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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Sechstes Buch. Die Statsformen.
Königthums sowie der weströmischen Kaiserwürde, welche
durch Karl den Groszen mit demselben verbunden wurde, zu
der Ausbreitung des Christenthums und zu der christ-
lichen Kirche als eine hervorragende Eigenschaft zu er-
wähnen.

Der Stat war ein christlicher geworden und das König-
thum hatte durch Priesterhand die göttliche Weihe
empfangen, und war so geheiligt worden. 11). Der König
fühlte sich verpflichtet, für die Erhaltung und Ausbreitung
des reinen christlichen Glaubens in seinem Reiche zu sorgen,
und als Kaiser, soweit seine Macht reichte, das Heidenthum
zu vertilgen und die Ketzerei auszurotten: eine Verpflichtung,
welche Karl der Grosze in groszartigem Umfange mit Strenge
vollzog. 12) Die Christenheit selbst galt als ein zusammen-
gehöriger Körper mit zwei Ordnungen, der priesterlichen
und der königlichen, der kirchlichen und der stat-
lichen
. 13) Obwohl aber der König nur das Haupt der letz-
tern war, so handhabte er doch auch dem Klerus gegenüber
die einmal erkannte christliche Ordnung. Er berief Synoden,
beaufsichtigte die Bischöfe und die Klöster, und erliesz eine
Reihe von Gesetzen und Verordnungen von kirchlichem In-
halt. Ebenso wirkte der Geist der Hierarchie hinwieder auf
die Gestaltung der politischen Einrichtungen und auf die
Rechtsgrundsätze der weltlichen Ordnung bedeutend ein. 14)



11) Hincmar a. a. O. 5. "Principes sacerdotum sacra unctione reges
in regnum sacrabant."
12) Schon bevor er die Kaiserwürde erhielt, führte Karl der Grosze
den Titel: "devotus sanctae Dei ecclesiae defensor humilisque
adjutor
."
13) Die angebliche Aeuszerung des Papstes Gelasius an den Kaiser
Anastasius: "Duae sunt Imperatrices angustae, quibus principaliter
mundus hie regitur, auctoritas sacrata Pontificum et regalis potestas" ist
auch in die fränkischen Reichsgesetze (Cap. V. 319.) aufgenommen. Vgl.
Hincmar a. a. O. c. 5.
14) Vgl.
Eichhorn a. a. O. §. 158.

Sechstes Buch. Die Statsformen.
Königthums sowie der weströmischen Kaiserwürde, welche
durch Karl den Groszen mit demselben verbunden wurde, zu
der Ausbreitung des Christenthums und zu der christ-
lichen Kirche als eine hervorragende Eigenschaft zu er-
wähnen.

Der Stat war ein christlicher geworden und das König-
thum hatte durch Priesterhand die göttliche Weihe
empfangen, und war so geheiligt worden. 11). Der König
fühlte sich verpflichtet, für die Erhaltung und Ausbreitung
des reinen christlichen Glaubens in seinem Reiche zu sorgen,
und als Kaiser, soweit seine Macht reichte, das Heidenthum
zu vertilgen und die Ketzerei auszurotten: eine Verpflichtung,
welche Karl der Grosze in groszartigem Umfange mit Strenge
vollzog. 12) Die Christenheit selbst galt als ein zusammen-
gehöriger Körper mit zwei Ordnungen, der priesterlichen
und der königlichen, der kirchlichen und der stat-
lichen
. 13) Obwohl aber der König nur das Haupt der letz-
tern war, so handhabte er doch auch dem Klerus gegenüber
die einmal erkannte christliche Ordnung. Er berief Synoden,
beaufsichtigte die Bischöfe und die Klöster, und erliesz eine
Reihe von Gesetzen und Verordnungen von kirchlichem In-
halt. Ebenso wirkte der Geist der Hierarchie hinwieder auf
die Gestaltung der politischen Einrichtungen und auf die
Rechtsgrundsätze der weltlichen Ordnung bedeutend ein. 14)



11) Hincmar a. a. O. 5. „Principes sacerdotum sacra unctione reges
in regnum sacrabant.“
12) Schon bevor er die Kaiserwürde erhielt, führte Karl der Grosze
den Titel: „devotus sanctae Dei ecclesiae defensor humilisque
adjutor
.“
13) Die angebliche Aeuszerung des Papstes Gelasius an den Kaiser
Anastasius: „Duae sunt Imperatrices angustae, quibus principaliter
mundus hie regitur, auctoritas sacrata Pontificum et regalis potestas“ ist
auch in die fränkischen Reichsgesetze (Cap. V. 319.) aufgenommen. Vgl.
Hincmar a. a. O. c. 5.
14) Vgl.
Eichhorn a. a. O. §. 158.
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[428/0446] Sechstes Buch. Die Statsformen. Königthums sowie der weströmischen Kaiserwürde, welche durch Karl den Groszen mit demselben verbunden wurde, zu der Ausbreitung des Christenthums und zu der christ- lichen Kirche als eine hervorragende Eigenschaft zu er- wähnen. Der Stat war ein christlicher geworden und das König- thum hatte durch Priesterhand die göttliche Weihe empfangen, und war so geheiligt worden. 11). Der König fühlte sich verpflichtet, für die Erhaltung und Ausbreitung des reinen christlichen Glaubens in seinem Reiche zu sorgen, und als Kaiser, soweit seine Macht reichte, das Heidenthum zu vertilgen und die Ketzerei auszurotten: eine Verpflichtung, welche Karl der Grosze in groszartigem Umfange mit Strenge vollzog. 12) Die Christenheit selbst galt als ein zusammen- gehöriger Körper mit zwei Ordnungen, der priesterlichen und der königlichen, der kirchlichen und der stat- lichen. 13) Obwohl aber der König nur das Haupt der letz- tern war, so handhabte er doch auch dem Klerus gegenüber die einmal erkannte christliche Ordnung. Er berief Synoden, beaufsichtigte die Bischöfe und die Klöster, und erliesz eine Reihe von Gesetzen und Verordnungen von kirchlichem In- halt. Ebenso wirkte der Geist der Hierarchie hinwieder auf die Gestaltung der politischen Einrichtungen und auf die Rechtsgrundsätze der weltlichen Ordnung bedeutend ein. 14) 11) Hincmar a. a. O. 5. „Principes sacerdotum sacra unctione reges in regnum sacrabant.“ 12) Schon bevor er die Kaiserwürde erhielt, führte Karl der Grosze den Titel: „devotus sanctae Dei ecclesiae defensor humilisque adjutor.“ 13) Die angebliche Aeuszerung des Papstes Gelasius an den Kaiser Anastasius: „Duae sunt Imperatrices angustae, quibus principaliter mundus hie regitur, auctoritas sacrata Pontificum et regalis potestas“ ist auch in die fränkischen Reichsgesetze (Cap. V. 319.) aufgenommen. Vgl. Hincmar a. a. O. c. 5. 14) Vgl. Eichhorn a. a. O. §. 158.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/446>, abgerufen am 25.04.2024.