Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Sechstes Buch. Die Statsformen.
dagegen das in der Mitte liegende alt-römische Königthum
in wesentlichen Beziehungen sich davon unterscheidet.

Das Königthum der Hellenen und der Germanen bildet
den Uebergang aus der noch ideokratischen Form der orien-
talischen Alleinherrschaft in eine menschlich-politische
Institution. Die Könige leiten zwar ihr Geschlecht gewöhn-
lich von den Göttern her, die hellenischen meistens von Zeus,
die germanischen von Wodan (Odin), und der Volksglaube
verehrt in den Königen die Ueberlieferung des göttlichen
Blutes; aber obwohl so der Ursprung der Könige angeknüpft
wird an die Herrschaft der Götter über die Welt, werden sie
doch auf der andern Seite als Menschen anerkannt und viel-
fach auch menschlich beschränkt. 1 Die königlichen Heroen

1 Daher der Ausdruck: "Ek de Dios basilees." Diogeneis Diotrepheis
bei Homer, H. II. 204 ff.
"Nimmer Gedeihn bringt Vielherrschaft, nur Einer sei Herrscher,
Einer nur Fürst, dem schenkte der Sohn des verborgenen Kronos
Scepter zugleich und Gesetze, damit er gebiete den Andern."
Vgl. Herrmann griech. Statsalterth. §. 55. Sophokles Philokt. 137.
"Hoch ragt vor andern Künsten ja
Eines Königs Kunst,
Der klug waltend Zeus' göttliches Scepter lenkt."
Vgl. den Preis des Königthums in dem Indischen Epos Rama
Holtzmann
Vers. 1772:
"Wie für den Leib das Auge stets,
Nach allen Seiten sorglich blickt,
So für das Reich der Männerfürst
Der Tugend Wurzel und des Rechts.
In blinde Finsternisz verhüllt,
Wüst und verworren ist die Welt,
Wenn nicht der König Ordnung hält,
Und zeigt, was recht und unrecht sei."
Nach Jornandes c. 14 stammen die Amaler aus dem Geschlechte
der Asen. Von Hengist und Horsa ist es bekannt, dasz sie von Wo-
dan stammen. Es ist sicher, dasz viele anfängliche Geschlechtshäupter
erst später auf europäischem Boden zu Königen geworden sind (Sybel,
Entstehung des deutschen Königthums), und dasz man sich dieses Ur-
sprungs wohl erinnerte. Aber die Idee und selber die Institution des
Königthums haben die arischen Völker aus Asien mitgebracht. Ueber

Sechstes Buch. Die Statsformen.
dagegen das in der Mitte liegende alt-römische Königthum
in wesentlichen Beziehungen sich davon unterscheidet.

Das Königthum der Hellenen und der Germanen bildet
den Uebergang aus der noch ideokratischen Form der orien-
talischen Alleinherrschaft in eine menschlich-politische
Institution. Die Könige leiten zwar ihr Geschlecht gewöhn-
lich von den Göttern her, die hellenischen meistens von Zeus,
die germanischen von Wodan (Odin), und der Volksglaube
verehrt in den Königen die Ueberlieferung des göttlichen
Blutes; aber obwohl so der Ursprung der Könige angeknüpft
wird an die Herrschaft der Götter über die Welt, werden sie
doch auf der andern Seite als Menschen anerkannt und viel-
fach auch menschlich beschränkt. 1 Die königlichen Heroen

