Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Drittes Capitel. Neuere Fortbildung der Theorie.
oder in mehrern entwickeln, und so eine Ungleichheit ent-
stehen, welche zur Monarchie oder Aristokratie führt.
Die drei Formen wechseln leicht auf dieser Entwicklungsstufe
des noch kleinen States und sind auch unter sich noch ähn-
lich. Die natürliche Hinneigung auf dieser Stufe ist aber
immer zur Demokratie, indem auch in jenen Fällen einer
oder mehrere der Masse nur vorausgeeilt sind in dem politi-
schen Bewustsein.

Die zweite Stufe umfaszt mehrere Völkerschaften. Sie
ist eine Mittelstufe zu der höhern dritten, in welcher das
Bewusztsein der Einheit der Nation seinen vollen Ausdruck
findet. Auf ihr übt eine höhere Völkerschaft die Herrschaft
aus über die übrigen regierten Stämme. Diese Mittelform des
States wird daher wesentlich aristokratisch sein, wie die
Form der niederen Ordnung wesentlich demokratisch. Demo-
kratisch kann derselbe nicht sein, weil die Mehrheit der Stämme
dem herrschenden unterworfen, somit nicht gleich ist. Die
äuszere Form der Monarchie kann er wohl annehmen, aber
der König wird dann zu dem herrschenden Stamme gehören,
und insofern nur ein aristokratischer König sein.

Erst auf der obersten Stufe spricht sich die Einheit eines
ganzen groszen Volkes in den Formen des States rein und
klar aus. Die demokratische Natur der ersten Stufe konnte
weder den statlichen Gegensatz zu voller Entfaltung bringen,
noch den Umfang eines groszen Volkes erreichen. In der
Aristokratie der zweiten Stufe hatte der herrschende Stamm
noch immer sein Privatinteresse, und die Einheit des Volkes
war nicht das Lebensprincip des Stats. Auf dieser dritten
Stufe erst kommt die echte Monarchie zur Vollendung, in
welcher der Monarch ohne alle Vermischung mit Privatinter-
essen die Einheit des States und der Regierung in voller Kraft
und Macht darstellt.

Die drei bekannten Formen des States erhalten somit
durch Schleiermachers Darstellung eine geistige Begründung

Drittes Capitel. Neuere Fortbildung der Theorie.
oder in mehrern entwickeln, und so eine Ungleichheit ent-
stehen, welche zur Monarchie oder Aristokratie führt.
Die drei Formen wechseln leicht auf dieser Entwicklungsstufe
des noch kleinen States und sind auch unter sich noch ähn-
lich. Die natürliche Hinneigung auf dieser Stufe ist aber
immer zur Demokratie, indem auch in jenen Fällen einer
oder mehrere der Masse nur vorausgeeilt sind in dem politi-
schen Bewustsein.

Die zweite Stufe umfaszt mehrere Völkerschaften. Sie
ist eine Mittelstufe zu der höhern dritten, in welcher das
Bewusztsein der Einheit der Nation seinen vollen Ausdruck
findet. Auf ihr übt eine höhere Völkerschaft die Herrschaft
aus über die übrigen regierten Stämme. Diese Mittelform des
States wird daher wesentlich aristokratisch sein, wie die
Form der niederen Ordnung wesentlich demokratisch. Demo-
kratisch kann derselbe nicht sein, weil die Mehrheit der Stämme
dem herrschenden unterworfen, somit nicht gleich ist. Die
äuszere Form der Monarchie kann er wohl annehmen, aber
der König wird dann zu dem herrschenden Stamme gehören,
und insofern nur ein aristokratischer König sein.

Erst auf der obersten Stufe spricht sich die Einheit eines
ganzen groszen Volkes in den Formen des States rein und
klar aus. Die demokratische Natur der ersten Stufe konnte
weder den statlichen Gegensatz zu voller Entfaltung bringen,
noch den Umfang eines groszen Volkes erreichen. In der
Aristokratie der zweiten Stufe hatte der herrschende Stamm
noch immer sein Privatinteresse, und die Einheit des Volkes
war nicht das Lebensprincip des Stats. Auf dieser dritten
Stufe erst kommt die echte Monarchie zur Vollendung, in
welcher der Monarch ohne alle Vermischung mit Privatinter-
essen die Einheit des States und der Regierung in voller Kraft
und Macht darstellt.

