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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Viertes Buch. Von der Entstehung und dem Untergang des States.
vernachlässigt, die letztere aber fortwährend sorgfältig behan-
delt haben. Wir können drei verschiedene Gruppen der Ent-
stehungsformen unterscheiden:

1) Die ursprünglichen (originären) Entstehungs-
formen, in denen die Statenbildung ganz neu, in dem Volke
und Lande ihren Ursprung nimmt, ohne Ableitung von be-
reits vorhandenen Staten.

2) Die secundären Entstehungsformen, welche zwar
auch von Innen heraus, aus dem Volke den Stat hervorbrin-
gen, aber in Anlehnung und mit Beachtung schon früher vor-
handener Staten, die entweder zu einem neuen Gesammtstate
sich verbinden und einigen, oder durch Theilung in mehrere
neue Staten zerfallen.

3) Die abgeleitete Statenbildung, die nicht von Innen
heraus, sondern von Auszen her Anstosz und Richtung em-
pfängt.

Immerhin aber darf die neue Statenbildung, von
welcher hier allein die Rede ist, nicht verwechselt werden
mit bloszen Verfassungsänderungen eines States, ein
Unterschied, auf den schon Bodin 2 mit Recht
aufmerksam
gemacht hat. Durch die Umgestaltung des alt-römischen König-
thums in die Republik kam nicht ein neuer Stat ins Dasein;
so wenig als durch die Abschaffung der republikanischen Stats-
form und die Einführung des Kaiserthums. Diese Wandlun-
gen in der Regierungsform bezeichnen verschiedene Lebens-
perioden und Zustände desselben States, sie sind nicht die
Anfänge verschiedener Staten.



2 Bodinus, De Republica.
IV. c. 1. Die letztern nennt er "conver-
siones." "Conversionem civitatis appello, cum status ipsins
convertitur
ac omnino mutatur; id antem fit, cum imperium populare ad unum aut
paucorum potestas ad omnes cives defertur contraque."

Viertes Buch. Von der Entstehung und dem Untergang des States.
vernachlässigt, die letztere aber fortwährend sorgfältig behan-
delt haben. Wir können drei verschiedene Gruppen der Ent-
stehungsformen unterscheiden:

1) Die ursprünglichen (originären) Entstehungs-
formen, in denen die Statenbildung ganz neu, in dem Volke
und Lande ihren Ursprung nimmt, ohne Ableitung von be-
reits vorhandenen Staten.

2) Die secundären Entstehungsformen, welche zwar
auch von Innen heraus, aus dem Volke den Stat hervorbrin-
gen, aber in Anlehnung und mit Beachtung schon früher vor-
handener Staten, die entweder zu einem neuen Gesammtstate
sich verbinden und einigen, oder durch Theilung in mehrere
neue Staten zerfallen.

3) Die abgeleitete Statenbildung, die nicht von Innen
heraus, sondern von Auszen her Anstosz und Richtung em-
pfängt.

Immerhin aber darf die neue Statenbildung, von
welcher hier allein die Rede ist, nicht verwechselt werden
mit bloszen Verfassungsänderungen eines States, ein
Unterschied, auf den schon Bodin 2 mit Recht
aufmerksam
gemacht hat. Durch die Umgestaltung des alt-römischen König-
thums in die Republik kam nicht ein neuer Stat ins Dasein;
so wenig als durch die Abschaffung der republikanischen Stats-
form und die Einführung des Kaiserthums. Diese Wandlun-
gen in der Regierungsform bezeichnen verschiedene Lebens-
perioden und Zustände desselben States, sie sind nicht die
Anfänge verschiedener Staten.



2 Bodinus, De Republica.
IV. c. 1. Die letztern nennt er „conver-
siones.“ „Conversionem civitatis appello, cum status ipsins
convertitur
ac omnino mutatur; id antem fit, cum imperium populare ad unum aut
paucorum potestas ad omnes cives defertur contraque.“
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[300/0318] Viertes Buch. Von der Entstehung und dem Untergang des States. vernachlässigt, die letztere aber fortwährend sorgfältig behan- delt haben. Wir können drei verschiedene Gruppen der Ent- stehungsformen unterscheiden: 1) Die ursprünglichen (originären) Entstehungs- formen, in denen die Statenbildung ganz neu, in dem Volke und Lande ihren Ursprung nimmt, ohne Ableitung von be- reits vorhandenen Staten. 2) Die secundären Entstehungsformen, welche zwar auch von Innen heraus, aus dem Volke den Stat hervorbrin- gen, aber in Anlehnung und mit Beachtung schon früher vor- handener Staten, die entweder zu einem neuen Gesammtstate sich verbinden und einigen, oder durch Theilung in mehrere neue Staten zerfallen. 3) Die abgeleitete Statenbildung, die nicht von Innen heraus, sondern von Auszen her Anstosz und Richtung em- pfängt. Immerhin aber darf die neue Statenbildung, von welcher hier allein die Rede ist, nicht verwechselt werden mit bloszen Verfassungsänderungen eines States, ein Unterschied, auf den schon Bodin 2 mit Recht aufmerksam gemacht hat. Durch die Umgestaltung des alt-römischen König- thums in die Republik kam nicht ein neuer Stat ins Dasein; so wenig als durch die Abschaffung der republikanischen Stats- form und die Einführung des Kaiserthums. Diese Wandlun- gen in der Regierungsform bezeichnen verschiedene Lebens- perioden und Zustände desselben States, sie sind nicht die Anfänge verschiedener Staten. 2 Bodinus, De Republica. IV. c. 1. Die letztern nennt er „conver- siones.“ „Conversionem civitatis appello, cum status ipsins convertitur ac omnino mutatur; id antem fit, cum imperium populare ad unum aut paucorum potestas ad omnes cives defertur contraque.“

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/318>, abgerufen am 23.04.2024.