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Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. Bd. 1. Göttingen, 1779.

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aussetzt, sie mögen nun wie der Baobab (Adan-
sonia
) und die Eiche ein Alter von Jahrtausen-
den erreichen, oder wie mancher Schimmel alle
diese Rollen in wenigen Tagen absolviren; und
wenn sie auch selbst in der Geburt erstickt wä-
ren, so setzt doch ihr augenblickliches Daseyn
Entstehung, Leben und Tod voraus; die man
sich als eben so verschiedne Epochen oder Revo-
lutionen ihrer Exsistenz denken muß. Jedes Thier
und jede Pflanze haben von der andern Seite
auch drey große Bestimmungen, die sie schon
als organisirte Körper, ohne Rücksicht auf ihre
übrigen Funktionen, und auf den Beytrag den
sie zur Vollkommenheit des Ganzen thun, erfül-
len müssen; nemlich: sich nähren, wachsen
und ihres gleichen zeugen. Die beyden er-
sten sind eben so absolut als jene Revolutionen;
nur die dritte ist conditional. Das Leben eines
organisirten Körpers mag noch so kurz, noch so
augenblicklich seyn, so hätte es doch nicht ohne
Nahrung dauren können, und diese Ernährung
hat Wachsthum zur Folge, sollte dies auch gleich
noch so unmerklich gewesen seyn; die dritte Be-
stimmung hingegen, oder die Fähigkeit seines
gleichen zu zeugen, kommt dem organisirten Kör-
per nur bedingungsweise zu. Denn erstens
giebt es ganz ungezweifelt Thiere, die gebohren
werden, sich nähren, wachsen, alle Rollen ihres
Lebens ganz natürlich spielen, und am Ende
wieder absterben, ohne auch nur den Beruf oder

aussetzt, sie mögen nun wie der Baobab (Adan-
sonia
) und die Eiche ein Alter von Jahrtausen-
den erreichen, oder wie mancher Schimmel alle
diese Rollen in wenigen Tagen absolviren; und
wenn sie auch selbst in der Geburt erstickt wä-
ren, so setzt doch ihr augenblickliches Daseyn
Entstehung, Leben und Tod voraus; die man
sich als eben so verschiedne Epochen oder Revo-
lutionen ihrer Exsistenz denken muß. Jedes Thier
und jede Pflanze haben von der andern Seite
auch drey große Bestimmungen, die sie schon
als organisirte Körper, ohne Rücksicht auf ihre
übrigen Funktionen, und auf den Beytrag den
sie zur Vollkommenheit des Ganzen thun, erfül-
len müssen; nemlich: sich nähren, wachsen
und ihres gleichen zeugen. Die beyden er-
sten sind eben so absolut als jene Revolutionen;
nur die dritte ist conditional. Das Leben eines
organisirten Körpers mag noch so kurz, noch so
augenblicklich seyn, so hätte es doch nicht ohne
Nahrung dauren können, und diese Ernährung
hat Wachsthum zur Folge, sollte dies auch gleich
noch so unmerklich gewesen seyn; die dritte Be-
stimmung hingegen, oder die Fähigkeit seines
gleichen zu zeugen, kommt dem organisirten Kör-
per nur bedingungsweise zu. Denn erstens
giebt es ganz ungezweifelt Thiere, die gebohren
werden, sich nähren, wachsen, alle Rollen ihres
Lebens ganz natürlich spielen, und am Ende
wieder absterben, ohne auch nur den Beruf oder

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[16/0038] aussetzt, sie mögen nun wie der Baobab (Adan- sonia) und die Eiche ein Alter von Jahrtausen- den erreichen, oder wie mancher Schimmel alle diese Rollen in wenigen Tagen absolviren; und wenn sie auch selbst in der Geburt erstickt wä- ren, so setzt doch ihr augenblickliches Daseyn Entstehung, Leben und Tod voraus; die man sich als eben so verschiedne Epochen oder Revo- lutionen ihrer Exsistenz denken muß. Jedes Thier und jede Pflanze haben von der andern Seite auch drey große Bestimmungen, die sie schon als organisirte Körper, ohne Rücksicht auf ihre übrigen Funktionen, und auf den Beytrag den sie zur Vollkommenheit des Ganzen thun, erfül- len müssen; nemlich: sich nähren, wachsen und ihres gleichen zeugen. Die beyden er- sten sind eben so absolut als jene Revolutionen; nur die dritte ist conditional. Das Leben eines organisirten Körpers mag noch so kurz, noch so augenblicklich seyn, so hätte es doch nicht ohne Nahrung dauren können, und diese Ernährung hat Wachsthum zur Folge, sollte dies auch gleich noch so unmerklich gewesen seyn; die dritte Be- stimmung hingegen, oder die Fähigkeit seines gleichen zu zeugen, kommt dem organisirten Kör- per nur bedingungsweise zu. Denn erstens giebt es ganz ungezweifelt Thiere, die gebohren werden, sich nähren, wachsen, alle Rollen ihres Lebens ganz natürlich spielen, und am Ende wieder absterben, ohne auch nur den Beruf oder

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Zitationshilfe: Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. Bd. 1. Göttingen, 1779, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_naturgeschichte_1779/38>, abgerufen am 29.03.2024.