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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u.
Volksnatur.

Die Weibergemeinschaft, wie sie Plato für die Wächter
seines idealen States vorgeschlagen hat, ist eine Entwürdigung
der Ehe und Zerstörung der Familie. Die Preisgebung der
Frauen, wie sie unter Umständen von den Spartanern begün-
stigt worden, ist eine Barbarei. Die Emancipation des Flei-
sches aber, wie sie die radical-socialistische Schule in unsern
Tagen als einen neuen Fortschritt der individuellen Freiheit,
über seinen Körper nach Lust zu verfügen, auch für die beiden
Ehegatten in Anspruch nimmt, ist die Erniedrigung der sitt-
lichen Freiheit des Menschen auf die Stufe der sinnlichen
Freiheit der Hunde.

7. Endlich ist der Sorge des States für die Fortdauer
der Ehe und der Behinderung leichtfertiger Scheidung zu
erwähnen.

Schon in der vorchristlichen Periode wird die Auflösung
der Ehe nicht überall der Willkür der einzelnen Ehegatten
überlassen. Manche Rechte gestatteten es zwar dem Manne,
seine Frau zu entlassen, nicht aber der Frau, sich von dem
Manne loszusagen. Auch für den ersten Fall war die Ver-
stoszung der Frau öfter an bestimmte wichtige Ursachen ge-
bunden, oder zog, wie in den ältern germanischen Rechten,
wenn sie ohne zureichende Gründe geschah, bedeutende Nach-
theile auch für den Mann nach sich. In diesen beschrän-
kenden Bestimmungen des Rechts, welche überdem durch die
Sitte verstärkt waren, äuszert sich die Ehrfurcht des States
vor dem Princip der Ehe als einer das ganze Leben erfüllen-
den Gemeinschaft. Es war daher schon eine Auflösung der
älteren sittlichen Ordnung, wenn das spätere römische
Recht, die in Athen herrschende Ansicht adoptirend, für
die sogenannte freie Ehe den Ehegatten das Recht der ein-
seitigen freien Kündigung einräumte. Die Aufnahme dieses
Grundsatzes war zu groszem Theile eine Folge des in Rom
überhand nehmenden Sittenverderbnisses, und ward hinwieder
eine Quelle der Entartung.


Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u.
Volksnatur.

Die Weibergemeinschaft, wie sie Plato für die Wächter
seines idealen States vorgeschlagen hat, ist eine Entwürdigung
der Ehe und Zerstörung der Familie. Die Preisgebung der
Frauen, wie sie unter Umständen von den Spartanern begün-
stigt worden, ist eine Barbarei. Die Emancipation des Flei-
sches aber, wie sie die radical-socialistische Schule in unsern
Tagen als einen neuen Fortschritt der individuellen Freiheit,
über seinen Körper nach Lust zu verfügen, auch für die beiden
Ehegatten in Anspruch nimmt, ist die Erniedrigung der sitt-
lichen Freiheit des Menschen auf die Stufe der sinnlichen
Freiheit der Hunde.

7. Endlich ist der Sorge des States für die Fortdauer
der Ehe und der Behinderung leichtfertiger Scheidung zu
erwähnen.

Schon in der vorchristlichen Periode wird die Auflösung
der Ehe nicht überall der Willkür der einzelnen Ehegatten
überlassen. Manche Rechte gestatteten es zwar dem Manne,
seine Frau zu entlassen, nicht aber der Frau, sich von dem
Manne loszusagen. Auch für den ersten Fall war die Ver-
stoszung der Frau öfter an bestimmte wichtige Ursachen ge-
bunden, oder zog, wie in den ältern germanischen Rechten,
wenn sie ohne zureichende Gründe geschah, bedeutende Nach-
theile auch für den Mann nach sich. In diesen beschrän-
kenden Bestimmungen des Rechts, welche überdem durch die
Sitte verstärkt waren, äuszert sich die Ehrfurcht des States
vor dem Princip der Ehe als einer das ganze Leben erfüllen-
den Gemeinschaft. Es war daher schon eine Auflösung der
älteren sittlichen Ordnung, wenn das spätere römische
Recht, die in Athen herrschende Ansicht adoptirend, für
die sogenannte freie Ehe den Ehegatten das Recht der ein-
seitigen freien Kündigung einräumte. Die Aufnahme dieses
Grundsatzes war zu groszem Theile eine Folge des in Rom
überhand nehmenden Sittenverderbnisses, und ward hinwieder
eine Quelle der Entartung.


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[226/0244] Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur. Die Weibergemeinschaft, wie sie Plato für die Wächter seines idealen States vorgeschlagen hat, ist eine Entwürdigung der Ehe und Zerstörung der Familie. Die Preisgebung der Frauen, wie sie unter Umständen von den Spartanern begün- stigt worden, ist eine Barbarei. Die Emancipation des Flei- sches aber, wie sie die radical-socialistische Schule in unsern Tagen als einen neuen Fortschritt der individuellen Freiheit, über seinen Körper nach Lust zu verfügen, auch für die beiden Ehegatten in Anspruch nimmt, ist die Erniedrigung der sitt- lichen Freiheit des Menschen auf die Stufe der sinnlichen Freiheit der Hunde. 7. Endlich ist der Sorge des States für die Fortdauer der Ehe und der Behinderung leichtfertiger Scheidung zu erwähnen. Schon in der vorchristlichen Periode wird die Auflösung der Ehe nicht überall der Willkür der einzelnen Ehegatten überlassen. Manche Rechte gestatteten es zwar dem Manne, seine Frau zu entlassen, nicht aber der Frau, sich von dem Manne loszusagen. Auch für den ersten Fall war die Ver- stoszung der Frau öfter an bestimmte wichtige Ursachen ge- bunden, oder zog, wie in den ältern germanischen Rechten, wenn sie ohne zureichende Gründe geschah, bedeutende Nach- theile auch für den Mann nach sich. In diesen beschrän- kenden Bestimmungen des Rechts, welche überdem durch die Sitte verstärkt waren, äuszert sich die Ehrfurcht des States vor dem Princip der Ehe als einer das ganze Leben erfüllen- den Gemeinschaft. Es war daher schon eine Auflösung der älteren sittlichen Ordnung, wenn das spätere römische Recht, die in Athen herrschende Ansicht adoptirend, für die sogenannte freie Ehe den Ehegatten das Recht der ein- seitigen freien Kündigung einräumte. Die Aufnahme dieses Grundsatzes war zu groszem Theile eine Folge des in Rom überhand nehmenden Sittenverderbnisses, und ward hinwieder eine Quelle der Entartung.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/244>, abgerufen am 24.04.2024.