Die drei bekannten Formen des States erhalten somit
durch Schleiermachers Darstellung eine geistige Begründung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0395" n="377"/><fw place="top" type="header">Drittes Capitel. Neuere Fortbildung der Theorie.</fw><lb/>
oder in mehrern entwickeln, und so eine Ungleichheit ent-<lb/>
stehen, welche zur <hi rendition="#g">Monarchie</hi> oder <hi rendition="#g">Aristokratie</hi> führt.<lb/>
Die drei Formen wechseln leicht auf dieser Entwicklungsstufe<lb/>
des noch kleinen States und sind auch unter sich noch ähn-<lb/>
lich. Die natürliche Hinneigung auf dieser Stufe ist aber<lb/>
immer zur <hi rendition="#g">Demokratie</hi>, indem auch in jenen Fällen einer<lb/>
oder mehrere der Masse nur vorausgeeilt sind in dem politi-<lb/>
schen Bewustsein.</p><lb/>
          <p>Die zweite Stufe umfaszt mehrere Völkerschaften. Sie<lb/>
ist eine Mittelstufe zu der höhern dritten, in welcher das<lb/>
Bewusztsein der Einheit der Nation seinen vollen Ausdruck<lb/>
findet. Auf ihr übt eine höhere Völkerschaft die Herrschaft<lb/>
aus über die übrigen regierten Stämme. Diese Mittelform des<lb/>
States wird daher wesentlich <hi rendition="#g">aristokratisch</hi> sein, wie die<lb/>
Form der niederen Ordnung wesentlich demokratisch. Demo-<lb/>
kratisch kann derselbe nicht sein, weil die Mehrheit der Stämme<lb/>
dem herrschenden unterworfen, somit nicht gleich ist. Die<lb/>
äuszere Form der Monarchie kann er wohl annehmen, aber<lb/>
der König wird dann zu dem herrschenden Stamme gehören,<lb/>
und insofern nur ein aristokratischer König sein.</p><lb/>
          <p>Erst auf der obersten Stufe spricht sich die Einheit eines<lb/>
ganzen groszen Volkes in den Formen des States rein und<lb/>
klar aus. Die demokratische Natur der ersten Stufe konnte<lb/>
weder den statlichen Gegensatz zu voller Entfaltung bringen,<lb/>
noch den Umfang eines groszen Volkes erreichen. In der<lb/>
Aristokratie der zweiten Stufe hatte der herrschende Stamm<lb/>
noch immer sein Privatinteresse, und die Einheit des Volkes<lb/>
war nicht das Lebensprincip des Stats. Auf dieser dritten<lb/>
Stufe erst kommt die echte <hi rendition="#g">Monarchie</hi> zur Vollendung, in<lb/>
welcher der Monarch ohne alle Vermischung mit Privatinter-<lb/>
essen die Einheit des States und der Regierung in voller Kraft<lb/>
und Macht darstellt.</p><lb/>
          <p>Die drei bekannten Formen des States erhalten somit<lb/>
durch Schleiermachers Darstellung eine geistige Begründung<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[377/0395] Drittes Capitel. Neuere Fortbildung der Theorie. oder in mehrern entwickeln, und so eine Ungleichheit ent- stehen, welche zur Monarchie oder Aristokratie führt. Die drei Formen wechseln leicht auf dieser Entwicklungsstufe des noch kleinen States und sind auch unter sich noch ähn- lich. Die natürliche Hinneigung auf dieser Stufe ist aber immer zur Demokratie, indem auch in jenen Fällen einer oder mehrere der Masse nur vorausgeeilt sind in dem politi- schen Bewustsein. Die zweite Stufe umfaszt mehrere Völkerschaften. Sie ist eine Mittelstufe zu der höhern dritten, in welcher das Bewusztsein der Einheit der Nation seinen vollen Ausdruck findet. Auf ihr übt eine höhere Völkerschaft die Herrschaft aus über die übrigen regierten Stämme. Diese Mittelform des States wird daher wesentlich aristokratisch sein, wie die Form der niederen Ordnung wesentlich demokratisch. Demo- kratisch kann derselbe nicht sein, weil die Mehrheit der Stämme dem herrschenden unterworfen, somit nicht gleich ist. Die äuszere Form der Monarchie kann er wohl annehmen, aber der König wird dann zu dem herrschenden Stamme gehören, und insofern nur ein aristokratischer König sein. Erst auf der obersten Stufe spricht sich die Einheit eines ganzen groszen Volkes in den Formen des States rein und klar aus. Die demokratische Natur der ersten Stufe konnte weder den statlichen Gegensatz zu voller Entfaltung bringen, noch den Umfang eines groszen Volkes erreichen. In der Aristokratie der zweiten Stufe hatte der herrschende Stamm noch immer sein Privatinteresse, und die Einheit des Volkes war nicht das Lebensprincip des Stats. Auf dieser dritten Stufe erst kommt die echte Monarchie zur Vollendung, in welcher der Monarch ohne alle Vermischung mit Privatinter- essen die Einheit des States und der Regierung in voller Kraft und Macht darstellt. Die drei bekannten Formen des States erhalten somit durch Schleiermachers Darstellung eine geistige Begründung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/395
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/395>, abgerufen am 29.03.2024.