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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Drittes Cap. Ungenügende oder übertriebene Bestimmungen des Statszwecks.
Wohlfahrt der Menschen bedingen und bereichern, die Be-
schaffenheit der Wohnung, der Nahrung, der Kleidung wer-
den nicht durch den Stat bestimmt und geschaffen, sondern
durch die Thätigkeit der Privaten. Der Vermögenserwerb
beruht vornehmlich auf der individuellen Arbeit und der
privaten Ersparnisz. Noch mehr gilt das von den geistigen
Gütern, welche den idealen Reichthum und das Glück der
Menschen begründen. Die mancherlei Talente und Fähigkeiten
werden nicht durch den Stat verliehen, sondern durch die
Gaben der Natur und sind individuell verschieden nicht ge-
meinsam. Das Glück der Freundschaft und der Liebe wird
nicht von dem State abgeleitet. Die Freude der wissenschaft-
lichen Erkenntnisz, des künstlerischen Dichtens und Bildens
ist nicht dem State zu verdanken. Der religiöse Trost der
Seele, und die innige Reinigung und Heiligung des Gott ver-
bundenen Gemüthes kann nicht von dem State hervorgerufen
und verliehen werden.

Die Menschen sind nicht in ihrem ganzen Sein und
Leben Statsbürger; sie haben in ihrer individuellen Anlage
eine ihnen eigene Ausstattung und besondere Lebensaufgaben.
Der Stat ruht auf der Volksgemeinschaft, nicht auf der indi-
viduellen Eigenart. Der Statszweck kann daher die Zwecke
des Privatlebens nicht umfassen.

Auch dieser Irrthum hat, wenn er auf die Praxis ein-
wirkt, sehr bedenkliche und schädliche Folgen:

a) Der Stat wird durch denselben verleitet, seine Herr-
schaft über Gebiete auszudehnen, auf welchen ihm keine
Herrschaft gebührt und Tyrannei auszuüben, wo er sich darauf
beschränken sollte, die Privatfreiheit zu schützen.

b) Da dem State die Fähigkeit abgeht, diese Gebiete
des Privatlebens zu beherrschen, so wird er, trotz des guten
Willens das Privatglück zu fördern, durch seine ungeschickte
Thätigkeit dasselbe eher schädigen und die naturgemäsze
Entwicklung stören.


Drittes Cap. Ungenügende oder übertriebene Bestimmungen des Statszwecks.
Wohlfahrt der Menschen bedingen und bereichern, die Be-
schaffenheit der Wohnung, der Nahrung, der Kleidung wer-
den nicht durch den Stat bestimmt und geschaffen, sondern
durch die Thätigkeit der Privaten. Der Vermögenserwerb
beruht vornehmlich auf der individuellen Arbeit und der
privaten Ersparnisz. Noch mehr gilt das von den geistigen
Gütern, welche den idealen Reichthum und das Glück der
Menschen begründen. Die mancherlei Talente und Fähigkeiten
werden nicht durch den Stat verliehen, sondern durch die
Gaben der Natur und sind individuell verschieden nicht ge-
meinsam. Das Glück der Freundschaft und der Liebe wird
nicht von dem State abgeleitet. Die Freude der wissenschaft-
lichen Erkenntnisz, des künstlerischen Dichtens und Bildens
ist nicht dem State zu verdanken. Der religiöse Trost der
Seele, und die innige Reinigung und Heiligung des Gott ver-
bundenen Gemüthes kann nicht von dem State hervorgerufen
und verliehen werden.

Die Menschen sind nicht in ihrem ganzen Sein und
Leben Statsbürger; sie haben in ihrer individuellen Anlage
eine ihnen eigene Ausstattung und besondere Lebensaufgaben.
Der Stat ruht auf der Volksgemeinschaft, nicht auf der indi-
viduellen Eigenart. Der Statszweck kann daher die Zwecke
des Privatlebens nicht umfassen.

Auch dieser Irrthum hat, wenn er auf die Praxis ein-
wirkt, sehr bedenkliche und schädliche Folgen:

a) Der Stat wird durch denselben verleitet, seine Herr-
schaft über Gebiete auszudehnen, auf welchen ihm keine
Herrschaft gebührt und Tyrannei auszuüben, wo er sich darauf
beschränken sollte, die Privatfreiheit zu schützen.

b) Da dem State die Fähigkeit abgeht, diese Gebiete
des Privatlebens zu beherrschen, so wird er, trotz des guten
Willens das Privatglück zu fördern, durch seine ungeschickte
Thätigkeit dasselbe eher schädigen und die naturgemäsze
Entwicklung stören.


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[357/0375] Drittes Cap. Ungenügende oder übertriebene Bestimmungen des Statszwecks. Wohlfahrt der Menschen bedingen und bereichern, die Be- schaffenheit der Wohnung, der Nahrung, der Kleidung wer- den nicht durch den Stat bestimmt und geschaffen, sondern durch die Thätigkeit der Privaten. Der Vermögenserwerb beruht vornehmlich auf der individuellen Arbeit und der privaten Ersparnisz. Noch mehr gilt das von den geistigen Gütern, welche den idealen Reichthum und das Glück der Menschen begründen. Die mancherlei Talente und Fähigkeiten werden nicht durch den Stat verliehen, sondern durch die Gaben der Natur und sind individuell verschieden nicht ge- meinsam. Das Glück der Freundschaft und der Liebe wird nicht von dem State abgeleitet. Die Freude der wissenschaft- lichen Erkenntnisz, des künstlerischen Dichtens und Bildens ist nicht dem State zu verdanken. Der religiöse Trost der Seele, und die innige Reinigung und Heiligung des Gott ver- bundenen Gemüthes kann nicht von dem State hervorgerufen und verliehen werden. Die Menschen sind nicht in ihrem ganzen Sein und Leben Statsbürger; sie haben in ihrer individuellen Anlage eine ihnen eigene Ausstattung und besondere Lebensaufgaben. Der Stat ruht auf der Volksgemeinschaft, nicht auf der indi- viduellen Eigenart. Der Statszweck kann daher die Zwecke des Privatlebens nicht umfassen. Auch dieser Irrthum hat, wenn er auf die Praxis ein- wirkt, sehr bedenkliche und schädliche Folgen: a) Der Stat wird durch denselben verleitet, seine Herr- schaft über Gebiete auszudehnen, auf welchen ihm keine Herrschaft gebührt und Tyrannei auszuüben, wo er sich darauf beschränken sollte, die Privatfreiheit zu schützen. b) Da dem State die Fähigkeit abgeht, diese Gebiete des Privatlebens zu beherrschen, so wird er, trotz des guten Willens das Privatglück zu fördern, durch seine ungeschickte Thätigkeit dasselbe eher schädigen und die naturgemäsze Entwicklung stören.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/375>, abgerufen am 24.04.2024.