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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Fünftes Capitel. Das Princip der vier Nebenformen.
enthält, wenn man so die Gegenseite in dem Urgegensatze
aller Statenbildung berücksichtigt, die nöthige Ergänzung.

War auf Seite der Regierung das oberste -- herrschende
Organ, entscheidend, so ist auf Seite der Regierten, die wir
als Gesammtheit im engeren Sinne wieder das Volk oder noch
eher das Land heiszen, die Controle der Regierung und
die Theilnahme an der Gesetzgebung entscheidend.

Indem wir nach diesem Merkmal die verschiedenen Stats-
formen classificiren, erhalten wir folgende drei (beziehungs-
weise vier) Nebenformen.

I. Die Regierten werden insgesammt als eine blosze
passive Masse
behandelt, welche der Regierungsmacht un-
bedingt unterthan und zu absolutem Gehorsam verbunden ist.
Sie hat weder ein Recht der Controle noch einen Antheil an
der Gesetzgebung. Es sind das die absolut regierten Staten,
die wir daher unfreie Statsformen (unfreie Völker) heiszen.
Sie sind nicht nur dann unfrei, wenn sie der Willkür und den
Launen eines Despoten angehören (Despotien), sondern auch
dann politisch unfrei, wann der Herrscher selber ein
Rechtsgesetz anerkennt und sowohl das Privatrecht als die
Privatfreiheit geschützt wird (Absolutien).

II. Ein Theil der Regierten, die obern Classen der-
selben, haben das Recht der Controle und der Theilnahme an
den öffentlichen Angelegenheiten und beschränken dadurch
die Regierungsgewalt. Aber die übrige Masse, insbesondere
die untern Volksclassen sind noch in dem politisch un-
freien Zustande und haben keine politischen Rechte. Wir
heiszen diese Staten halbfreie Statsformen. Die mittelalter-
lichen Lehens- und Ständestaten sind von dieser Art.

III. Alle Volksclassen haben politische Rechte. Das
ganze Land (Volk) übt eine Controle der Regierung und
eine Mitwirkung aus bei der Gesetzgebung. Wir heiszen diese
Staten freie Staten, oder auch Republiken im weitesten
Sinn des Worts. Wir können sie auch Volksstaten heiszen.


Fünftes Capitel. Das Princip der vier Nebenformen.
enthält, wenn man so die Gegenseite in dem Urgegensatze
aller Statenbildung berücksichtigt, die nöthige Ergänzung.

War auf Seite der Regierung das oberste — herrschende
Organ, entscheidend, so ist auf Seite der Regierten, die wir
als Gesammtheit im engeren Sinne wieder das Volk oder noch
eher das Land heiszen, die Controle der Regierung und
die Theilnahme an der Gesetzgebung entscheidend.

Indem wir nach diesem Merkmal die verschiedenen Stats-
formen classificiren, erhalten wir folgende drei (beziehungs-
weise vier) Nebenformen.

I. Die Regierten werden insgesammt als eine blosze
passive Masse
behandelt, welche der Regierungsmacht un-
bedingt unterthan und zu absolutem Gehorsam verbunden ist.
Sie hat weder ein Recht der Controle noch einen Antheil an
der Gesetzgebung. Es sind das die absolut regierten Staten,
die wir daher unfreie Statsformen (unfreie Völker) heiszen.
Sie sind nicht nur dann unfrei, wenn sie der Willkür und den
Launen eines Despoten angehören (Despotien), sondern auch
dann politisch unfrei, wann der Herrscher selber ein
Rechtsgesetz anerkennt und sowohl das Privatrecht als die
Privatfreiheit geschützt wird (Absolutien).

II. Ein Theil der Regierten, die obern Classen der-
selben, haben das Recht der Controle und der Theilnahme an
den öffentlichen Angelegenheiten und beschränken dadurch
die Regierungsgewalt. Aber die übrige Masse, insbesondere
die untern Volksclassen sind noch in dem politisch un-
freien Zustande und haben keine politischen Rechte. Wir
heiszen diese Staten halbfreie Statsformen. Die mittelalter-
lichen Lehens- und Ständestaten sind von dieser Art.

III. Alle Volksclassen haben politische Rechte. Das
ganze Land (Volk) übt eine Controle der Regierung und
eine Mitwirkung aus bei der Gesetzgebung. Wir heiszen diese
Staten freie Staten, oder auch Republiken im weitesten
Sinn des Worts. Wir können sie auch Volksstaten heiszen.


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[383/0401] Fünftes Capitel. Das Princip der vier Nebenformen. enthält, wenn man so die Gegenseite in dem Urgegensatze aller Statenbildung berücksichtigt, die nöthige Ergänzung. War auf Seite der Regierung das oberste — herrschende Organ, entscheidend, so ist auf Seite der Regierten, die wir als Gesammtheit im engeren Sinne wieder das Volk oder noch eher das Land heiszen, die Controle der Regierung und die Theilnahme an der Gesetzgebung entscheidend. Indem wir nach diesem Merkmal die verschiedenen Stats- formen classificiren, erhalten wir folgende drei (beziehungs- weise vier) Nebenformen. I. Die Regierten werden insgesammt als eine blosze passive Masse behandelt, welche der Regierungsmacht un- bedingt unterthan und zu absolutem Gehorsam verbunden ist. Sie hat weder ein Recht der Controle noch einen Antheil an der Gesetzgebung. Es sind das die absolut regierten Staten, die wir daher unfreie Statsformen (unfreie Völker) heiszen. Sie sind nicht nur dann unfrei, wenn sie der Willkür und den Launen eines Despoten angehören (Despotien), sondern auch dann politisch unfrei, wann der Herrscher selber ein Rechtsgesetz anerkennt und sowohl das Privatrecht als die Privatfreiheit geschützt wird (Absolutien). II. Ein Theil der Regierten, die obern Classen der- selben, haben das Recht der Controle und der Theilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten und beschränken dadurch die Regierungsgewalt. Aber die übrige Masse, insbesondere die untern Volksclassen sind noch in dem politisch un- freien Zustande und haben keine politischen Rechte. Wir heiszen diese Staten halbfreie Statsformen. Die mittelalter- lichen Lehens- und Ständestaten sind von dieser Art. III. Alle Volksclassen haben politische Rechte. Das ganze Land (Volk) übt eine Controle der Regierung und eine Mitwirkung aus bei der Gesetzgebung. Wir heiszen diese Staten freie Staten, oder auch Republiken im weitesten Sinn des Worts. Wir können sie auch Volksstaten heiszen.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/401>, abgerufen am 25.04.2024.