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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
bestehende Stammesadel ist die Grundlage geworden für den
mittelalterlichen Dynasten- und Herrenadel. Erst während
des Mittelalters aber sind dazu noch andere Classen eines
ritterschaftlichen niederen Adels hinzugekommen.

1. Hoher Adel. Herrenadel. Standesherren.

Die Ausübung dieses höchsten weltlichen Standes geschah
im Mittelalter im Anschlusz an die deutsche Reichsverfassung.
Die Familien, deren Häupter zu höchster Selbständigkeit und
Selbstherrlichkeit im Reiche emporgestiegen waren, galten als
hochfrei (sendbarfrei, semperfrei). Bis gegen Ende des
XIII. Jahrhunderts wurden nur die Glieder dieser Familien
als wirklicher Reichsadel (nobiles) bezeichnet. Aber nur die
Häupter der Familien, welche im Besitz der reichsfürstlichen
oder gräflichen Stellung waren, oder reichsfreie Herrschaften
inne hatten, galten als eigentliche Herren. In den andern
Gliedern der Familien war der Stand ein ruhender, sie waren
nur Genossen der Fürsten und Herren und nicht selber
Fürsten und Herren.

Diese reichsständische Erhebung gründete sich

a) auf das Fürstenamt, d. h. ursprünglich auf die her-
zogliche Kriegsgewalt, welche mit der Fahne verliehen wurde.
Neben und theilweise vor den weltlichen Fürsten (Herzogen,
Mark- und Pfalzgrafen) stehen die geistlichen, mit dem
Scepter beliehenen Reichsfürsten. Das weltliche Fürstenamt
war erblich geworden und wurde in der Regel nur den Ab-
kommen aus hohem Adel verliehen. Das geistliche Fürsten-
amt war nicht ausschlieszlich diesem Stande vorbehalten; öfter
wurden auch Geistliche von blosz ritterschaftlicher Abkunft
oder bürgerliche Gelehrte dazu erwählt, in seltenen Fällen
sogar Bauernsöhne auf den bischöflichen Stuhl erhoben.

b) auf das Grafenamt, das ebenso zu einem erblichen
Landgrafenthum und zu erblicher Landesherrschaft befestigt
wurde. Nach dem Sturze der mächtigen Stammesherzoge und
der Vertheilung der herzoglichen Gebiete unter mehrere Fürsten

Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
bestehende Stammesadel ist die Grundlage geworden für den
mittelalterlichen Dynasten- und Herrenadel. Erst während
des Mittelalters aber sind dazu noch andere Classen eines
ritterschaftlichen niederen Adels hinzugekommen.

1. Hoher Adel. Herrenadel. Standesherren.

Die Ausübung dieses höchsten weltlichen Standes geschah
im Mittelalter im Anschlusz an die deutsche Reichsverfassung.
Die Familien, deren Häupter zu höchster Selbständigkeit und
Selbstherrlichkeit im Reiche emporgestiegen waren, galten als
hochfrei (sendbarfrei, semperfrei). Bis gegen Ende des
XIII. Jahrhunderts wurden nur die Glieder dieser Familien
als wirklicher Reichsadel (nobiles) bezeichnet. Aber nur die
Häupter der Familien, welche im Besitz der reichsfürstlichen
oder gräflichen Stellung waren, oder reichsfreie Herrschaften
inne hatten, galten als eigentliche Herren. In den andern
Gliedern der Familien war der Stand ein ruhender, sie waren
nur Genossen der Fürsten und Herren und nicht selber
Fürsten und Herren.

Diese reichsständische Erhebung gründete sich

a) auf das Fürstenamt, d. h. ursprünglich auf die her-
zogliche Kriegsgewalt, welche mit der Fahne verliehen wurde.
Neben und theilweise vor den weltlichen Fürsten (Herzogen,
Mark- und Pfalzgrafen) stehen die geistlichen, mit dem
Scepter beliehenen Reichsfürsten. Das weltliche Fürstenamt
war erblich geworden und wurde in der Regel nur den Ab-
kommen aus hohem Adel verliehen. Das geistliche Fürsten-
amt war nicht ausschlieszlich diesem Stande vorbehalten; öfter
wurden auch Geistliche von blosz ritterschaftlicher Abkunft
oder bürgerliche Gelehrte dazu erwählt, in seltenen Fällen
sogar Bauernsöhne auf den bischöflichen Stuhl erhoben.

b) auf das Grafenamt, das ebenso zu einem erblichen
Landgrafenthum und zu erblicher Landesherrschaft befestigt
wurde. Nach dem Sturze der mächtigen Stammesherzoge und
der Vertheilung der herzoglichen Gebiete unter mehrere Fürsten

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[164/0182] Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur. bestehende Stammesadel ist die Grundlage geworden für den mittelalterlichen Dynasten- und Herrenadel. Erst während des Mittelalters aber sind dazu noch andere Classen eines ritterschaftlichen niederen Adels hinzugekommen. 1. Hoher Adel. Herrenadel. Standesherren. Die Ausübung dieses höchsten weltlichen Standes geschah im Mittelalter im Anschlusz an die deutsche Reichsverfassung. Die Familien, deren Häupter zu höchster Selbständigkeit und Selbstherrlichkeit im Reiche emporgestiegen waren, galten als hochfrei (sendbarfrei, semperfrei). Bis gegen Ende des XIII. Jahrhunderts wurden nur die Glieder dieser Familien als wirklicher Reichsadel (nobiles) bezeichnet. Aber nur die Häupter der Familien, welche im Besitz der reichsfürstlichen oder gräflichen Stellung waren, oder reichsfreie Herrschaften inne hatten, galten als eigentliche Herren. In den andern Gliedern der Familien war der Stand ein ruhender, sie waren nur Genossen der Fürsten und Herren und nicht selber Fürsten und Herren. Diese reichsständische Erhebung gründete sich a) auf das Fürstenamt, d. h. ursprünglich auf die her- zogliche Kriegsgewalt, welche mit der Fahne verliehen wurde. Neben und theilweise vor den weltlichen Fürsten (Herzogen, Mark- und Pfalzgrafen) stehen die geistlichen, mit dem Scepter beliehenen Reichsfürsten. Das weltliche Fürstenamt war erblich geworden und wurde in der Regel nur den Ab- kommen aus hohem Adel verliehen. Das geistliche Fürsten- amt war nicht ausschlieszlich diesem Stande vorbehalten; öfter wurden auch Geistliche von blosz ritterschaftlicher Abkunft oder bürgerliche Gelehrte dazu erwählt, in seltenen Fällen sogar Bauernsöhne auf den bischöflichen Stuhl erhoben. b) auf das Grafenamt, das ebenso zu einem erblichen Landgrafenthum und zu erblicher Landesherrschaft befestigt wurde. Nach dem Sturze der mächtigen Stammesherzoge und der Vertheilung der herzoglichen Gebiete unter mehrere Fürsten

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/182>, abgerufen am 16.04.2024.