Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Sechstes Buch. Die Statsformen.
Königthum dagegen steht zwar auch in Beziehung zu einem
bestimmten Volke, an dessen Spitze der König ist, aber es
wurzelt, wenn man auf das Wesen sieht, vornehmlich auf der
engen persönlichen Treuverbindung zwischen dem Kö-
nige als dem obersten Lehensherrn und seinen Vasallen,
welche von ihm Macht, Ehre, Vermögen ableiten. Die übrige
Masse des Volkes, soweit sie nicht in dem Lehensnexus steht,
kommt daher nur in untergeordneter Weise, nur mittelbar in
Betracht. Dieses Königthum ist somit nicht eine nationale
Institution im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr eine eigen-
thümliche Standesinstitution. Nicht das Volk, sondern
die Gefolgschaft ist die ursprüngliche Grundlage desselben.

2. Die persönliche Treue, von dem Glanze und der
Kraft der Ehre beleuchtet und gestärkt, wurde nunmehr zu
dem wichtigsten Statsbegriff erhoben. 1) Alle Vasallen muszten
daher persönlich dem Herrn, indem sie das Lehen von ihm --
in der Regel knieend -- empfingen, den Eid der Treue und
Hulde 2) schwören. Am ausgebildesten sind, wie überhaupt
das Lehenssystem, so auch diese Schwurverhältnisse in dem
Saxo-Normannischen Rechte des englischen Königreichs
bestimmt. Die eigentlichen Lehensvasallen schwören dem
Könige, ihrem Lehensherrn, knieend den Mannschaftseid 3)

1) Tacitus schon weist in der Schilderung des germanischen Gefolges
auf diese moralischen Eigenschaften als die Seele des Institutes hin c. 13
und 14: "Magna et comitum aemulatio, quibus primus apud principem
suum locus; et principum, cui plurimi et accerrimi comites. Haec dignitas,
hae vires, magno semper electorum juvenum globo circumdari, in pace
decus, in bello praesidium -- Cum ventum in aciem, turpe principi
virtute vinci, turpe comitatui, virtutem principis non adaequare. Jam
vero infame in omnem vitam ac probrosum, superstitem principi suo ex
acie recessisse. Illum defendere, tueri, sua quoque fortia facta gloriae
ejus assignare, praecipuum sacramentum
est. Principes pro victoria pug-
nant, comites pro principe."
2) Im französischen Recht: "foi et
homage."
3) Die Formel desselben zeigt, dasz die Treue auch hier der Haupt-
inhalt ist: "Devenio homo vester de tenemento, quod de vobis teneo et
Fidem vobis portabo de vita et membris et terreno honore contra omnes

Sechstes Buch. Die Statsformen.
Königthum dagegen steht zwar auch in Beziehung zu einem
bestimmten Volke, an dessen Spitze der König ist, aber es
wurzelt, wenn man auf das Wesen sieht, vornehmlich auf der
engen persönlichen Treuverbindung zwischen dem Kö-
nige als dem obersten Lehensherrn und seinen Vasallen,
welche von ihm Macht, Ehre, Vermögen ableiten. Die übrige
Masse des Volkes, soweit sie nicht in dem Lehensnexus steht,
kommt daher nur in untergeordneter Weise, nur mittelbar in
Betracht. Dieses Königthum ist somit nicht eine nationale
Institution im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr eine eigen-
thümliche Standesinstitution. Nicht das Volk, sondern
die Gefolgschaft ist die ursprüngliche Grundlage desselben.