1 Daher der Ausdruck: „Εϰ δε Διὸς βασιλέες.“ Διογενεῖς Διοτρεφεῖς
bei Homer, H. II. 204 ff.
„Nimmer Gedeihn bringt Vielherrschaft, nur Einer sei Herrscher,
Einer nur Fürst, dem schenkte der Sohn des verborgenen Kronos
Scepter zugleich und Gesetze, damit er gebiete den Andern.“
Vgl. Herrmann griech. Statsalterth. §. 55. Sophokles Philokt. 137.
„Hoch ragt vor andern Künsten ja
Eines Königs Kunst,
Der klug waltend Zeus' göttliches Scepter lenkt.“
Vgl. den Preis des Königthums in dem Indischen Epos Rama
Holtzmann
Vers. 1772:
„Wie für den Leib das Auge stets,
Nach allen Seiten sorglich blickt,
So für das Reich der Männerfürst
Der Tugend Wurzel und des Rechts.
In blinde Finsternisz verhüllt,
Wüst und verworren ist die Welt,
Wenn nicht der König Ordnung hält,
Und zeigt, was recht und unrecht sei.“
Nach Jornandes c. 14 stammen die Amaler aus dem Geschlechte
der Asen. Von Hengist und Horsa ist es bekannt, dasz sie von Wo-
dan stammen. Es ist sicher, dasz viele anfängliche Geschlechtshäupter
erst später auf europäischem Boden zu Königen geworden sind (Sybel,
Entstehung des deutschen Königthums), und dasz man sich dieses Ur-
sprungs wohl erinnerte. Aber die Idee und selber die Institution des
Königthums haben die arischen Völker aus Asien mitgebracht. Ueber
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0422" n="404"/><fw place="top" type="header">Sechstes Buch. Die Statsformen.</fw><lb/>
dagegen das in der Mitte liegende <hi rendition="#g">alt-römische</hi> Königthum<lb/>
in wesentlichen Beziehungen sich davon unterscheidet.</p><lb/>
          <p>Das Königthum der Hellenen und der Germanen bildet<lb/>
den Uebergang aus der noch ideokratischen Form der orien-<lb/>
talischen Alleinherrschaft in eine <hi rendition="#g">menschlich-politische</hi><lb/>
Institution. Die Könige leiten zwar ihr Geschlecht gewöhn-<lb/>
lich von den Göttern her, die hellenischen meistens von Zeus,<lb/>
die germanischen von Wodan (Odin), und der Volksglaube<lb/>
verehrt in den Königen die Ueberlieferung des göttlichen<lb/>
Blutes; aber obwohl so der Ursprung der Könige angeknüpft<lb/>
wird an die Herrschaft der Götter über die Welt, werden sie<lb/>
doch auf der andern Seite als Menschen anerkannt und viel-<lb/>
fach auch menschlich beschränkt. <note xml:id="note-0422" next="#note-0423" place="foot" n="1"><p>Daher der Ausdruck: &#x201E;&#x0395;&#x03F0; &#x03B4;&#x03B5; &#x0394;&#x03B9;&#x1F78;&#x03C2; &#x03B2;&#x03B1;&#x03C3;&#x03B9;&#x03BB;&#x03AD;&#x03B5;&#x03C2;.&#x201C; &#x0394;&#x03B9;&#x03BF;&#x03B3;&#x03B5;&#x03BD;&#x03B5;&#x1FD6;&#x03C2; &#x0394;&#x03B9;&#x03BF;&#x03C4;&#x03C1;&#x03B5;&#x03C6;&#x03B5;&#x1FD6;&#x03C2;<lb/>
bei <hi rendition="#g">Homer</hi>, H. II. 204 ff.</p><lb/><lg type="poem"><l>&#x201E;Nimmer Gedeihn bringt Vielherrschaft, nur Einer sei Herrscher,</l><lb/><l>Einer nur Fürst, dem schenkte der Sohn des verborgenen Kronos</l><lb/><l>Scepter zugleich und Gesetze, damit er gebiete den Andern.&#x201C;</l></lg><lb/><p>Vgl. <hi rendition="#g">Herrmann</hi> griech. Statsalterth. §. 55. <hi rendition="#g">Sophokles</hi> Philokt. 137.</p><lb/><lg type="poem"><l>&#x201E;Hoch ragt vor andern Künsten ja</l><lb/><l>Eines Königs Kunst,</l><lb/><l>Der klug waltend Zeus' göttliches Scepter lenkt.&#x201C;</l></lg><lb/><p>Vgl. den Preis des Königthums in dem <hi rendition="#g">Indischen</hi> Epos <hi rendition="#g">Rama<lb/>
