selbst verächtlich, und wenigstens einer Gedankenlosigkeit verdächtig mache, wenn man fortführe, Menschen etwas zuzurech- nen, was wir bey einer nur etwas anders modifizirten Lebensweise, und unter einem andern Himmelsstriche ebenfalls thun wür- den -- oder in ihrer äußern Bildung von uns abweichende Brüder als Lastthiere zu betrachten, da es wiederum nur auf einige zufällige Umstände ankommt, um vielleicht unsere Urenkel schon mit derselben Bildung zu sehen. Genug die Erörterung dieser Frage war ein äußerst schöner Kommen- tar über den Text: "alle Menschen sind Brüder!" welcher jeden an die vergeßnen Worte aus dem Katechismus: "du sollst deinen Bruder lieben wie dich selbst" neuer- dings heilsam erinnerte.
Allein es gab da Leute, und unter die- sen ist auch der Toleranzprediger Voltaire, welchen das Ansehen des Katechismus ein großer Dorn in den Augen war. Das hätte er nun immerhin seyn mögen, nur hätten sie
nicht
ſelbſt veraͤchtlich, und wenigſtens einer Gedankenloſigkeit verdaͤchtig mache, wenn man fortfuͤhre, Menſchen etwas zuzurech- nen, was wir bey einer nur etwas anders modifizirten Lebensweiſe, und unter einem andern Himmelsſtriche ebenfalls thun wuͤr- den — oder in ihrer aͤußern Bildung von uns abweichende Bruͤder als Laſtthiere zu betrachten, da es wiederum nur auf einige zufaͤllige Umſtaͤnde ankommt, um vielleicht unſere Urenkel ſchon mit derſelben Bildung zu ſehen. Genug die Eroͤrterung dieſer Frage war ein aͤußerſt ſchoͤner Kommen- tar uͤber den Text: „alle Menſchen ſind Bruͤder!“ welcher jeden an die vergeßnen Worte aus dem Katechiſmus: „du ſollſt deinen Bruder lieben wie dich ſelbſt“ neuer- dings heilſam erinnerte.
Allein es gab da Leute, und unter die- ſen iſt auch der Toleranzprediger Voltaire, welchen das Anſehen des Katechiſmus ein großer Dorn in den Augen war. Das haͤtte er nun immerhin ſeyn moͤgen, nur haͤtten ſie
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[VII/0009]
ſelbſt veraͤchtlich, und wenigſtens einer
Gedankenloſigkeit verdaͤchtig mache, wenn
man fortfuͤhre, Menſchen etwas zuzurech-
nen, was wir bey einer nur etwas anders
modifizirten Lebensweiſe, und unter einem
andern Himmelsſtriche ebenfalls thun wuͤr-
den — oder in ihrer aͤußern Bildung von
uns abweichende Bruͤder als Laſtthiere zu
betrachten, da es wiederum nur auf einige
zufaͤllige Umſtaͤnde ankommt, um vielleicht
unſere Urenkel ſchon mit derſelben Bildung
zu ſehen. Genug die Eroͤrterung dieſer
Frage war ein aͤußerſt ſchoͤner Kommen-
tar uͤber den Text: „alle Menſchen ſind
Bruͤder!“ welcher jeden an die vergeßnen
Worte aus dem Katechiſmus: „du ſollſt
deinen Bruder lieben wie dich ſelbſt“ neuer-
dings heilſam erinnerte.
Allein es gab da Leute, und unter die-
ſen iſt auch der Toleranzprediger Voltaire,
welchen das Anſehen des Katechiſmus ein
großer Dorn in den Augen war. Das haͤtte
er nun immerhin ſeyn moͤgen, nur haͤtten ſie
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
"Über die natürlichen Verschiedenheiten im Mensch… [mehr]
"Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte" ist die überarbeitete Fassung von Blumenbachs Dissertationsschrift "De generis humani varietate nativa" (1. Aufl. 1775 bei Friedrich Andreas Rosenbusch in Göttingen). Die Dissertation erschien in lateinischer Sprache; für das DTA wurde Johann Gottfried Grubers Übersetzung der dritten Auflage von Blumenbachs Dissertation (1795 bei Vandenhoek & Ruprecht) digitalisiert, die 1798 in Leipzig bei Breitkopf & Härtel erschien. Erstmals lag hiermit Blumenbachs Werk "De generis humani varietate nativa" in deutscher Sprache vor.
Blumenbach, Johann Friedrich: Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte. Leipzig, 1798, S. VII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_menschengeschlecht_1798/9>, abgerufen am 25.04.2024.
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