2. Die persönliche Treue, von dem Glanze und der
Kraft der Ehre beleuchtet und gestärkt, wurde nunmehr zu
dem wichtigsten Statsbegriff erhoben. 1) Alle Vasallen muszten
daher persönlich dem Herrn, indem sie das Lehen von ihm —
in der Regel knieend — empfingen, den Eid der Treue und
Hulde 2) schwören. Am ausgebildesten sind, wie überhaupt
das Lehenssystem, so auch diese Schwurverhältnisse in dem
Saxo-Normannischen Rechte des englischen Königreichs
bestimmt. Die eigentlichen Lehensvasallen schwören dem
Könige, ihrem Lehensherrn, knieend den Mannschaftseid 3)

1) Tacitus schon weist in der Schilderung des germanischen Gefolges
auf diese moralischen Eigenschaften als die Seele des Institutes hin c. 13
und 14: „Magna et comitum aemulatio, quibus primus apud principem
suum locus; et principum, cui plurimi et accerrimi comites. Haec dignitas,
hae vires, magno semper electorum juvenum globo circumdari, in pace
decus, in bello praesidium — Cum ventum in aciem, turpe principi
virtute vinci, turpe comitatui, virtutem principis non adaequare. Jam
vero infame in omnem vitam ac probrosum, superstitem principi suo ex
acie recessisse. Illum defendere, tueri, sua quoque fortia facta gloriae
ejus assignare, praecipuum sacramentum
est. Principes pro victoria pug-
nant, comites pro principe.“
2) Im französischen Recht: „foi et
homage.“
3) Die Formel desselben zeigt, dasz die Treue auch hier der Haupt-
inhalt ist: „Devenio homo vester de tenemento, quod de vobis teneo et
Fidem vobis portabo de vita et membris et terreno honore contra omnes
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0448" n="430"/><fw place="top" type="header">Sechstes Buch. Die Statsformen.</fw><lb/>
Königthum dagegen steht zwar auch in Beziehung zu einem<lb/>
bestimmten Volke, an dessen Spitze der König ist, aber es<lb/>
wurzelt, wenn man auf das Wesen sieht, vornehmlich auf der<lb/><hi rendition="#g">engen persönlichen Treuverbindung</hi> zwischen dem Kö-<lb/>
nige als dem obersten <hi rendition="#g">Lehensherrn</hi> und <hi rendition="#g">seinen Vasallen</hi>,<lb/>
welche von ihm Macht, Ehre, Vermögen ableiten. Die übrige<lb/>
Masse des Volkes, soweit sie nicht in dem Lehensnexus steht,<lb/>
kommt daher nur in untergeordneter Weise, nur mittelbar in<lb/>
Betracht. Dieses Königthum ist somit nicht eine nationale<lb/>
Institution im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr eine eigen-<lb/>
thümliche <hi rendition="#g">Standesinstitution</hi>. Nicht das Volk, sondern<lb/>
die <hi rendition="#g">Gefolgschaft</hi> ist die ursprüngliche Grundlage desselben.</p><lb/>
          <p>2. <hi rendition="#g">Die persönliche Treue</hi>, von dem Glanze und der<lb/>
Kraft der <hi rendition="#g">Ehre</hi> beleuchtet und gestärkt, wurde nunmehr zu<lb/>
dem wichtigsten Statsbegriff erhoben. <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#i">Tacitus</hi> schon weist in der Schilderung des germanischen Gefolges<lb/>
auf diese moralischen Eigenschaften als die Seele des Institutes hin c. 13<lb/>
und 14: &#x201E;Magna et comitum aemulatio, quibus primus apud principem<lb/>
suum locus; et principum, cui plurimi et accerrimi comites. Haec dignitas,<lb/>
hae vires, magno semper electorum juvenum globo circumdari, in pace<lb/>
decus, in bello praesidium &#x2014; Cum ventum in aciem, turpe principi<lb/>
virtute vinci, turpe comitatui, virtutem principis non adaequare. Jam<lb/>
vero infame in omnem vitam ac probrosum, superstitem principi suo ex<lb/>
acie recessisse. <hi rendition="#i">Illum defendere, tueri, sua quoque fortia facta gloriae<lb/>
