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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Zweiundzwanzigstes Cap. IV. Demokr. Statsformen. B. Repräsentat. Demokr.
Zweiundzwanzigstes Capitel.
B. Die repräsentative (moderne) Demokratie, die heutige Republik.

Die unmittelbare Demokratie hat sich nur ganz
ausnahmsweise auch in der modernen Welt erhalten, unter
besonders günstigen Verhältnissen, und überdem in Vergleich
mit der athenischen Form sehr gemäszigt und gemildert; so
vorzüglich in einigen Bergcantonen der Schweiz, wo noch all-
jährlich die Landsgemeinde aller freien Männer zusammentritt,
und die obersten Aemter und Würden der schlichten Republik
gewöhnlich aus den angesehensten Familien des Landes, durch
jubelndes Handmehr besetzt, und die Gesetze sanctionirt, die
von den Räthen vorbereitet sind. Diese einfachen von der
Strömung des europäischen Lebens bis auf unsere Zeit wenig
berührten Demokratien sind in der That durch ihr mehr als
fünfhundertjähriges Alter, durch eine an männlichen Zügen
reiche, nur selten durch Gewaltthaten befleckte Geschichte und
durch die Bewahrung schlichter Sitten und eines friedlichen
und glücklichen Daseins ehrwürdig. Aber selbst da ist in
neuerer Zeit die Richtung, diese Demokratie in eine reprä-
sentative
umzuwandeln, eingeschlagen worden, und die De-
mokratien der übrigen schweizerischen Cantone, wie
die der Vereinigten Staten von Nordamerika haben
alle einen repräsentativen Charakter. Wo heut zu Tage de-
mokratische Parteien sich regen, streben sie fast überall der
repräsentativen Form der Demokratie als ihrem Ideale nach.
Auch das demokratisch bewegte Frankreich der Jahre 1793
und 1848 hatte diese Verfassung gewählt. Man darf daher
wohl die repräsentative Demokratie für die moderne
Form dieser Art des States erklären.

1. Wie die constitutionelle Monarchie zuerst in England
entstanden ist, so ist die repräsentative Demokratie, oder
wie die Amerikaner sie lieber nennen, die moderne Gestal-

Zweiundzwanzigstes Cap. IV. Demokr. Statsformen. B. Repräsentat. Demokr.
Zweiundzwanzigstes Capitel.
B. Die repräsentative (moderne) Demokratie, die heutige Republik.

Die unmittelbare Demokratie hat sich nur ganz
ausnahmsweise auch in der modernen Welt erhalten, unter
besonders günstigen Verhältnissen, und überdem in Vergleich
mit der athenischen Form sehr gemäszigt und gemildert; so
vorzüglich in einigen Bergcantonen der Schweiz, wo noch all-
jährlich die Landsgemeinde aller freien Männer zusammentritt,
und die obersten Aemter und Würden der schlichten Republik
gewöhnlich aus den angesehensten Familien des Landes, durch
jubelndes Handmehr besetzt, und die Gesetze sanctionirt, die
von den Räthen vorbereitet sind. Diese einfachen von der
Strömung des europäischen Lebens bis auf unsere Zeit wenig
berührten Demokratien sind in der That durch ihr mehr als
fünfhundertjähriges Alter, durch eine an männlichen Zügen
reiche, nur selten durch Gewaltthaten befleckte Geschichte und
durch die Bewahrung schlichter Sitten und eines friedlichen
und glücklichen Daseins ehrwürdig. Aber selbst da ist in
neuerer Zeit die Richtung, diese Demokratie in eine reprä-
sentative
umzuwandeln, eingeschlagen worden, und die De-
mokratien der übrigen schweizerischen Cantone, wie
die der Vereinigten Staten von Nordamerika haben
alle einen repräsentativen Charakter. Wo heut zu Tage de-
mokratische Parteien sich regen, streben sie fast überall der
repräsentativen Form der Demokratie als ihrem Ideale nach.
Auch das demokratisch bewegte Frankreich der Jahre 1793
und 1848 hatte diese Verfassung gewählt. Man darf daher
wohl die repräsentative Demokratie für die moderne
Form dieser Art des States erklären.

1. Wie die constitutionelle Monarchie zuerst in England
entstanden ist, so ist die repräsentative Demokratie, oder
wie die Amerikaner sie lieber nennen, die moderne Gestal-

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[537/0555] Zweiundzwanzigstes Cap. IV. Demokr. Statsformen. B. Repräsentat. Demokr. Zweiundzwanzigstes Capitel. B. Die repräsentative (moderne) Demokratie, die heutige Republik. Die unmittelbare Demokratie hat sich nur ganz ausnahmsweise auch in der modernen Welt erhalten, unter besonders günstigen Verhältnissen, und überdem in Vergleich mit der athenischen Form sehr gemäszigt und gemildert; so vorzüglich in einigen Bergcantonen der Schweiz, wo noch all- jährlich die Landsgemeinde aller freien Männer zusammentritt, und die obersten Aemter und Würden der schlichten Republik gewöhnlich aus den angesehensten Familien des Landes, durch jubelndes Handmehr besetzt, und die Gesetze sanctionirt, die von den Räthen vorbereitet sind. Diese einfachen von der Strömung des europäischen Lebens bis auf unsere Zeit wenig berührten Demokratien sind in der That durch ihr mehr als fünfhundertjähriges Alter, durch eine an männlichen Zügen reiche, nur selten durch Gewaltthaten befleckte Geschichte und durch die Bewahrung schlichter Sitten und eines friedlichen und glücklichen Daseins ehrwürdig. Aber selbst da ist in neuerer Zeit die Richtung, diese Demokratie in eine reprä- sentative umzuwandeln, eingeschlagen worden, und die De- mokratien der übrigen schweizerischen Cantone, wie die der Vereinigten Staten von Nordamerika haben alle einen repräsentativen Charakter. Wo heut zu Tage de- mokratische Parteien sich regen, streben sie fast überall der repräsentativen Form der Demokratie als ihrem Ideale nach. Auch das demokratisch bewegte Frankreich der Jahre 1793 und 1848 hatte diese Verfassung gewählt. Man darf daher wohl die repräsentative Demokratie für die moderne Form dieser Art des States erklären. 1. Wie die constitutionelle Monarchie zuerst in England entstanden ist, so ist die repräsentative Demokratie, oder wie die Amerikaner sie lieber nennen, die moderne Gestal-

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 537. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/555>, abgerufen am 25.04.2024.