Holtzmann</hi> Vers. 1772:</p><lb/><lg type="poem"><l>&#x201E;Wie für den Leib das Auge stets,</l><lb/><l>Nach allen Seiten sorglich blickt,</l><lb/><l>So für das Reich der Männerfürst</l><lb/><l>Der Tugend Wurzel und des Rechts.</l><lb/><l>In blinde Finsternisz verhüllt,</l><lb/><l>Wüst und verworren ist die Welt,</l><lb/><l>Wenn nicht der König Ordnung hält,</l><lb/><l>Und zeigt, was recht und unrecht sei.&#x201C;</l></lg><lb/><p>Nach <hi rendition="#g">Jornandes</hi> c. 14 stammen die Amaler aus dem Geschlechte<lb/>
der Asen. Von <hi rendition="#g">Hengist</hi> und <hi rendition="#g">Horsa</hi> ist es bekannt, dasz sie von Wo-<lb/>
dan stammen. Es ist sicher, dasz viele anfängliche Geschlechtshäupter<lb/>
erst später auf europäischem Boden zu Königen geworden sind (<hi rendition="#g">Sybel</hi>,<lb/>
Entstehung des deutschen Königthums), und dasz man sich dieses Ur-<lb/>
sprungs wohl erinnerte. Aber die Idee und selber die Institution des<lb/>
Königthums haben die arischen Völker aus Asien mitgebracht. Ueber</p></note> Die königlichen Heroen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[404/0422] Sechstes Buch. Die Statsformen. dagegen das in der Mitte liegende alt-römische Königthum in wesentlichen Beziehungen sich davon unterscheidet. Das Königthum der Hellenen und der Germanen bildet den Uebergang aus der noch ideokratischen Form der orien- talischen Alleinherrschaft in eine menschlich-politische Institution. Die Könige leiten zwar ihr Geschlecht gewöhn- lich von den Göttern her, die hellenischen meistens von Zeus, die germanischen von Wodan (Odin), und der Volksglaube verehrt in den Königen die Ueberlieferung des göttlichen Blutes; aber obwohl so der Ursprung der Könige angeknüpft wird an die Herrschaft der Götter über die Welt, werden sie doch auf der andern Seite als Menschen anerkannt und viel- fach auch menschlich beschränkt. 1 Die königlichen Heroen 1 Daher der Ausdruck: „Εϰ δε Διὸς βασιλέες.“ Διογενεῖς Διοτρεφεῖς bei Homer, H. II. 204 ff. „Nimmer Gedeihn bringt Vielherrschaft, nur Einer sei Herrscher, Einer nur Fürst, dem schenkte der Sohn des verborgenen Kronos Scepter zugleich und Gesetze, damit er gebiete den Andern.“ Vgl. Herrmann griech. Statsalterth. §. 55. Sophokles Philokt. 137. „Hoch ragt vor andern Künsten ja Eines Königs Kunst, Der klug waltend Zeus' göttliches Scepter lenkt.“ Vgl. den Preis des Königthums in dem Indischen Epos Rama Holtzmann Vers. 1772: „Wie für den Leib das Auge stets, Nach allen Seiten sorglich blickt, So für das Reich der Männerfürst Der Tugend Wurzel und des Rechts. In blinde Finsternisz verhüllt, Wüst und verworren ist die Welt, Wenn nicht der König Ordnung hält, Und zeigt, was recht und unrecht sei.“ Nach Jornandes c. 14 stammen die Amaler aus dem Geschlechte der Asen. Von Hengist und Horsa ist es bekannt, dasz sie von Wo- dan stammen. Es ist sicher, dasz viele anfängliche Geschlechtshäupter erst später auf europäischem Boden zu Königen geworden sind (Sybel, Entstehung des deutschen Königthums), und dasz man sich dieses Ur- sprungs wohl erinnerte. Aber die Idee und selber die Institution des Königthums haben die arischen Völker aus Asien mitgebracht. Ueber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/422
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/422>, abgerufen am 25.04.2024.