ejus assignare, praecipuum sacramentum</hi> est. Principes pro victoria pug-<lb/>
nant, comites pro principe.&#x201C;</note> Alle Vasallen muszten<lb/>
daher persönlich dem Herrn, indem sie das Lehen von ihm &#x2014;<lb/>
in der Regel knieend &#x2014; empfingen, den Eid der <hi rendition="#g">Treue</hi> und<lb/><hi rendition="#g">Hulde</hi> <note place="foot" n="2)">Im französischen Recht: &#x201E;foi et<lb/>
homage.&#x201C;</note> schwören. Am ausgebildesten sind, wie überhaupt<lb/>
das Lehenssystem, so auch diese Schwurverhältnisse in dem<lb/><hi rendition="#g">Saxo-Normannischen</hi> Rechte des <hi rendition="#g">englischen</hi> Königreichs<lb/>
bestimmt. Die eigentlichen Lehensvasallen schwören dem<lb/>
Könige, ihrem Lehensherrn, knieend den <hi rendition="#g">Mannschaftseid</hi> <note xml:id="note-0448" next="#note-0449" place="foot" n="3)">Die Formel desselben zeigt, dasz die <hi rendition="#g">Treue</hi> auch hier der Haupt-<lb/>
inhalt ist: &#x201E;Devenio <hi rendition="#i">homo vester</hi> de tenemento, quod de vobis teneo et<lb/><hi rendition="#i">Fidem vobis portabo</hi> de vita et membris et terreno honore contra omnes</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[430/0448] Sechstes Buch. Die Statsformen. Königthum dagegen steht zwar auch in Beziehung zu einem bestimmten Volke, an dessen Spitze der König ist, aber es wurzelt, wenn man auf das Wesen sieht, vornehmlich auf der engen persönlichen Treuverbindung zwischen dem Kö- nige als dem obersten Lehensherrn und seinen Vasallen, welche von ihm Macht, Ehre, Vermögen ableiten. Die übrige Masse des Volkes, soweit sie nicht in dem Lehensnexus steht, kommt daher nur in untergeordneter Weise, nur mittelbar in Betracht. Dieses Königthum ist somit nicht eine nationale Institution im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr eine eigen- thümliche Standesinstitution. Nicht das Volk, sondern die Gefolgschaft ist die ursprüngliche Grundlage desselben. 2. Die persönliche Treue, von dem Glanze und der Kraft der Ehre beleuchtet und gestärkt, wurde nunmehr zu dem wichtigsten Statsbegriff erhoben. 1) Alle Vasallen muszten daher persönlich dem Herrn, indem sie das Lehen von ihm — in der Regel knieend — empfingen, den Eid der Treue und Hulde 2) schwören. Am ausgebildesten sind, wie überhaupt das Lehenssystem, so auch diese Schwurverhältnisse in dem Saxo-Normannischen Rechte des englischen Königreichs bestimmt. Die eigentlichen Lehensvasallen schwören dem Könige, ihrem Lehensherrn, knieend den Mannschaftseid 3) 1) Tacitus schon weist in der Schilderung des germanischen Gefolges auf diese moralischen Eigenschaften als die Seele des Institutes hin c. 13 und 14: „Magna et comitum aemulatio, quibus primus apud principem suum locus; et principum, cui plurimi et accerrimi comites. Haec dignitas, hae vires, magno semper electorum juvenum globo circumdari, in pace decus, in bello praesidium — Cum ventum in aciem, turpe principi virtute vinci, turpe comitatui, virtutem principis non adaequare. Jam vero infame in omnem vitam ac probrosum, superstitem principi suo ex acie recessisse. Illum defendere, tueri, sua quoque fortia facta gloriae ejus assignare, praecipuum sacramentum est. Principes pro victoria pug- nant, comites pro principe.“ 2) Im französischen Recht: „foi et homage.“ 3) Die Formel desselben zeigt, dasz die Treue auch hier der Haupt- inhalt ist: „Devenio homo vester de tenemento, quod de vobis teneo et Fidem vobis portabo de vita et membris et terreno honore contra omnes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/448
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/448>, abgerufen am 24.04.2024.