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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land.
Unterlage des vollkommenen States ist, so ist auch die Erde,
nicht das Land das vollkommene Statsgebiet, die Erde,
welche die Mannichfaltigkeit aller Länder in das richtige Ver-
hältnisz bringt und harmonisch einigt, welche alle Gegensätze
nicht als Mängel, sondern als Ergänzung und Reichthum em-
pfindet. Für die heutige Statenbildung aber, welche dem
höchsten Ziele noch ferne steht, folgt daraus der auch prac-
tisch längst bewährte Satz: am günstigsten auch für den Ein-
zelstat ist ein mannichfaltig geartetes Land, mit Ber-
gen und Thälern, Flüssen, Seen, Meeresküsten und Ebenen:
nicht gerade der erhöhten Fruchtbarkeit wegen, denn diese
Hebungen und Senkungen des Bodens machen einen Theil
des Bodens unfähig für die Cultur; sondern weil sie die eben-
falls mannichfaltigen Anlagen der Bewohner allseitig
anregen und die menschlichen Kräfte steigern. Am ungün-
stigsten dagegen sind grosze unwirthliche Steppen des Bin-
nenlandes. Diese sind daher auch der uralte Boden, auf dem
die unstatlichen Nomadenvölker noch ihr Wesen treiben.



Fünftes Capitel.
V. Von der Gebietshoheit. (Sogenanntes Statseigenthum.)

Man nennt das Hoheitsrecht des States über das
ganze Statsgebiet
oft Statseigenthum. Diese Be-
zeichnung hatte in dem mittelalterlichen Lehensstat wie in
den absoluten Staten der asiatischen Vorzeit eine relative
Wahrheit. Zu dem modernen Statsbegriffe aber paszt die-
selbe in keiner Beziehung.

Das "Eigenthum" ist ein privatrechtlicher, nicht ein
politischer Begriff. So lange daher der Stat oder dessen Ober-
haupt, wie in dem altjüdischen State Gott, wie die ägypti-
schen Pharaone als alleinige Eigenthümer des Bodens be-

Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land.
Unterlage des vollkommenen States ist, so ist auch die Erde,
nicht das Land das vollkommene Statsgebiet, die Erde,
welche die Mannichfaltigkeit aller Länder in das richtige Ver-
hältnisz bringt und harmonisch einigt, welche alle Gegensätze
nicht als Mängel, sondern als Ergänzung und Reichthum em-
pfindet. Für die heutige Statenbildung aber, welche dem
höchsten Ziele noch ferne steht, folgt daraus der auch prac-
tisch längst bewährte Satz: am günstigsten auch für den Ein-
zelstat ist ein mannichfaltig geartetes Land, mit Ber-
gen und Thälern, Flüssen, Seen, Meeresküsten und Ebenen:
nicht gerade der erhöhten Fruchtbarkeit wegen, denn diese
Hebungen und Senkungen des Bodens machen einen Theil
des Bodens unfähig für die Cultur; sondern weil sie die eben-
falls mannichfaltigen Anlagen der Bewohner allseitig
anregen und die menschlichen Kräfte steigern. Am ungün-
stigsten dagegen sind grosze unwirthliche Steppen des Bin-
nenlandes. Diese sind daher auch der uralte Boden, auf dem
die unstatlichen Nomadenvölker noch ihr Wesen treiben.



Fünftes Capitel.
V. Von der Gebietshoheit. (Sogenanntes Statseigenthum.)

Man nennt das Hoheitsrecht des States über das
ganze Statsgebiet
oft Statseigenthum. Diese Be-
zeichnung hatte in dem mittelalterlichen Lehensstat wie in
den absoluten Staten der asiatischen Vorzeit eine relative
Wahrheit. Zu dem modernen Statsbegriffe aber paszt die-
selbe in keiner Beziehung.

Das „Eigenthum“ ist ein privatrechtlicher, nicht ein
politischer Begriff. So lange daher der Stat oder dessen Ober-
haupt, wie in dem altjüdischen State Gott, wie die ägypti-
schen Pharaone als alleinige Eigenthümer des Bodens be-

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[278/0296] Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land. Unterlage des vollkommenen States ist, so ist auch die Erde, nicht das Land das vollkommene Statsgebiet, die Erde, welche die Mannichfaltigkeit aller Länder in das richtige Ver- hältnisz bringt und harmonisch einigt, welche alle Gegensätze nicht als Mängel, sondern als Ergänzung und Reichthum em- pfindet. Für die heutige Statenbildung aber, welche dem höchsten Ziele noch ferne steht, folgt daraus der auch prac- tisch längst bewährte Satz: am günstigsten auch für den Ein- zelstat ist ein mannichfaltig geartetes Land, mit Ber- gen und Thälern, Flüssen, Seen, Meeresküsten und Ebenen: nicht gerade der erhöhten Fruchtbarkeit wegen, denn diese Hebungen und Senkungen des Bodens machen einen Theil des Bodens unfähig für die Cultur; sondern weil sie die eben- falls mannichfaltigen Anlagen der Bewohner allseitig anregen und die menschlichen Kräfte steigern. Am ungün- stigsten dagegen sind grosze unwirthliche Steppen des Bin- nenlandes. Diese sind daher auch der uralte Boden, auf dem die unstatlichen Nomadenvölker noch ihr Wesen treiben. Fünftes Capitel. V. Von der Gebietshoheit. (Sogenanntes Statseigenthum.) Man nennt das Hoheitsrecht des States über das ganze Statsgebiet oft Statseigenthum. Diese Be- zeichnung hatte in dem mittelalterlichen Lehensstat wie in den absoluten Staten der asiatischen Vorzeit eine relative Wahrheit. Zu dem modernen Statsbegriffe aber paszt die- selbe in keiner Beziehung. Das „Eigenthum“ ist ein privatrechtlicher, nicht ein politischer Begriff. So lange daher der Stat oder dessen Ober- haupt, wie in dem altjüdischen State Gott, wie die ägypti- schen Pharaone als alleinige Eigenthümer des Bodens be-

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/296>, abgerufen am 24.04.2024.