurch des Anaxagoras abgedroſchenes, von Helvetius in unſern Zeiten wieder aufgewaͤrmtes Sophiſma entſtanden iſt: „Der Menſch ſcheine des- halb am weiſeſten zu ſeyn, weil er mit Haͤnden aus- geſtattet iſt.“ Dies iſt wirklich zu paradox; weni- ger ſcheint ſich im Gegentheile die Behauptung des Ariſtoteles von der Wahrheit der Natur zu entfernen, „daß bloß der Menſch wirklich Haͤnde habe, welche wirkliche Haͤnde ſeyen;“ da ſelbſt bey den Menſchen- aͤhnlichen Affen ein Haupttheil der Haͤnde, ich meine der Daumen, nach Verhaͤltniß kurz, faſt abgekippt, und, um mich eines Ausdrucks des großen Enſtachins zu bedienen, ſehr laͤcherlich iſt; daß mithin wirklich keine Hand, außer die menſchliche, die Benennung eines Organs der Organe verdient, womit derſelbe Stagirite ſie beehrt hat. §. 10. Die Affen und verwandten Thiere hingegen ſind vier- haͤndig. Die Affen und andere Thiere, welche man ins- gemein Menſchenaͤhnliche nennt, von der Gattung der Paviane, Meerkatzen und Faulthieraffen (Le- mur) ſind in der That weder zwey noch vierfuͤßig, ſondern vierhaͤndig zu nennen. Denn ihre Hinter- fuͤße

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

"Über die natürlichen Verschiedenheiten im Mensch… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_menschengeschlecht_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_menschengeschlecht_1798/64
Zitationshilfe: Blumenbach, Johann Friedrich: Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte. Leipzig, 1798, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_menschengeschlecht_1798/64>, abgerufen am 28.03.2024.