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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.

Seitdem ist der französische Adel nur insofern wieder
hergestellt worden, als die alten Titel von neuem gestattet 17
und gegen Miszbrauch gesichert worden sind. In der Nation
gibt es noch aristokratische Elemente und Neigungen, aber
sie können nicht aufkommen gegenüber dem demokratischen
Gleichheitssinn der Massen. Die Reste des französischen
Adels haben gegenwärtig nur die Bedeutung eines Titular-
adels
ohne eigenthümliche Rechte und werden mehr durch die
Eitelkeit der Familien als durch die Statsinstitutionen er-
halten. 18



Eilftes Capitel.
B. Der englische Adel.

In den neuern europäischen Staten hat sich fast nur in
England der Adel auch in die Gegenwart als ein gesichertes
und groszartiges nationales Institut hinüber gerettet. Ver-
schiedene Gründe wirkten zusammen, um dieses Resultat her-
vorzubringen. Die Darstellung derselben dient zugleich dazu,
die Natur dieser englischen Aristokratie ins Licht zu setzen.

1. Der englische Adel des Mittelalters hatte wie der
französische zwei verschiedene nationale Bestandtheile in sich,
einen angelsächsischen und einen normannischen, aber
das Verhältnisz dieser beiden Theile war ein ganz anderes
als das der vornehmen Franken und Romanen in dem
französischen Adel. Die Normannen behaupteten zwar in den
ersten Jahrhunderten nach der Eroberung des Herzogs Wilhelm
von der Normandie (1066) ein factisches Uebergewicht über

17 Decret vom 24. Jan. 1852. Gesetz vom 28. Mai 1858 und Decret
vom 8. Jan. 1859, durch welches eine eigene Behörde zur Controle über
die Adelstitel eingesetzt ward.
18 De Parieu Pol. S. 112 ff.
Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.

Seitdem ist der französische Adel nur insofern wieder
hergestellt worden, als die alten Titel von neuem gestattet 17
und gegen Miszbrauch gesichert worden sind. In der Nation
gibt es noch aristokratische Elemente und Neigungen, aber
sie können nicht aufkommen gegenüber dem demokratischen
Gleichheitssinn der Massen. Die Reste des französischen
Adels haben gegenwärtig nur die Bedeutung eines Titular-
adels
ohne eigenthümliche Rechte und werden mehr durch die
Eitelkeit der Familien als durch die Statsinstitutionen er-
halten. 18



Eilftes Capitel.
B. Der englische Adel.

In den neuern europäischen Staten hat sich fast nur in
England der Adel auch in die Gegenwart als ein gesichertes
und groszartiges nationales Institut hinüber gerettet. Ver-
schiedene Gründe wirkten zusammen, um dieses Resultat her-
vorzubringen. Die Darstellung derselben dient zugleich dazu,
die Natur dieser englischen Aristokratie ins Licht zu setzen.

1. Der englische Adel des Mittelalters hatte wie der
französische zwei verschiedene nationale Bestandtheile in sich,
einen angelsächsischen und einen normannischen, aber
das Verhältnisz dieser beiden Theile war ein ganz anderes
als das der vornehmen Franken und Romanen in dem
französischen Adel. Die Normannen behaupteten zwar in den
ersten Jahrhunderten nach der Eroberung des Herzogs Wilhelm
von der Normandie (1066) ein factisches Uebergewicht über

17 Decret vom 24. Jan. 1852. Gesetz vom 28. Mai 1858 und Decret
vom 8. Jan. 1859, durch welches eine eigene Behörde zur Controle über
die Adelstitel eingesetzt ward.
18 De Parieu Pol. S. 112 ff.
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[154/0172] Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur. Seitdem ist der französische Adel nur insofern wieder hergestellt worden, als die alten Titel von neuem gestattet 17 und gegen Miszbrauch gesichert worden sind. In der Nation gibt es noch aristokratische Elemente und Neigungen, aber sie können nicht aufkommen gegenüber dem demokratischen Gleichheitssinn der Massen. Die Reste des französischen Adels haben gegenwärtig nur die Bedeutung eines Titular- adels ohne eigenthümliche Rechte und werden mehr durch die Eitelkeit der Familien als durch die Statsinstitutionen er- halten. 18 Eilftes Capitel. B. Der englische Adel. In den neuern europäischen Staten hat sich fast nur in England der Adel auch in die Gegenwart als ein gesichertes und groszartiges nationales Institut hinüber gerettet. Ver- schiedene Gründe wirkten zusammen, um dieses Resultat her- vorzubringen. Die Darstellung derselben dient zugleich dazu, die Natur dieser englischen Aristokratie ins Licht zu setzen. 1. Der englische Adel des Mittelalters hatte wie der französische zwei verschiedene nationale Bestandtheile in sich, einen angelsächsischen und einen normannischen, aber das Verhältnisz dieser beiden Theile war ein ganz anderes als das der vornehmen Franken und Romanen in dem französischen Adel. Die Normannen behaupteten zwar in den ersten Jahrhunderten nach der Eroberung des Herzogs Wilhelm von der Normandie (1066) ein factisches Uebergewicht über 17 Decret vom 24. Jan. 1852. Gesetz vom 28. Mai 1858 und Decret vom 8. Jan. 1859, durch welches eine eigene Behörde zur Controle über die Adelstitel eingesetzt ward. 18 De Parieu Pol. S. 112 ff.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/172>, abgerufen am 29.03.2024.