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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Fünfz. Cap. II. Mon. Statsformen. G. Const. Monarchie. 2. Falsche Vorst. etc.
zuführen! Und sicherlich nicht daran ist der König gescheitert,
dasz er nicht blosz herrschen, sondern auch regieren
wollte. Sein Nachfolger der Kaiser Napoleon hat gerade
dadurch den Beifall der Massen erworben, dasz er selber die
Regierung ausübte.

Durch den Ausdruck herrschen waren mehr die for-
mellen Hoheits- und Majestätsrechte des Königs, durch das
Wort regieren die practisch-reale Oberleitung der statlichen
Politik bezeichnet. Beiderlei Rechte gehören dem Statsober-
haupte zu, und dieses insbesondere von der Ausübung der
wichtigeren, letzteren ausschliessen (eine blosz formelle Be-
theiligung ist Ausschlieszung von dem wesentlichen Antheil)
ist wieder Zerstörung des Kerns der königlichen Gewalt. "Rex
est qui regit
."

Nicht zu verwechseln mit dem regieren (gouverner)
ist das blosze verwalten (administriren). Sich mit diesem
kleinen Geschäftsdetail fortwährend abzugeben, kann aller-
dings dem Könige weder zugemuthet werden, noch ist es für
die Leitung des States irgend ersprieszlich, wenn er sich
damit in der Regel befaszt.

6. Andere haben, von der Idee der Volkssouveränetät aus,
das Wesen der constitutionellen Monarchie darein gesetzt, dasz
der Monarch "nach dem Willen und dem Sinne der Volks-
mehrheit
regiere." Diese Meinung gibt offenbar die Exi-
stenz der Monarchie preis, und läszt sich von demokra-
tischen
Ideen bestimmen. Denn die Demokratie ist die
Herrschaft der Volksmehrheit. Die Monarchie aber hat einen
ihrer wichtigsten Vorzüge gerade darin, dasz sie berufen ist,
auch die Minderheit in ihrer Freiheit und in ihrem Rechte
vor den Anmaszungen der Mehrheit zu schützen. Wäre der
Monarch nur ein Beauftragter und Diener der Mehrheit, und
würde somit dieser die Herrschaft im State zukommen, so
wäre das nicht Monarchie mehr, sondern Demokratie, eine
Demokratie freilich mit einem Scheinmonarchen an der Spitze,

Fünfz. Cap. II. Mon. Statsformen. G. Const. Monarchie. 2. Falsche Vorst. etc.
zuführen! Und sicherlich nicht daran ist der König gescheitert,
dasz er nicht blosz herrschen, sondern auch regieren
wollte. Sein Nachfolger der Kaiser Napoleon hat gerade
dadurch den Beifall der Massen erworben, dasz er selber die
Regierung ausübte.

Durch den Ausdruck herrschen waren mehr die for-
mellen Hoheits- und Majestätsrechte des Königs, durch das
Wort regieren die practisch-reale Oberleitung der statlichen
Politik bezeichnet. Beiderlei Rechte gehören dem Statsober-
haupte zu, und dieses insbesondere von der Ausübung der
wichtigeren, letzteren ausschliessen (eine blosz formelle Be-
theiligung ist Ausschlieszung von dem wesentlichen Antheil)
ist wieder Zerstörung des Kerns der königlichen Gewalt. „Rex
est qui regit
.“

Nicht zu verwechseln mit dem regieren (gouverner)
ist das blosze verwalten (administriren). Sich mit diesem
kleinen Geschäftsdetail fortwährend abzugeben, kann aller-
dings dem Könige weder zugemuthet werden, noch ist es für
die Leitung des States irgend ersprieszlich, wenn er sich
damit in der Regel befaszt.

6. Andere haben, von der Idee der Volkssouveränetät aus,
das Wesen der constitutionellen Monarchie darein gesetzt, dasz
der Monarch „nach dem Willen und dem Sinne der Volks-
mehrheit
regiere.“ Diese Meinung gibt offenbar die Exi-
stenz der Monarchie preis, und läszt sich von demokra-
tischen
Ideen bestimmen. Denn die Demokratie ist die
Herrschaft der Volksmehrheit. Die Monarchie aber hat einen
ihrer wichtigsten Vorzüge gerade darin, dasz sie berufen ist,
auch die Minderheit in ihrer Freiheit und in ihrem Rechte
vor den Anmaszungen der Mehrheit zu schützen. Wäre der
Monarch nur ein Beauftragter und Diener der Mehrheit, und
würde somit dieser die Herrschaft im State zukommen, so
wäre das nicht Monarchie mehr, sondern Demokratie, eine
Demokratie freilich mit einem Scheinmonarchen an der Spitze,

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[491/0509] Fünfz. Cap. II. Mon. Statsformen. G. Const. Monarchie. 2. Falsche Vorst. etc. zuführen! Und sicherlich nicht daran ist der König gescheitert, dasz er nicht blosz herrschen, sondern auch regieren wollte. Sein Nachfolger der Kaiser Napoleon hat gerade dadurch den Beifall der Massen erworben, dasz er selber die Regierung ausübte. Durch den Ausdruck herrschen waren mehr die for- mellen Hoheits- und Majestätsrechte des Königs, durch das Wort regieren die practisch-reale Oberleitung der statlichen Politik bezeichnet. Beiderlei Rechte gehören dem Statsober- haupte zu, und dieses insbesondere von der Ausübung der wichtigeren, letzteren ausschliessen (eine blosz formelle Be- theiligung ist Ausschlieszung von dem wesentlichen Antheil) ist wieder Zerstörung des Kerns der königlichen Gewalt. „Rex est qui regit.“ Nicht zu verwechseln mit dem regieren (gouverner) ist das blosze verwalten (administriren). Sich mit diesem kleinen Geschäftsdetail fortwährend abzugeben, kann aller- dings dem Könige weder zugemuthet werden, noch ist es für die Leitung des States irgend ersprieszlich, wenn er sich damit in der Regel befaszt. 6. Andere haben, von der Idee der Volkssouveränetät aus, das Wesen der constitutionellen Monarchie darein gesetzt, dasz der Monarch „nach dem Willen und dem Sinne der Volks- mehrheit regiere.“ Diese Meinung gibt offenbar die Exi- stenz der Monarchie preis, und läszt sich von demokra- tischen Ideen bestimmen. Denn die Demokratie ist die Herrschaft der Volksmehrheit. Die Monarchie aber hat einen ihrer wichtigsten Vorzüge gerade darin, dasz sie berufen ist, auch die Minderheit in ihrer Freiheit und in ihrem Rechte vor den Anmaszungen der Mehrheit zu schützen. Wäre der Monarch nur ein Beauftragter und Diener der Mehrheit, und würde somit dieser die Herrschaft im State zukommen, so wäre das nicht Monarchie mehr, sondern Demokratie, eine Demokratie freilich mit einem Scheinmonarchen an der Spitze,

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 491. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/509>, abgerufen am 28.03.2024.