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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Viertes Capitel. IV. Das Land.

b) Die Gebirgsgrenzen. Die Gebirgszüge trennen
gewöhnlich Stämme und Cultur von einander. Die Bewohner
sehen nicht hinüber und gelangen nur mit Anstrengung, ge-
wöhnlich nur auf einzelnen Bergwegen zu einander. Regel-
mäszig wird dann der oberste Grat des Gebirges, welcher
auch die Gewässer scheidet, als die natürliche Grenzlinie an-
gesehen.

Zu der zweiten Classe gehören:

a) die Meere, seltener grosze Seen, die von Natur der
Sonderherrschaft einzelner Staten entzogen sind, und der ge-
meinsamen freien Benützung aller Welt offen stehen.

b) Die Wüsten und unwirthliche Steppen, zuweilen
auch Wälder und wildes Gebirge. Die fortschreitende
Cultur und die allmählige Aneignung auch dieser Gebiete
durch den Stat macht aber solche Naturgrenzen seltener.

Die nähere Bestimmung der Grenzverhältnisse ist dem
Völkerrechte vorbehalten.

3. Zuweilen werden mehrere Länder mit einander
verbunden, so dasz ein neues gröszeres Ganzes, ein Reich
entsteht. Es kann das wieder in verschiedener Weise ge-
schehen:

a) mit relativer Fortdauer der verbundenen Län-
der auf dem Fusze der Gleichheit. Beispiele: die Union
der Vereinigten Staten von Amerika, das deutsche Reich;

b) mit Fortdauer der besonderen Länder, aber auf dem
Fusze der Ungleichheit, so dasz eines derselben als herr-
schendes Hauptland, die andern als unterthänige Neben-
länder
erscheinen. Beispiele: Groszbritannien mit seinen
überseeischen Colonien und Nebenländern. Frankreich mit
Algier;

c) mit Umwandlung der bisherigen Länder in Provin-
zen des Einen Reiches
. Beispiel: die Ausbreitung der
russischen Herrschaft.

4. Wie aber die Menschheit, nicht das Volk die wahre

Viertes Capitel. IV. Das Land.

b) Die Gebirgsgrenzen. Die Gebirgszüge trennen
gewöhnlich Stämme und Cultur von einander. Die Bewohner
sehen nicht hinüber und gelangen nur mit Anstrengung, ge-
wöhnlich nur auf einzelnen Bergwegen zu einander. Regel-
mäszig wird dann der oberste Grat des Gebirges, welcher
auch die Gewässer scheidet, als die natürliche Grenzlinie an-
gesehen.

Zu der zweiten Classe gehören:

a) die Meere, seltener grosze Seen, die von Natur der
Sonderherrschaft einzelner Staten entzogen sind, und der ge-
meinsamen freien Benützung aller Welt offen stehen.

b) Die Wüsten und unwirthliche Steppen, zuweilen
auch Wälder und wildes Gebirge. Die fortschreitende
Cultur und die allmählige Aneignung auch dieser Gebiete
durch den Stat macht aber solche Naturgrenzen seltener.

Die nähere Bestimmung der Grenzverhältnisse ist dem
Völkerrechte vorbehalten.

3. Zuweilen werden mehrere Länder mit einander
verbunden, so dasz ein neues gröszeres Ganzes, ein Reich
entsteht. Es kann das wieder in verschiedener Weise ge-
schehen:

a) mit relativer Fortdauer der verbundenen Län-
der auf dem Fusze der Gleichheit. Beispiele: die Union
der Vereinigten Staten von Amerika, das deutsche Reich;

b) mit Fortdauer der besonderen Länder, aber auf dem
Fusze der Ungleichheit, so dasz eines derselben als herr-
schendes Hauptland, die andern als unterthänige Neben-
länder
erscheinen. Beispiele: Groszbritannien mit seinen
überseeischen Colonien und Nebenländern. Frankreich mit
Algier;

c) mit Umwandlung der bisherigen Länder in Provin-
zen des Einen Reiches
. Beispiel: die Ausbreitung der
russischen Herrschaft.

4. Wie aber die Menschheit, nicht das Volk die wahre

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[277/0295] Viertes Capitel. IV. Das Land. b) Die Gebirgsgrenzen. Die Gebirgszüge trennen gewöhnlich Stämme und Cultur von einander. Die Bewohner sehen nicht hinüber und gelangen nur mit Anstrengung, ge- wöhnlich nur auf einzelnen Bergwegen zu einander. Regel- mäszig wird dann der oberste Grat des Gebirges, welcher auch die Gewässer scheidet, als die natürliche Grenzlinie an- gesehen. Zu der zweiten Classe gehören: a) die Meere, seltener grosze Seen, die von Natur der Sonderherrschaft einzelner Staten entzogen sind, und der ge- meinsamen freien Benützung aller Welt offen stehen. b) Die Wüsten und unwirthliche Steppen, zuweilen auch Wälder und wildes Gebirge. Die fortschreitende Cultur und die allmählige Aneignung auch dieser Gebiete durch den Stat macht aber solche Naturgrenzen seltener. Die nähere Bestimmung der Grenzverhältnisse ist dem Völkerrechte vorbehalten. 3. Zuweilen werden mehrere Länder mit einander verbunden, so dasz ein neues gröszeres Ganzes, ein Reich entsteht. Es kann das wieder in verschiedener Weise ge- schehen: a) mit relativer Fortdauer der verbundenen Län- der auf dem Fusze der Gleichheit. Beispiele: die Union der Vereinigten Staten von Amerika, das deutsche Reich; b) mit Fortdauer der besonderen Länder, aber auf dem Fusze der Ungleichheit, so dasz eines derselben als herr- schendes Hauptland, die andern als unterthänige Neben- länder erscheinen. Beispiele: Groszbritannien mit seinen überseeischen Colonien und Nebenländern. Frankreich mit Algier; c) mit Umwandlung der bisherigen Länder in Provin- zen des Einen Reiches. Beispiel: die Ausbreitung der russischen Herrschaft. 4. Wie aber die Menschheit, nicht das Volk die wahre

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/295>, abgerufen am 29.03.2024.